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Andreas Födinger

tourt(e) mit Bilderbuch, Beth Edges, Farewell Dear Ghost, Gerard uvm. durch die Länder, trifft dabei hochinteressante MusikerInnen

6. 5. 2015 - 19:11

Normaler Irrsinn

Die österreichische Band Farewell Dear Ghost tourt durch China. Heute: der finale Tagebuch-Eintrag Nummer 4, Shanghai/Wuhan.

Farewell Dear Ghost auf China-Tour
30.04. Peking, Sound of the Xity
01.05. Nanjing, Secco Bar
02.05. Shanghai, Yuyintang Club
03.05. Wuhan, Vox Club

Farewell Dear Ghost sind:
Philipp Szalay, Alex Hackl, Andreas Födinger, Philipp Prückl

Unterstützt durch das Österreichische Kulturforum Peking

Liebes Tagebuch,

du glaubst jetzt wahrscheinlich nach Peking und Nanjing, dass die Bande aus den vier Helden eh schon alles gesehen hat und die nächsten Tage die Spannung des aufmerksamen Verfolgens eines Formel-1-Qualifyings besitzt. Nun, damit liegst du völlig falsch. Was nämlich die nächsten Tage auf der chinesischen Tour geschah, ist eigentlich way beyond normalem Irrsinns zu beschreiben. Das war noch einmal eine Spur außergewöhnlicher als alles zuvor Dagewesene.

Aber fangen wir chronologisch an, ich als notorischer Listenfreak kann halt auch nicht anders, Eile ist des Witzes Weile.

Wie eine Walze drübergefahren

Shanghai, 02.05.
Chinas vielleicht wichtigste Industriemacht und zugleich eine der größten Städte der Welt besitzt den Charme einer Digital-Armband-Uhr von Casio, gekauft für drei Piepen am Rummel. Also blinkend, dreckig und wenn du sie in hippe Lokale ausführst definitiv Gesprächsthema Nummer Eins. Das Las Vegas von China, urbaner Neon-Flair meets super abgefucktes Hotel, Löcher in der Decke und den vielleicht coolsten Tourmanager, den die Backstreet Boys jemals hatten. Aber bevor ich da jetzt wieder in Kokosmilch-Gesülze abdrifte, musst du wissen, dass Farewell Dear Ghost in Shanghai den, so ließ ich es mir sagen, berühmten Yuyintang Club zerlegten, in Schutt und Asche rockten. Man muss sich das so vorstellen, von der Größenordnung her ein bisschen wie das Wiener Flex, zu Zeiten bevor sumpfartiger Mief das seidl-haltige Odeur zu Boden boxte. Also durchaus eine lässige Mischung aus Rock und Atmosphäre.

Farewell Dear Ghost in Shanghai.

Andreas Födinger

Nachdem uns besagter Tourmanager (manche nannten ihn Abe) zum Dinnieren ausführte und dann ausgerechnet eine britische Bar als Pre-Show-Party (anscheinend macht man das so in China) auswählte, fing der Abend eh schon wieder seinen gewohnten Lauf zu nehmen. Da stehst du irgendwo in Shanghai, spielst Tischfußball (extrem tighte und druckvolle rhythm section vs. brainless guitar players) und nippst derweil an leicht bräunlichen, säurehaltigen Liquiden. Kurzum: Ein Traum in Weiß, mit einem Blumenstrauß. Als die Bande sich nach einem Debakel im Tischfußball für Alex "der Vulkan" Hackl und Philipp Szalay zurück in den Club begibt, steppt dort zwar noch kein Bär, aber zumindest ein Wintergoldhähnchen. Die überaus verzückende lokale Supportband Running Blue betört leicht Beach-House-mäßig und schüchtern den ersten eintreffenden Schwall an ortsansässigen Chines_innen. Zu meiner bewundernden Freude mischen sich unter das Publikum auch heimisch wirkende Europäer_innen, "sicher Studis oder sowas" denk ich mir, als aus Philipp Prückl's Augen bereits Blitze in den Äther schießen.

Farewell Dear Ghost in Shanghai 2.

Felix Dicketmüller

Vorhin erwähnte ich kurz den steppenden Bär. Und wenn du dich erinnerst, Tagebuch, habe ich im zweiten Eintrag über Peking und das verrückte euphorische Publikum gesprochen. Was soll ich sagen? Was dann während unseres einstündigen Intermezzos auf den Brettern des Yuyintang Club geschah, das hat jetzt nix mit steppenden Bären oder verrücktem Publikum zu tun. Der Bär steppte nicht, er schlug Salti, warf Feuerlöscher durch den explodierenden Raum, fuhr 90 km/h mit einem klapprigen, chinesischen Elektro-Bike. Es ist irre. Die unfassbar dankbare Euphorie der Chines_innen haut die Band förmlich aus den Socken, da rockst du gleich drei mal härter, wenn der Szalay dem Publikum befiehlt, ein Feuer im Fieber der Nacht zu starten. Die Nacht hatte kein Fieber, sondern die Pumpe ging viel zu schnell. Nicht nur bei Tonmeister Felix Misch Maschine, auch bei Alex "der Insomniac" Hackl und Philipp S., die beflügelt vom Enthusiasmus those famous Shanghai Nights in Karaoke Bars und an Imbissständen beendeten. Ohne Schlaf. Normaler Irrsinn.

Abgerockt in Wuhan

Wuhan, 03.05.

Farewell Dear Ghost Shanghai

Alex Hackl

Nach einer derart berauschenden Nacht, fängst du als Band natürlich einmal schnell an, auszuflippen und deine Knollennasen gen Himmel empor zu strecken. Dass du dir das in China aber nicht erlauben kannst, dafür sorgen dann eh die Taxi-Fahrer. War nämlich in Wuhan auch so. Nach einer hyper-super-dyper-mega-schnellen Zugfahrt (an die sechs Stunden) ins ferne Wuhan merkst du schnell, dass diese Stadt ein bisschen anders als alle anderen ist. Weit weniger westlich, noch um einiges dreckiger, noch grauer als Peking, die rasenden Taxi-Fahrer rasen noch mehr und können noch weniger Englisch. Jetzt spuckt das klappernde Gefährt da vier abgerockte Musiker, die sich in jedem fahrbaren Untersatz aufs Ohr hauen, inklusive einem Instrumente schleppenden Sound Technician, mitten in Wuhan aus. Dann musst du natürlich auch erst einmal zu suchen anfangen, wo ist denn das Hotel bzw. wo ist die Location des Gigs?! Jagdlich webt sich das Schiffchen Farewell Dear Ghost locker durchs Revier, angestarrt von passierenden Chines_innen, die dich ohne Scheu von oben bis unten mustern, wie es anno dazumal die steirische Eiche in einem recht bedeutsamen Film machte. Es bedurfte einer doppelten Portion Charme Philipp Prückls ausgebuffter Fruchtzuckerqualitäten, um den Vox Club erst ausfindig zu machen, und dann dessen Besitzer davon zu überzeugen, dass wir wirklich die Band sind.

Farewell Dear Ghost - China-Tour-Ende

Andreas Födinger

Jedenfalls, was soll ich sagen, die Nacht in Wuhan war - sagen wir, sie war normal. Wenn du nämlich den vierten Gig am vierten Tag spielst, dazwischen mehrere tausende Kilometer per Flugzeug, Taxi, Taxi und Zug zurückgelegst, ist das irgendwie emotional manchmal ein bisschen routiniert, vor allem, wenn das Publikum zwar auch durchaus zahlreich vorhanden ist, aber nicht ganz so derbe am Rad dreht wie in Peking oder Shanghai. Und wenn der Club nicht so außergewöhnlich ist wie in Nanjing. Du musst aber mittlerweile schon wissen, dass bei Farewell Dear Ghost auf dieser Tour dann irgendwie doch schon lange nix mehr normal ist, und dass jede Nacht diesen einen Play-Station-Moment innehat, wie das Stricken einer ägyptischen Mumie. Immer heftiger verbeißen wir uns an diesem Abend nämlich in unerreichbar schwebenden Luftblasen, schließen Freundschaft mit Food-Stall-Betreibern und ihren Angetrauten, treffen Kröten in Körben, hüpfen durch rauschende aggressive Fontänen (ist nämlich gut für die Haare), verlieren den Bassisten und erfreuen uns seiner Fruchtzuckerqualitäten. Normaler Irrsinn irgendwie schon wieder. Die letzte Station der Tour. Zumindest der konzertanten Tour. Die andere ging noch weiter, nach Xiao Yang Kou, zu wirbelwindigen Multimilliardären, einem Marathonläufer ohne Hosen und der gecrashten Party. Das verrat ich dir aber nicht, liebes Tagebuch. Dazu musst du mich fragen. Ich bin nämlich auch irrsinnig normal.

PS: Ach ja, und falls jemand fragt, warum hier fast ausschließlich Selfies hochgeladen wurden. Du musst wissen, das Lieblingsspielzeug, vielleicht der Lebenssinn mancher Chines_innen ist das Handy und der dazugehörige Selfie-Stick. Wie ein Haustier.