Erstellt am: 15. 3. 2015 - 20:27 Uhr
Österreich Unser
Der grandiosen Distinktionsidee von Kollegen Marc Carnal folgend, wäre es hier probat, zu behaupten: Ich hasse Wanda! Ich hasse Bilderbuch! Ich pfeife auf alles Heimische und Autochthone, alles Nostalgische, alles Witzige, Pseudolockere, Coole, den "Schmäh" Ausspielende, Morbide, Tongue-in-cheek-Sexistische von diesen Männergesangsvereinen und Boys Clubs! Ich hasse Wien!
Diesen Sonntag im Sumpf ab 21 Uhr und anschließend 7 Tage on demand:
Jö schau!
Ernst Molden und der Nino aus Wien deuten auf ihrem Album "Unser Österreich" ein Dutzend Songs zwischen frühem Ambros und Falco erstens anders und zweitens als man singt. Ein Gespräch über das Austrian Songbook und den Oarsch als Ende aller Dinge.
So geht das aber nicht, ohne Freunde zu verlieren, also könnte ich sagen: Ich hasse Austropop! Ja, das geht, die Leute, die sich dadurch beleidigt fühlen würden, kommen nur selten in meine Gasse, sind verstummt oder von ihrer besten Zeit zu verschieden oder sie sind überhaupt verschieden.
Leider stimmt das nicht ganz. Ich muss ja Ernst Molden recht geben, der in seinem Sumpf-Interview die Bedeutung des Wiener bzw. österreichischen Punk / New Wave als Modernisierungsschub und Befreiungsschlag von dem Nachkriegs-Nazilehrer-Mief, in dem Österreich sich dem Vernehmen nach so lange befunden hat, für überschätzt hält: Blümchen Blau, Chuzpe und Minisex waren nett, aber ich hätte sie jederzeit für Der Plan, S.Y.P.H. oder Fehlfarben stehen lassen, von DAF nicht zu reden, während ich Wolfgang Ambros mühelos über alle seiner deutschen Pendants seiner Zeit, Wecker, Niedecken, Lindenberg, stellen kann.
Dieser Entmiefungsverdienst gebührt neben Bruno Kreisky eindeutig dieser kleinen, heterogenen Bubenclique (im Folgenden so bezeichnet), die amerikanischen Folkrock mit Dialekttexten nicht nur erstmals aufgeführt, sondern derart auf den Punkt gebracht hatte, dass sie daraus eine Art "Identitätskultur" erschaffen hat - mit allen Nachteilen und Lächerlichkeiten, die so etwas mit sich bringt: den "Austropop".
Helmut Zenker und Ernst Hinterberger taten noch das ihre dazu, dass jeder dahergelaufene Standard-Poster diese anarchistische und kreative Zeit, die Siebziger Jahre, nostalgisch als die beste Zeit der österreichischen Populärkultur bezeichnen darf.

Monkey
"Unser Österreich" verneigt sich vor diesem kleinen Fenster, und weil es nicht sein muss, tappen Ernst Moden und der Nino aus Wien nicht in die Fallen, von denen der weitgehend übelriechende Austropop so viele bereitstellt.
"Schmäh"
Die meisten österreichischen Interpreten, an die man sich noch erinnert (über den Austropop hinaus), hatten entweder ihre ersten oder ihre größten Erfolge mit Witzen: Ambros ("Zwickt's mi", Watzmann, Zentralfriedhof, sogar der Hofer ist eine Anekdote), Danzer ("Hawelka"), Heller (Hermann Leopoldis "Schnucki"), Brauer ("Sie hab'n a Haus baut", "Surmi Sui"), Fendrich ("Strada del sole" und noch zwanzig), Wilfried ("Ziwui Ziwui"), Bilgeri ("Oho Vorarlberg"), Hirsch ("Spuck den Schnuller aus") und so fort, von der EAV oder Jazz Gitti oder Eintagsfliegen wie Heini Walchers "Gummizwerg" nicht anzufangen. Selbst Falco hatte nicht Coolness, Weltläufigkeit oder sprachliche Virtuosität zuoberst auf der Unterscheidungsskala, sondern seine Version des "Wiener Schmäh".
Uns davon befreit zu haben, dass uns Wiener (oder Grazer) Witzbolde jahrelang täglich sechs Mal denselben Witz im Radio reindrücken dürfen, ist eine der Leistungen der vielgeschmähten Ö3-Formatreform Mitte der Neunziger Jahre.
"Unser Österreich" ist erfreulich humorfrei, wenngleich sich mit einer Delta-Blues-Version von Falcos "Ganz Wien" oder dem Danzer'schen "Vorstadtcasanova" auch zwei kleine Novelty-Brötchen eingeschlichen haben. Die Platte durchzieht Melancholie, Depression, Selbsthass und all die anderen Eigenschaften, durch die sich der ominöse "Wiener Schmäh" ausgezeichnet hat - ohne den "Schmäh" selbst herauszustellen (Ausnahmen eben "Vorstadtcasanova" und Hirschs "Zwerg"). Vor allem Wolfgang Ambros hat mit traurigen und grantigen Nummern Größtes geleistet, zwei der besten ("Espresso", "Wie wird des weitergehn") finden sich hier, immer noch zum Weinen gut.
Wer die offensichtliche Witzigkeit dieser Musik aktiv ausspart, hat es sich natürlich in einer obskurantistischen Entdecker-Ecke bequem gemacht. Man könnte sagen, "sag feig, wer 'Schifoan' nicht spielt", was ich natürlich nicht tue. Der Platte selbst und dem Ruf der beiden als eigene, große Poeten tut diese Entscheidung natürlich gut.
"Sound"
Neben einer Fixierung der Austropop-Clique auf nicht unbedingt innovative Vorbilder (die ewigen Dylan, James Taylor, Springsteen - gut, aber nur?) ist es meiner Ansicht nach vor allem die Festlegung auf eine Art des Arrangements, die den Austropop so schlecht riechen lässt. Haupturheber dieses wurmstichigen Stallgeruchs von Streichersülz - hier mach ich mir gern Feinde - ist der in allen Rezensionen der letzten Zeit verschämt verschwiegene und auch vom höflichen Ernst Molden nie namentlich genannte Christian Kolonovits. Jegliches auf allzu selbstähnliche Art mit Streichersätzen und Drama- Keyboard-Akkorden zuzukleben, war sein Erfolgsrezept und das wurde über Karriereenden hinaus gnadenlos zum Leitgesetz dieser Musik erklärt. Vielleicht hat sich das mit seiner Version der "Internationalen" aufgehört, die selbst den Bundespräsidenten fast zum Schweigen gebracht hätte.
Noch bei der Verwirklichung von Wolfgang Ambros' an sich vielversprechender Idee, sich an Tom Waits auf Wienerisch zu versuchen, wurde hier Potential mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen. (Warum hat er diese Platte nur nicht mit Aber das Leben lebt eingespielt, es mit dem Schwimmer, Christopher Just, Fuckhead oder Rewolfinger versucht? Wir wissen warum.)
Man könnte sagen, dass sich hier die Bubenclique zu bequem auf den Errungenschaften dieses zweifellos talentierten Arrangeurs ausgeruht hatte, man könnte sagen, dass sie von Anfang an seine Klebrigkeit entdecken hätte müssen - von diesem ewiggleichen Sound sich zu befreien, war der Bubenclique nicht gelungen, auch das hat viel zum schlechten Geruch beigetragen. (Und auch davon hat uns die obgenannte, vielgeschmähte Reform befreit.)
Nino und Molden machen keine Kompromisse: Sie tun so, als wären diese Lieder alte Folklore, die man dem Vergessen entreißen müsste - deshalb auch der Slogan "Austrian Songbook", der auf der Platte prangt. Der sollte eine Analogie zu den Field Recordings von Harry Smith oder Alan Lomax sein, eigentlich erinnert er ja eher an das "Great American Songbook", eine Art Rock'n'Roll-verneinenden Kanon aus der Tin-Pan-Alley-Zeit, aber egal. So spröde und unmittelbar wie möglich, ohne Band, minimal instrumentiert und rauh, an den Ethos des "first Take" gebunden, als Arrangement maximal Bad Seeds oder Woven Hand duldend ("Der Zwerg") - das steht den Beiden gut, klingt gut, macht den "Liliputaner" von Heller zur besten Nummer auf der Platte und zur besten Interpretation des Liedes jemals und ist ebenso "authentisch", wie wenn Hugh "Dr. House" Laurie mit Professor Longhair eine New-Orleans-Platte macht - aber sich nicht um "Authentizität" zu scheren, ist auch eine gute Eigenschaft der beiden und der Platte.
"Lücken"
Jetzt muss natürlich noch aus dieser meiner wohlwollenden Ecke beschwert werden, sei es nur zur Anregung für "Unser Österreich, Part 2". Drei der größten österreichischen Sänger-Songwriter kommen gar nicht vor: Georg Kreisler, Arik Brauer, Hansi Lang. Schmerzliche Lücken, würde ich sagen, aber selbstredend ist "Unser Österreich" keine beamtete Kanon-Abarbeitung, sondern spiegelt den hochpersönlichen Geschmack der beiden Künstler wider - aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Brauers "Serenade" oder seine "Jause" nicht zu den Lieblingsnummern der beiden gehören. Dass man Kurt Ostbahns Cover-Kultur nicht weiter covert, ok, aber warum eigentlich nicht? "Arbeit" oder "Liag'n und Lochn" sind so Wienerisch wie nur möglich, und ob man sich direkt bei Townes van Zandt bedient oder bei jenen, die sich seiner bedienten, ist auch schon egal. (Die "Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune" hat hier auf sehr moderne Art Pionierarbeit geleistet, wie Rick Rubins Johnny Cash das Alte dem Neuen gegenüber geöffnet, und hat so rückblickend vielleicht mehr für den Wien-Pop-Hype getan, als man ihnen damals zugestehen wollte.)
Und dass "Unser Österreich" nicht "Unser Wien" heißt (was es nämlich ist), ist vielleicht einer Unkenntnis, vielleicht einer Verweigerung geschuldet, der halbe späte Austropop kam nämlich aus Graz, Werner Pirchner und Dreschflegel gab es auch noch, aber man muss ja nicht überall anstreifen.
Die Tatsache, dass die "Bubenclique" keine selbstbewussten weiblichen Songwriterinnen zugelassen hatte, nur Interpretinnen von Jazz oder Chanson (Mendt, Neundlinger, Bill, Pluhar), wird hier von einer neuen Bubenclique wiederholt. Man hätte vielleicht eine schöne Nummer von, sagen wir, Stefanie Werger finden und von den grässlichen Rockismen befreien können - muss ja nicht "Stoak wie a Felsn" sein.
Jedenfalls haben Ernst Molden und der Nino aus Wien sich zumindest dran gewagt, eine Tributplatte an diese Zeit zu machen, und sie haben viel darüber nachgedacht. Wie heißt es immer am Ende von pfeiferauchenden Buchkritiken: Wir sehen einer Fortsetzung mit Wohlwollen entgegen.