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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

4. 7. 2015 - 13:46

Berliner Eventstau

Straßenfeste, Fußballfeste, Marathons, Halbmarathons, Rad-, Skater- und Inline- Marathons, Demos - Berlin kommt seit Pfingsten nicht zur Ruhe

Obwohl Großstädter aus anderen Ländern immer schwärmen, wie gemütlich, langsam und leer Berlin im Vergleich zu Istanbul/London/Paris/Moskau wäre - uns Berlinerinnen ist im Moment alles zu voll und es ist auch zu viel los, seit Pfingsten befindet sich Berlin im Eventstau.

Menschen tanzen in Kostümen auf der Straße

CC BY-ND 2.0 von flickr.com/berlin_ild

CC BY ND 2.0 Karneval der Kulturen 2015

Es begann mit dem Karneval der Kulturen, einem überdimensionierten Straßenfest samt Umzug, das hunderttausende Besucher anzieht, alljährlich ganz Kreuzberg lahmlegt und als multikulturelles Event vermarktet wird, letztendlich aber eine Veranstaltung zur Erzeugung von Caipirinha-Leichen ist. Tags zuvor zieht bereits der Kinderkarneval durch die Straßen, kaum waren die Absperrungen weg geräumt, fielen 15.000 Radsportler, Teilnehmer des internationalen Radrennens „Velothon“ ein. Mit dabei sind Profis, Hobbyradler, Kinder -und Ex-Eishockey-Star Sven Felski - sie alle radelten auf sämtlichen großen Straßen der Stadt umher, die dann logischerweise für Fußgänger, einheimische Radler und Autofahrer gesperrt waren.

Außerdem irrten auch die vielen Borussia Dortmund-Fans, die zum DFB-Pokalfinale in die Stadt gereist waren, um die Absperrungen herum und suchten das Tempelhofer Feld. Dort schauten sie sich dann mit anderen 30.000 Dortmund-Fans die 1:3-Niederlage ihrer Mannschaft an.

Fans warten vor dem UEFA Super Store am Brandenburger Tor

CC BY 2.0 von flickr.com/steffenz

CC BY 2.0 Fanartikelstand vor dem Brandenburger Tor

Gleichzeitig fand am ersten Juniwochenende aus unerfindlichen Gründen das Champions-League-Finale zwischen Juventus Turin und dem FC Barcelona ausgerechnet im Berliner Olympiastadion statt. 70.000 Anhänger beider Fanlager waren angereist. Zehntausende Barca-Anhänger belagerten das Zentrum West am Kurfürstendamm, während man die Tifosi fürsorglich räumlich trennte und zu Tausenden im Zentrum Ost, am Alexanderplatz gewähren ließ. Das offizielle UEFA-Fanfest fand am Brandenburger Tor statt, wo das Spiel aber seltsamerweise gar nicht übertragen wurde.

Vor allem die Autofahrer jammern in diesen Wochen arg, weil der Bereich um den Tiergarten seit Wochen großräumig abgesperrt ist. Es lohnt sich auch gar nicht, die Sperrung der größten Verbindungsstraße zwischen West und Ost aufzuheben, direkt im Anschluss an das Radrennen begannen die Vorbereitungen für das Fanfest zum Champions-League-Finale und dann standen weitere Events an, so dass bis Mitte Juli alles gesperrt bleibt.

„Baustellen, Protest und Partys - Berlin steht still“ titelten die Blätter und die Berliner CDU, auch als Autofahrerpartei bekannt, fordert bereits „Freiheit für die Straße des 17. Juni“ .

Aber auch wer das Brandenburger Tor großräumig meidet, findet keine Ruhe in der Stadt. Denn am 20. Juni muss ja zur „Fête de la Musique“ auf hunderten Bühnen in der ganzen Stadt musiziert werden und das bringt jede Menge Laufpublikum und Event-Touristen auf die Straßen. Und gäbe es in dieser Stadt nicht schon genug Marathons, Halbmarathons, Skater- und Inline- Marathons - nein - am Flughafen Tempelhof fand zeitgleich der 10-Kilometer-Frauenlauf statt, während vom Neptunbrunnen am Alexanderplatz aus 1.000 Tierschützer auf Initiative der "Aktion Fair Play Berlin" für "Zirkus ja, aber ohne Tiere" - zum Bundestag zogen.

Außerdem ist der 20.6. der Tag des Flüchtlings, deshalb zogen 10.000 Demonstrantinnen vom Kreuzberger Oranienplatz zu Kundgebung und Konzert am Brandenburger Tor und forderten einen menschlichen Umgang mit Geflüchteten.

Derweil feierte man in Schöneberg das „Lesbisch – Schwule Stadtfest", mit dem wiederum schon das nächste Wochenende, welches ganz im Zeichen des queeren Berlins stand, eingeläutet wurde.

Plakat zum Kreuzberger Christopher Street Day

KCSD

Am 26. Juni zogen angeblich eine Million Menschen mit der CSD- Parade durchs Brandenburger Tor. Und weil vielen der große CSD zu unpolitisch ist, organisierte ein Bündnis den kleinen „ Kreuzberger CSD“ mit dem Motto „No pink Camouflage - queer bleibt radikal - unanständig, unintegriert , unbequem“ mit Konzerten und Reden am Kreuzberger Heinrichplatz. Tags zuvor hatten bereits die „Dykes on Bikes“ die Straßen unsicher gemacht. Bereits zwei Tage nach dem CSD musste an gleicher Stelle wieder aus Solidarität mit dem Istanbuler CSD, der von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurde demonstriert werden. Diesmal unter dem Motto „VARDIK, VARIZ, VAROLACAĞIZ UNS GAB ES, UNS GIBT ES, UNS WIRD ES GEBEN“
.
Aber es gibt auch immer wieder fröhliche Anlässe für Menschenaufläufe, so feierte man am Kottbusser Tor ausgelassen das gute Abschneiden der kurdischen HDP bei der Türkei-Wahl und in der Wrangelstraße protestierte man noch mit der Lesung Berliner Schriftsteller gegen die Kündigung des Gemüseladens Bizim Bakkal
fm4.orf.at/stories/1760195/), als die frohe Kunde eintraf: Der Protest hat genützt, die Kündigung wird zurück gezogen!

Und neben all den Festen und Events hatten die Gewerkschaften auch immer noch was zu demonstrieren, wackelten tausende AC/DC Fans zur U-Bahn und zum Konzert und torkelten wieder zurück - und die Queen war in der Stadt!

Wer hofft, dass jetzt erst mal das Sommerloch kommt, täuscht sich: Irgendwas ist ja bekanntlich immer. Im Juli und August gibt es traditionell die Schlagerparade, Fuckparade, Bello- Parade, Hanfparade und das „Internationale Bierfestival“ , schon am 25. Juli soll es eine Neuauflage der Love Parade, den „Zug der Liebe“ geben.

Zug der Liebe Logo

Sabine Knopp-Didlaukies

Das alles ist sehr schön und die Fülle des Lebens, die wir so schätzen, und wegen der wir in einer großen Stadt wohnen. Und wenn es am Wochenende 38 Grad gibt und uns alles zuviel wird – dann fahren wir raus aus Berlin, ins leere Brandenburg, wo man immer wieder einen neuen See mit Pommesbude und altem Baumbestand entdecken kann. Nach einer nervigen Fahrt durch die heiße Stadt endlich angekommen sehen wir aber - auch Brandenburg ist eventverseucht. Deutlich steht es auf den großen Plakaten: Großes Wikingerfest am See.