Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Satanische Streams"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

20. 6. 2015 - 23:04

Satanische Streams

Es heißt, Apple Music sei eine unspannende Idee. Von wegen: Die Monopolisierung des Pop ist der Plan, dem zuliebe die kleinen Fische sehr bald ihre Musik verschenken dürfen. Sie müssen ja nicht, sie dürfen nur. Eh.

Gestern war ich in einem neuen Londoner Stadtteil, der im letzten Jahrzehnt oder so im sogenannten Paddington Basin zwischen dem Westway und dem dortigen Bahnhof entstanden ist.

Update, 22.6.

Nachdem die Pop-Sängerin Taylor Swift das Vorgehen von Apple auf ihrem Blog als „schockierend und enttäuschend“ kritisiert hat, hat Apple Music jetzt die Regeln geändert:

Auch in den ersten drei Gratis-Monaten sollen die Musiker_innen für das Streamen ihrer Songs bezahlt werden. Betrag pro Stream unbekannt. Mehr auf orf.at

Taylor Swifts Blogeintrag

Jahrzehnte war dort nicht viel mehr als abgezäuntes Brachland, jetzt stehen da die Sorte Bürotürme, zwischen denen sich Windkanäle bilden, an deren Schnittpunkt Architekt_innen dann gern "Plazas" planen und flanierende Menschen auf ihre Skizzen rubbeln (ich weiß schon, sie rubbeln schon lange nicht mehr, aber lasst mir doch mein romantisches Bild).

Leider hab ich keine Fotos von den dort optimistisch platzierten, sich kurz vor dem Abheben wie Segel aufbäumenden Liegestühlen gemacht, die nach kurzer Flugphase wieder schlaff auf den Asphalt niederkrachen. Ich musste schnell weiter, weil in einem der Türme der Rest eines Musikmultis eine Hälfte des achten Stocks belegt und ich dort einen gewissen Musiker zu interviewen hatte.

Um all das geht’s jetzt hier aber gar nicht, sondern um die Ausgabe des Branchenblatts Musicweek, die in der Warte-Ecke des Major-Labels auf dem Couch-Tisch herumlag.

Da las ich nämlich einen Artikel über die Pläne eines gewissen Eddy Cue, Senior Vice President der Abteilung für Internet Software and Services bei Apple, der gemeinsam mit Produzentengott und Zahnchirurgie-Model Jimmy Iovine jenes Streaming Service namens Apple Music ausgeheckt hat, das allen Apple-User_innen ab Ende Juni massiv aufs Aug gedrückt bzw. ans Ohr gelegt werden soll.

Update 2, 24.6.

Die großen Indies PIAS und Beggars haben sich nun auf einen Deal geeinigt. Angeblich war der schon vor Taylor Swifts Intervention in Verhandlung, was vermutlich stimmt, weil in drei Tagen aufsetzen, vorlegen, prüfen und gegenzeichnen, das wär sich wohl kaum ausgegangen.

Alle anderen verbleibenden Indies hüpfen automatisch jetzt nach, wenn ihre digitalen Vertriebe mitziehen (wovon auszugehen ist).

Falls jemand noch nicht davon gehört haben sollte: Apple Music ist eine mit dem nächsten Update jedes Apple-Geräts installierte App, die man bloß anzuklicken braucht, und schon gibt es Gratismusik zuzüglich eines Online-Radiosenders namens Beats 1, geleitet von Trent Reznor und dem von Radio One abgeworbenen Zane Lowe, und zwar erst einmal gratis für drei Monate, bis man sich (wenns wahr ist) das Downloaden oder Spotify abgewöhnt hat und bereit ist, neun Dollar neunundneunzig pro Monat für die Geschichte zu bezahlen.

Das wird dann noch gekoppelt mit "Connect", wieder einmal einem neuen sozialen Netzwerk, wo Bands eifrig "likes" sammeln dürfen, diesmal aber mit direkter Anknüpfung ans Konsum-Medium (ein ebenso direkter Angriff auf Soundcloud).

Da saß ich also und las dieses Eddy Cue-Zitat, das mich mit seiner verworrenen Syntax allein schon ganz schwindlig machte: "There's nobody that wants us to be more successful than the music labels."

Das kann heißen: "Es gibt niemand, der will, dass wir erfolgreicher sind als Musik-Labels." Was sehr defätistisch wäre, denn gar so erfolgreich sind Musik-Labels ja heutzutage nicht gerade.

Aber der abgebildete Eddy Cue lächelte dazu ganz freundlich. Es liegt also nahe, dass er gemeint hat: "Niemand wünscht uns mehr Erfolg als die Musik-Labels." Meinend: Die Labels sind auf unserer Seite, weil wir ihnen geschäftlich nützen werden (darauf kommen wir noch zurück).

In einer längeren Version derselben Story kommt auch Jimmy Iovine zu Wort, der meint, er sei "höllisch versessen" darauf gewesen, mit Apple zu arbeiten: "Als ich diese Typen traf, sagte ich: Okay, das ist es, ich werde die vollkommen unterstützen. Ich bin begeistert davon."

Alles andere wäre auch eher unbescheiden, schließlich hat Apple Iovine und seinem Geschäftspartner Dr Dre ihre gemeinsame Firma Beats Electronics um 3 Milliarden Dollar abgekauft (a propos Geschäftspartner).

Die von Iovine und Cue in Sachen Apple Music an den Tag gelegte Rhetorik klingt geradezu idealistisch: Gegen die Exzesse des amerikanischen Formatradios, gegen die Allmacht der Algorithmen. Ein gut gemeinter Satz jagt den anderen (bisschen so wie bei der Übernahme einer Tageszeitung durch einen neuen Verlag, da hört man dann ja auch immer total nett klingende Phrasen vom Qualitätsjournalismus, den die Leute verdient hätten - verlässlich die Präambel für Schlimmes).

Nach der Präsentation von Apple Music Anfang der Woche hatte ich zunächst den dementsprechend blasierten Reaktionen auf meiner Timeline vertraut: Unspannende Sache, nichts Neues, wird niemand interessieren, wieder ein Apple-Flop.

Aber dann las ich am Mittwoch die seither tausendfach verbreiteten Tweets von Anton Newcombe von Brian Jonestown Massacre, und die ganze Geschichte bekam eine völlig andere Schlagseite:

Wie jeder Musikblog auf Erden seither per copy-paste berichtet hat, tweetete Newcombe, der "satanische Konzern" Apple habe ihm gedroht, seine Musik aus dem iTunes-Store zu entfernen, falls er sich weigerte, sie Apple Music drei Monate lang zum Gratis-Stream zur Verfügung zu stellen.

Hier ein Interview mit Newcombe zu dem Thema vom vergangenen Donnerstag.

Das widerspricht nun direkt den Aussagen Eddy Cues, der gegenüber der Musicweek behauptet: "Wir sollten keinem/r Künstler_in diktieren, ob seine/ihre Musik gratis angeboten wird oder nicht. Wir finden, Künstler_innen und Labels sollten entscheiden, was sie gratis machen wollen. Sie können alles, was sie wollen, in Connect posten und gratis und überall zugänglich machen. Sie müssen nicht einmal zu Apple Music kommen, wir werden es für sie streamen und alles gratis machen (Was soll das nun wieder heißen, Anm.) Aber wenn sie das nicht wollen, ist das ihre Wahl."

Als Schreiberling, der gleichzeitig Musiker ist und seine Finger in einem Label-Kollektiv hat, bin ich ja von verschiedenen Seiten dieses Themas nicht gerade weit entfernt, kenne aber in meinem Umkreis niemand, der/die mir genau sagen kann, ob jene Erpressung, von der Newcombe erzählt, von Apples Seiten auch wirklich so ausgesprochen wurde (er meint, er habe das vom Vertrieb Cargo gehört, und es gibt wenig Grund, ihm das nicht zu glauben).

Aber selbst wenn das bloß ein Missverständnis wäre: Zehn Tage vor dem Launch weiß bei den Indies niemand wirklich, was auf uns zukommt. Nicht einmal bei den digitalen Vertrieben, die deren Katalog im Netz verwalten. Und das sagt an sich schon alles über Apples Einstellung gegenüber den kleinen Fischen im Teich.

Das Ruinengebäude der einstigen Majors hängt sich heutzutage gierig an jedes Geschäftsmodell an, mit dem sich das in den letzten fünf Jahrzehnten angesammelte Familiensilber monetisieren lässt, und hat sich unüberraschenderweise schon vor einer Weile mit Apple Music auf ein Geschäftsmodell geeinigt.

Die Independents dagegen, die für ihr Überleben neue Musik verkaufen müssen, die erst produziert werden will (und das von Künstler_innen, die erst bekannt gemacht werden sollen) haben insbesondere mit Apples dreimonatigem Gratis-Angebot ein großes Problem.

Siehe diesen Artikel auf musicbusinessworldwide.com, demzufolge einige Indies mit ihrer Beteiligung an Apple Music abwarten werden, bis das Gratisfenster sich geschlossen hat (ja dürfens denn des?). Siehe aber auch das aktuelle Statement von Beggars Banquet, das zum Beispiel das ungeklärte Problem der Soundcloud-Konkurrenz Apple Connect als tantiemenfreies Musikservice aufwirft.

Fest steht: Apple wird in der Gratisperiode an die Musikmachenden nichts auszahlen, seine eigene Plattform also auf deren Kosten - und zum Schaden aller anderen Vertriebspartner der Musikmachenden - bewerben und einführen.

Man erlaube mir dazu eine sehr offensichtliche Analogie: Wenn ich Ende Juni einen Plattenladen aufmachen und als Werbeidee drei Monate lang meine Ware an die Kundschaft verschenken würde, wäre das an sich schon ein ziemlicher Affront gegenüber allen anderen Plattenläden, die ich durch mein Dumping vernichte (bloß, dass das in diesem Fall auch schon ein anderer Laden namens Spotify macht). Selbstverständlich müsste ich diese Ware aber zumindest mit den Vertrieben verrechnen, so als hätte ich sie verkauft, und den Einkaufspreis der verschenkten Ware aus eigener Tasche bezahlen.

Allerdings ist das Prinzip "Schenk mir Ware, damit ich sie weiterschenken kann" in der digitalen Musikwirtschaft längst gang und gebe. Konsument_innen wissen das vielleicht nicht, aber wann immer euch Googleplay oder iTunes oder sonst eine Plattform ein Download schenkt, dann haben Vertrieb, Label und Künstler_innen auf ihre Einnahmen verzichtet. Von wegen Promotion und so.

Das eh schon zweifelhafte Argument ist, dass die Leute dafür dann den Rest deines Albums kaufen werden. Und wenn du nicht mitmachst, dann machen's eben die anderen.

Sobald so ein Prinzip einmal Fuß gefasst hat, weiten die Nutznießer, die großen Internet-Konzerne nämlich, es aus, bis niemand mehr nein sagen kann. Das unmoralische Angebot von Apple Music ist also kein aus dem Blauen heraus kommendes Komplott, sondern eine logische Weiterentwicklung einer lange bestehenden Praxis. Je höher der versprochene Nutzen, desto größer das geforderte Opfer.

In diesem Fall verspricht Apple: Wenn ihr Künstler_innen und Labels euch jetzt für uns das Hemd auszieht, werden wir euch in drei Monaten an unsere 800 Millionen User_innen heranlassen. Und falls die nachher nicht dabei bleiben, weil 9,99 eben immer noch mehr als gar nichts ist, könnt Ihr euch ja bei Connect weiter verschenken. Ihr müsst natürlich nicht, aber könnt ihr euch das leisten?

Sohn hälft FFS Platte in die Kamera

Robert Rotifer

Sohn mit selbst gekauftem Tonträger

PS: Ich erzähl ja hier sonst nichts Privates, aber mein 16-jähriger Sohn ist gerade im ärgsten Schüttregen mit dem FFS-Album in der Tasche nach Hause gekommen. Er hat sich in letzter Zeit das Tonträgerkaufen angewöhnt, keine Ahnung ob des Sounds, der taktilen Erfahrung oder des Distinktionsgewinns wegen. Aber wer weiß, wenn sich die Konzerne so unappetitlich anstellen, werden am Ende Tonträger glatt noch der neue Rock'n'Roll.