Erstellt am: 27. 3. 2015 - 15:20 Uhr
Die britischen Männer und ihr diffuser Zorn
Vielleicht sollte ich zuerst einmal kurz warnen: Wer sich Luzides zu den jüngsten musikalischen Entwicklungen von The Prodigy erwartet, der/die wird hier wenig darüber finden.
Ich meine, seien wir uns ehrlich, selbst Liam Howlett sagte mir im Interview, es sei "wichtig für The Prodigy, zu klingen wie The Prodigy", und das heißt eben, dass auf ihrem neuen Album "The Day Is My Enemy" reichlich Breakbeats mit jeder Menge Triolen und vorgezogenen Einsen und bedrohlichen Stammestrommelrhythmen drauf sind und allerhand Sirenen, Spielhallengebimmel, Filmsoundtrackwummser, kriegerisches Gebrüll, skandierte Songtitel, brötzelnde Gitarrenriffs.
Angelegt als Soundtrack für die tanzbare Beschallung von Rock-Festivals, ist das so ziemlich die unfunky misanthropischste Musik, die ich mir in diesem Moment vorstellen könnte. Durch "Rok-Weiler" zum Beispiel zieht sich eine Mischung aus genau den Frequenzen, die ein LKW im Rückwärtsgang und ein zwei Gassen weiter losgegangener Autoalarm machen, während nebenan ein Presslufthammer loslegt. Und ihr wollt das genau so und nicht anders, das weiß ich schon.

The Prodigy
Ganz ehrlich gesagt hab ich mich ja noch einmal in dieses Album vertieft, um für den Muttersender hier meine unter Verwendung erwähnten Interviews entstandene Listening Session für das heutige Connected zu produzieren, und ich muss sagen, das ist genau der Sound meines sich anbahnenden Nervenzusammenbruchs.
Vielleicht lässt er sich damit sogar noch ein wenig beschleunigen.
Das soll nicht einmal ein Witz sein.
Es sei der Job von The Prodigy, sagte Liam Howlett in erwähntem Interview, die elektronische Musik "in den Arsch zu treten", weil sie zu weich geworden sei und sich vom Pop als Geisel nehmen lassen habe.
Ich weiß zwar nicht ganz, ob sich dieses doch etwas weiträumige Pauschalurteil begründen lässt, es ist aber die richtige Sorte Spruch für die Rockjournalisten, die sie einem wie Liam Howlett durchs Hotelzimmer schicken. Ein bisschen rotes Fleisch zum Mitnehmen für meinesgleichen.
Mir reichte das aber nicht ganz, also sprach ich ihn und den neben ihm sitzenden Maxim auf den doch erheblichen Zorn an, der in dieser Musik steckt. Wo der herkommt und was sein Ziel ist.
Schließlich habe ich die altmodische Angewohnheit, Pop-Platten in ihrem Zeitkontext zu sehen, und es interessierte mich, warum dieses Album jetzt wieder eine große Sache werden soll. Wie es in die allgemeine Stimmungslage in David Camerons Großbritannien passt, wo ja angeblich wieder alles aufwärts geht und säumige Müßiggänger_innen zur Gratisarbeit verdonnert werden.
Wir wissen, dass The Prodigy, auch wenn sie heute in London leben, aus einer wenig lustigen Ecke von Essex kommen. Genau die Sorte Gegend, wo heutzutage sehr viel (männlicher) Zorn wie eine elektrische Ladung in der Luft liegt und Typen in kleinen Autos mit abgedunkelten Fenstern durch die Nacht preschen, die man besser nicht nach dem Weg fragen sollte. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie dabei dieses Album auf ihrem USB-Stick laufen haben.
A propos: Das Feindbild USB-Stick-DJ ist im Song "Ibiza" immerhin ein konkretes Objekt des ansonsten immer abstrakt bleibenden Zorns auf "The Day Is My Enemy". Nicht zuletzt, weil Gastsänger Jason Williamson von Sleaford Mods sich dieses Themas in typisch wortreicher Manier annimmt.
"What's he fuckin' doin'!?"
Na ja, also Platten legt er offenbar keine auf.
Sleaford Mods sind jedenfalls, so wie The Prodigy auch, zornige Männer in ihren mittleren Vierzigern, bei denen man nicht ganz genau weiß, wo nun tatsächlich ihre politischen Sympathien liegen. "Sie scheinen sich zu bemühen, sich da rauszuhalten", sagte Howlett, aber "Jason ist einer, der meine Sprache spricht."
Ich versuchte, von Liam und Maxim mehr über die negativen Energien in ihrem Leben zu erfahren, jetzt, wo sie nicht mehr wie in den frühen Neunzigern die Raver-feindliche Criminal Justice Bill zu bekämpfen haben. Ich wollte wissen, was sie von der fremdenfeindlichen Aggression halten, die sich in den schäbigeren Gegenden des südöstlichen England unter dem Schirm von UKIP bündelt, aber sie hielten sich von jedem Statement fern, stellten nur vage fest, dass sie sich um die Sicherheit ihrer Kinder sorgen machten. "The threat can come from anywhere", sagte Liam Howlett.
Natürlich war mir das nicht gut genug, aber Maxim hatte doch auch recht, wenn er meinte, es sei nicht "der Job" (ein in diesem Gespräch oft gebrauchtes Wort) von The Prodigy, ihre politischen Meinungen in ihre Musik einfließen zu lassen. Auch nicht in Songs wie "Get Your Fight On", wo es bloß ermunternd heißt: "Here's something to fight on."
"Trash this and trash that", brüllt Keith Flint in "Wall of Death", nicht so spezifisch.
Der Fuchs mit den glühenden Augen, den man auf dem Album-Cover sieht, ist allen Bewohner_innen des urbanen Britannien ein vertrautes Bild. Er zieht durch die Straßen und beißt die vor den Haustüren liegenden Müllsäcke auf. Die Metapher des verfolgten Einzelkämpfers braucht keine Erklärung, aber sie enthält auch keine Wertung.
"A spoonful of sugar just to sweeten the taste, just to keep you in your place", heißt es in "Medicine" zu arabischen Klängen, und man denkt vielleicht an die Manipulation der Massen durch das Establishment, aber das "Never surrender" im Refrain bringt wieder unangenehme Assoziationen mit englischen Fußball-Hooligans hoch, die gern mit protestantischen Parolen aus Nordirland provozieren. Zuviel sollte man da besser nicht hineinhören.
Als neulich Jeremy Clarkson, der latent rassistische, fremdenfeindliche Moderator der benzingeilen Autosendung Top Gear von der BBC rausgeworfen wurde (sprich: sein Vertrag nicht verlängert wurde), nachdem er seinen irischen Produzenten zwanzig Minuten lang beflegelt und verprügelt hatte, weil jener ihm ein kaltes Steak servieren hatte lassen, unterschrieb mehr als eine Million Menschen eine Online-Petition für Clarksons Verbleib in der Sendung.
Und ein als The Stig (der anonyme Testfahrer aus Top Gear) kostümierter Typ fuhr aus Protest mit einem Panzer vors Broadcasting House der BBC vor.
Daran musste ich heute beim Anhören des Prodigy-Albums denken. Die britischen Männer und ihr diffuser Zorn eben.