Erstellt am: 27. 10. 2015 - 16:56 Uhr
Lone Star Tunes
Nina Hochrainer
Nina Hochrainer hat im Rahmen des "U.S.-Austrian Journalism Exchange Fellowship" des KFJ einige Zeit in Austin beim lokalen Radiosender KUT verbracht und für FM4 aus Texas berichtet.
Eigentlich wollte ich was übers Rodeo schreiben, aber statt wilder Stiere schicke ich an dieser Stelle lieber ungezähmte Sounds aus Texas in die Arena. Ich habe in Austins Plattenläden in allen Genres und Dekaden gewühlt und kann euch sagen, dass nicht nur 2015 ein gutes Jahr für texanische Artists war.
Nina Hochrainer
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Welcome to Texas, y'all
Geschichten aus dem Lone Star State
Leon Bridges - "Coming Home"
Wie eine vergessene Soulplatte aus den Sechzigern, die man Jahrzehnte später zufällig auf einem Yardsale entdeckt, so klingt das Debütalbum von Leon Bridges. Letztes Jahr hat der 26-jährige Soulwunderknabe noch als Tellerwäscher (what else?) in einer Hotelküche seiner Heimatstadt Fort Worth gearbeitet, heute hat er einen Vertrag bei Columbia Records in der Tasche und Horden ergebener Retrorevivalists zu seinen Füßen - dank der maßgeblichen Hilfe der texanischen Psychrocker White Denim. Mit seinen hochtaillierten Vintagehosen und seiner warmen, leichtgewichtigen Stimme emuliert der Newcomer im Musikrodeo den Look und Sound der Sixites-Motown-Soul-Ära wie im Moment kein anderer. Er ist ein Verehrer der Ladies und seiner Mama und beim Austin City Limits Festival habe ich mich von seinen charmanten Bühnenansagen und Tanzeinlagen komplett einwicklen lassen. Hach.
Roky Erickson - "Don't slander me"
Roky Erickson gilt als Pioneer der psychedelischen Rockmusik und war Mitbegründer der legendären 13th Floor Elevators. Einmal nach der Definition von psychedelischer Musik gefragt soll er gesagt haben: "It's where the pyramid meets the eye, man." Trotz seines andauernden Kampfes mit mentalen Krankheiten hat der Musiker aus Austin einen bemerkenswerten musikalischen Output vorzuweisen und war gerade in den letzten Jahren wieder sehr aktiv, unter anderem in Kollaborationen mit Mogwai und Okkervil River. "Don't slander Me", Ericksons erste Soloplatte aus 1986, ist jedenfalls eine schwere Empfehlung des Betreibers von Breakaway Records. Und sollte es euch mal nach Austin verschlagen, dieser Laden ist einen Besuch wert.
ZZ Top Mud - "Rio Grande Mud"
Drei im Fluss badende Männer auf einem Albumcover und yes Mam, schon hat die Platte meine volle Aufmerksamkeit. Rio Grande Mud ist ZZ Tops zweites Album, erschienen 1972, lange vor der Entwicklung ihres langbärtigen Signature Looks. Zugegeben, ich hatte mich nie viel mit der Gruppe aus Houston beschäftigt und wusste nicht mal, dass sie aus Texas stammen. Umso mehr Spaß macht es, ihren Sound nun zu entdecken. Aus dem Schlamm des texanisch-mexikanischen Grenzflusses entsteigt straight down'n'dirty Southern Blooze Rock. Acht Sekunden muss man als Rodoereiter auf dem Tier bleiben, um in die Wertung zu kommen. Dieses Album erhält von mir schon nach drei Sekunden die volle Punktzahl.
MCG - "Compatible Creature"
Austin gilt als das "Live Music Capital of the USA", und dementsprechend spielt hier so gut wie jede/r, der/die nicht gerade ein Tech Start Up gegründet hat, in einer Band oder ist sonstwie mit Musik beschäftigt. Stimmt natürlich nicht ganz so, aber Tatsache ist, dass mir MCG bei einem nächtlichen Bar-Streifzug untergekommen sind und nach mehr geklungen haben. "Compatible Creature" ist das heuer erschienene Debüt der fünf Austinites rund um Sängerin Mariclaire Gamble. Gut gemachter Electropop mit Spaß und Eingängigkeit, die Monstertruck-Pauseneinlage in diesem Musikrodeo.
Royal Jesters - "English Oldies"
Die Royal Jesters aus San Antonio waren in den 1960ern die Könige der lokalen Teenszene und beherrschten mit ihren klebrigsüßen Heartbreak-Melodien sämtliche Slow Dance-Veranstaltungen. "English Oldies" ist eine Sammlung ihres frühen Schaffens bei dem Doo-Wop, R&B, Latin Rock und Soul verschmelzen. Ein musikgewordener Tex-Mex-Eintopf, am besten heiß serviert.
Weitere Empfehlung in dieser Kategorie: Die ebenfalls auf dem Numero Label erschienene Compilation "Eccentric Soul - The Dynamic Label".
Barbara Lynn - "Here is Barbara Lynn"
So wie es bis heute nur wenige weibliche Rodeoreiterinnen gibt, so rar war es auch in den 1960ern in Texas als Frau, seinen eigenen Blues und Soul zu singen. Noch rarer war es dabei eine linkshändige Stratocaster zu bedienen. All das hat Barbara Lynn gemacht - so erzählt es der Klappentext auf dem im Vorjahr als Reissue erschienenen Werk "Here is Barbara Lynn". Klavierspiel war ihr zu gewöhnlich, deshalb brachte sie sich als Teenager selbst Gitarre bei, erhielt noch vor ihrer Volljährigkeit einen Plattenvertrag und arbeitete im Laufe ihrer Karriere mit allen Genregrößen - von Chuck Berry und BB King zu den Supremes und Stevie Wonder. Wenn das Probehören im Plattenladen die gesamte Albumlänge dauert, weil man sich so im Sound und der Geschichte dazu verliert, dann sagt das wohl alles aus über Barbara Lynns Soulsongschreibtalent.
Gary Clark Jr. - "The Story of Sonny Boy Slim"
Mit seinem rauen Bluesrock und virtuosem Gitarrenspiel ist Gary Clark Jr. wohl so etwas wie der Barebackrider - der Reiter ohne Sattel - in diesem Musikrodeo.
Beim diesjährigen Austin City Limits Festival hat der aus der texanischen Hauptstadt stammende Musiker mit einem in die Knochen gehenden Set die Besucherschaft in den Bann gezogen. Selten habe ich so viele Menschen wie hypnotisiert zu einer Festivalbühne strömen sehen. Nach seinem Major Label Debüt "Blak and blue" aus dem Jahr 2012 hat Gary Clark Jr. nun soeben ein neues Werk veröffentlicht. "The Story of Sonny Boy Slim" ist gezähmter und weniger abenteuerlich als sein Vorgänger, dafür aber fokussierter und getriebener. Gary Clark Jr. reitet in eine Richtung, und zwar nach vorne, in die glänzende Zukunft des Bluesrock.