Erstellt am: 15. 11. 2015 - 19:00 Uhr
Entwicklungsstart für ultraschnellen Mobilfunk
In Genf tagt seit 2. November die nur alle vier Jahre stattfindende Weltradiokonferenz der Internationalen Telekommunikationsunion (ITU). Primäres Ziel der vierwöchigen Konferenz ist die Zuteilung neuer Frequenzbereiche für den superschnellen Nachfolger des Mobilfunkstandards LTE, was alles andere als einfach wird. Im bisher gebräuchlichen Spektrum unter sechs GHz wird das nur möglich sein, wenn andere Funkdienste dort ihre Frequenzhoheit verlieren, denn wirklich freie Bänder gibt es in diesem Teil des elektromagnetischen Spektrums schon seit Jahren nicht mehr.
Der primäre Kandidat für eine Umwidmung ist das TV-Band bei 700 MHz, das sehr zum Unmut der Broadcaster ab 2020 voraussichtlich mit neuen Datendiensten geteilt werden muss. Schon bei der vorletzten Radiokonferenz 2007 hatten die TV-Betreiber den 100 MHz breiten Bereich darüber abgeben müssen. Der zusätzliche Bedarf für den kommenden Breitbanddienst, der märchenhafte Datenraten von zehn Gbit/sec verspricht, liegt nach derzeitigen Schätzungen irgendwo zwischen 250 und 750 MHz.

ITU
Warum Mobilfunker das TV-Band wollen
Wie wertvoll Funkfrequenzen mittlerweile sind, zeigt das Ergebnis der bisher letzten Versteigerung in den UЅA. 2014 wurden für gerade einmal 65 MHz an Restfrequenzen 41 Milliarden Dollar erlöst,
100 MHz dieses zusätzlichen Bedarfs soll nun von den TV-Sendern kommen. Dieses 700-MHz Band ist bei Mobilfunkern deshalb so begehrt, weil die Raumstreckendämpfung des Signals viel geringer ist als in höheren Bereichen. Damit lassen sich ländliche Bereiche mit deutlich weniger Funkmasten abdecken, für die Anbindung der Endgeräte vor Ort wird dann ein höherer Bereich gewählt. Im urbanen Raum wiederum ist auf 700 MHz auch die Eindringrate in Gebäude deutlich besser, deswegen betreiben A1, T-Mobile und Drei auch ihre neuen breitbandigen LTE-Dienste nicht nur im primär zugewiesen Spektrum bei 2,6 GHz, sondern eben auch in den bereits zur Verfügung stehenden Bändern bei 800 (Ex TV) bzw. 900 MHz (Ex GSM).
Und um die Vergabe des 800-MHZ-Bandes gab es 2010 Proteste der Theater- und Bühnenbetreiber
Die geplante Widmung "des Frequenzbandes 694 bis 790 MHz in der Region I an mobile Funkdienste auf ko-primärer Basis zu jenen Diensten, für die das Band bereits jetzt primär gewidmet ist", hat weitreichende Konsequenzen. Wenn die terrestrischen TV-Betreiber, die dieses Band bis dato alleine innehatten, nun in der ITU-Region I - Europa und ein Großteil Asiens - Gesellschaft in Form eines strukturell und technisch völlig andersartigen Funkbetriebs erhalten, dann sind die ursprünglichen Pläne der Broadcaster, dort hochauflösende und entsprechend breitbandige TV-Services (HDTV) anzubieten, bereits Makulatur.

Analog Devices
Konzertveranstalter, Bühnen, Studios
2010 wurde die "Digitale Dividende" genannte Versteigerung der TV-Frequenzen zwischen 790 und 860 MHz auch in Österreich beschlossen. Neben den Broadcastern brachte das auch die Hersteller von Funkmikros für Theater, Konzerte und Studios in Bedrängnis, die den Bereich zwischen den TV-Bändern ebenfalls nutzen konnten.
Betroffen sind allerdings nicht nur TV-Anstalten, sondern Show- und Konzertveranstalter, Theater- und Studiobetriebe, deren Funkmikrofone zwischen den TV-Kanälen aufgeteilt werden oder regional nicht benutzte Bereiche verwenden. Für diese großteils immer noch analogen und entsprechend störanfälligen Funkanlagen, die aus dem Bühnen- und Showbetrieb nicht mehr wegzudenken sind, wird es nun immer enger. Bei Großveranstaltungen wie den Bregenzer Festspielen werden um die hundert verschiedene Kanäle gleichzeitig gebraucht, gesendet wird großteils immer noch analog, weil die Mikrofone quasi in Echtzeit übertragen müssen. Bereits eine Verzögerung von zehn Tausendstelsekunden (10 ms) kann Sänger und Musiker aus dem Takt bringen, die für digitales Sampling hochqualitativer Audioströme nahe an Echtzeit nötigen Prozessoren aber sind erst seit kurzem auf dem Markt.

Analog Devices
Künftige Datenraten von 10 Gbit/sec
In dieser Echtzeitliga soll auch die Latenz für den neuen Standard der fünften Mobilfunkgeneration (5G) liegen, der nach dieser Konferenz offiziell "IMT 2020" benannt werden dürfte. Ob der offiziell angestrebte Wert von weniger als einer Millisekunde Zeitverzögerung letztlich erreicht werden kann, wird sich ebenso zeigen, wie auch die erwarteten Datenraten von 10 Gbit/sec und mehr vorerst nur in den Weißbüchern der Ingenieure stehen. Feststeht aber schon jetzt, dass man beim Aufbau eines solch futuristischen Netzes völlig andere Wege als bisher gehen muss, denn die Zeiten, in denen ein Breitbandstandard wie UMTS (3G) auf einen Frequenzbereich (2,1 GHz in Europa) zugeschnitten wurde, sind längst vorbei.
Veränderte Architektur der Netze
Die erste Demonstration des derzeit schnellsten Mobilfunkstandards LTE in Österreich durch die Mobilkom, heute A1 Telekom im Jahr 2008
Auch die Architektur der Mobilfunknetze wird sich stark verändern, weil "die Maschen des Netzes wesentlich enger ausgelegt werden müssen", sagte Hannes Horvath, Hochfrequenzexperte beim Chip- und Gerätehersteller Analog Devices zu ORF.at. Damit gehe automatisch ein stark steigender Bedarf an Richtfunkstrecken einher, weil eine solche enge Vermaschung mit Glasfaserstrecken kaum praktikabel und viel zu teuer sei. Auch hier gelte dasselbe Prinzip, je länger diese Strecken seien, desto niedriger werde auch die Frequenz zur Übertragung gewählt. Für die lokale Feinverteilung eines so extrem breitbandigen Datendienstes bieten sich dann Bänder in weitaus höheren Bereichen an.

Ericsson
"10 Gbit/sec sind realistisch"
Die Versteigerung der damals neuen LTE-Frequenzen brachte in Österreich 2010 nur moderate 39,5 Millionen Euro ein
"Paradoxerweise ist hier der größte Ansturm gerade bei 60 GHz zu erwarten, wo die Streckendämpfung abnorm hoch ist, hier ist nämlich der Sauerstoff in Eigenresonanz und dämpft die Ausbreitung. Die kurze Reichweite ist wiederum kein Bug, sondern ein Feature, weil sich die Geräte an der Peripherie dadurch nicht gegenseitig stören", sagt der Hochfrequenzexperte. "Auf kurzen Strecken lassen sich hier Bandbreiten von mehreren GHz fahren, 10 Gbit/sec sind hier also bereits realistisch, ohne dass die Modulation tatsächlich ausgereizt wird."
Die Quadratur der Amplitude - QAM Modulation in der Wikipedia
"Modulation" ist nichts anderes als das Aufbringen von Datenbits auf eine elektromagnetische Schwingung, von denen es pro Sekunde allerdings 60 Milliarden zu modulieren gibt, wenn auf 60 GHz gefunkt wird. Jede einzelne der physikalisch wenige Millimeter langen (analogen) Funkwellen wird mittels Quadraturamplitudenmodulation (QAM) mit Datenbits bestückt, 256 Bit sind derzeit schon üblich (256 QAM). Acht Bit ergeben 256 verschiedene "Zustände" oder "Vektoren". Daraus resultiert die 256 Punkte Quadraturmodulation. Ein jeder Punkt repräsentiert eine acht Bit breite binäre Zahl. Ganz so einfach wie hier verkürzt dargestellt passiert der Modultaionsvorgang freilich nicht. Tatsächlich läuft ein wesentlich komplexerer Prozess, bei dem tatsächlich nicht 60 Milliarden Abtastungen passieren, vielmehr wird diese Rate erreicht, indem wesentliche niederfrequenter aufmoduliert und in einer sogenannten Mischstufe auf 60 GHz hochgemixt wird.
"Hier ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht", sagt Horvath, zumal bereits mit achtfach höheren Datenraten experimentiert werde. In den hohen Bändern bei 60 und 70 GHz sei eine solche Aufrüstung der Modulation in absehbarer Zeit nicht einmal nötig, weil dort Bandbreite en Masse zur Verfügung stehe.

Analog Devices
Wer noch zum Handkuss kommt
Für die längeren Funkstrecken will man in Zukunft neben dem TV-Band bei 700 MHz auch mehrere Bänder, die derzeit von anderen Diensten benutzt werden, wenigstens teilweise besetzen. So soll ein Weg gefunden werden, um das Spektrum bei 2,7. 3,4 und 4,5 GHz für Mobilfunk zu nutzen ohne die dort funkenden geostationären Satellitenstationen (C Band), meteorologische Radars oder solche von Flughäfen zu stören. Verabschiedet wurden diese doch recht komplexen Pläne auf der World Radio Conference bis jetzt allerdings noch nicht.
Das ist insofern nicht verwunderlich, als die ITU - eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen - für die Regelung des gesamten weltweiten Funkverkehrs zuständig ist. Eine Neuaufteilung der Frequenzbereiche alleine für die Region ITU-1 betrifft neben Europa samt der russischen Föderation auch ganz Afrika. Dort war terrestrisches HDTV unter einem GHz noch nie ein Thema, dafür wird zum Beispiel analoges Satelliten-TV bei 3,5 GHz flächendeckend in Afrika genützt, in Europa dominiert längst digitales Sat-TV von 10 GHz aufwärts.
Erster Beschluss der Konferenz
Die bisher einzige Presseaussendung der ITU während der Konferenz war mangels andere Beschlüsse ebenfalls zu diesem Thema
Wenigstens ein Beschluss ist auf dieser Weltradiokonferenz, die noch bis 27. November dauert, bereits gefallen. Das sogenannte Sekundärradar von Verkehrsflugzeugen darf in Zukunft nicht nur Richtung Boden senden, sondern auch nach oben. Um Radar handelt es sich dabei nicht, sondern um einfachen Datenfunk (1,0877 - 1,0923 GHz) über den laufend die Positionsdatendaten des Flugzeugs gesendet werden. Ab nun können diese Flugbewegungen auch von Satelliten überwacht werden, das gilt auch für Fälle wie den der Maschine von Flug MH370 der Malaysian Airlines, die weit weg vom Empfangsbereich aller Bodenstationen im südlichen indischen Ozean verschollen ist.
Geplante "Ko-Primariat"
Was die geplante "ko-primäre" Nutzung des 700 MHz-Bandes betrifft, so ist das ein technischer Widerpruch in sich. Sowohl beim ursprünglich dort geplanten hochauflösenden HDTV-Fernsehen wie auch beim zukünftig wahrscheinlichen 5G-System der Mobilfunker sind sehr breitbandige Services, die beide Quadraturamplitudenmodulation verwenden. Während es sich bei HDTV um permanente Einweg-Ausstrahlungen von fixen Standorten aus handelt, also um Broadcasting, ist "IMT 2020" ein mobiler Zwei-Weg-Funkdienst mit stark variierender Auslastung durch mobile Endgeräte. Wie diese technisch einigermaßen ähnlichen, aber letzlich völlig unterschiedlichen Dienste in einem 100-MHz-Bereich koexistieren sollen, können auch gestandene Techniker nicht erklären.