Erstellt am: 14. 3. 2015 - 13:39 Uhr
In der Oper
Die Musiker, nicht nur unserer Stadt, zieht es ja vermehrt zum Theater. An der Schaubühne kann man Stücke mit der Hamburger Band Kante sehen, im Deutschen Theater untermalten Notwist Sartre und CocoRosie vertonten Peter Pan im Berliner Ensemble.
Die Liaison ist für beide Seiten von Vorteil: Sie kann dem Theater ein neues Publikum bieten und den Musikern ein Einkommen. Aber es sind nicht nur ökonomische Gründe, die Musiker zum Theater bringen, absurderweise garantiert der staatlich subventionierte Raum auch einen künstlerischen Freiraum. Da man ja, wie inzwischen so langsam jeder wissen müsste, an CDs und Platten als Musiker nichts verdient und auch die Konzerte nach streng marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten funktionieren (Prozente-Deal), gibt das Subventionstheater dann doch die Freiheit, musikalische Experimente zu machen, Dinge auszuprobieren, die sperrig und weniger populär sind. Man ist nicht auf die Zahlenden an der Tür angewiesen und die Bühnenenergie und Stücke sind nicht an die Massenbelustigungsauflagen der sponsorenverseuchten Festivals gebunden. Der Zuschauer kann sich bei langweiligen Inszenierungen dann wenigstens noch an der Musik erfreuen. Und trotzdem ist man und frau doch nach jedem Theaterbesuch immer wieder aufs Neue enttäuscht, und schwört: "Nie wieder!"
Rasant-postdramatisches Theater
Das rasant-postdramatische Theater des René Pollesch ist da die rühmliche Ausnahme. Und wenn Dirk von Lowtzow und Réne Pollesch zusammenkommen, kann eigentlich nichts schief gehen, dachte man in stiller Vorfreude. (Aus Gründen der Transparenz sei hier angemerkt, dass dies keine objektive Theaterkritik wird, da ich mit der Band Tocotronic seit ihren Anfangstagen freundschaftlich verbunden bin und bereits 2004 die Ehre und das Vergnügen hatte mit René Pollesch an der Volksbühne zusammenzuarbeiten).

LSD | Lenore Blievernicht
"Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte" von Dirk von Lowtzow und René Pollesch ist noch bis 23.4.2015 in der Volksbühne Berlin zu sehen.
Wer in ein Pollesch-Stück geht, der darf natürlich keine Handlung und keine Narration erwarten, dafür sehr viel Text und Theorie in Höchstgeschwindigkeit. Sätze ohne Punkt und Komma, die sich elliptisch wiederholen, Diskurstheater mit den Mitteln der Komödie und des Boulevards. Das heißt, es wird auf höchstem Niveau schwadroniert und palavert und ist dabei nie langweilig. Und wenn man zwischendurch auch mal kurz abschaltet - man geht immer mit guter Laune und dem Gefühl bestens unterhalten worden zu sein und ein bisschen Stoff zum Nachdenken aus dem Theater. Was will man mehr? Und dann das Ganze noch mit Musik von Dirk von Lowtzow - es konnte also nur ein wunderbarer Abend werden!
Das Filmorchester setzte zur Ouvertüre an und der Vorhang gab den Blick auf die große Bühne mit Lamettabehang und einer Wasserfläche frei. Martin Wuttke (dem Fernsehzuschauer auch als Kommissar aus dem Tatort Leipzig bekannt), Lilith Stangenberg und Franz Beil - alle in futuristischen Glitterroben - begannen ihr Gespräch. Es ging irgendwie um eine Beziehung, um zehn Jahre, die vergangen waren, um Amöben, um das Sein an sich, das Begehren, das Kraftwerk der Gefühle. Die Wortkaskaden gipfelten in der Frage "Das Selbst, was ist das?" oder "Ist das alles nur Projektion?" "Ich leide an einem riesigen Realitätsverlust", diagnostizierte Lilith Stangenberg immer wieder.
Kopfüber im Wal
Der Lamettavorhang wurde zum Zauberwald, ein vielköpfiger Kinderchor kam auf die Bühne, wurde von der Schauspielerin im Prinzessinenkostüm an der Hand in langen Reihen und Kreisen übers Bühnenrund geführt - ein wunderbares poetisches Bild, wie in einem tschechischen Märchenfilm. Und dann kam das erste Lied, unverkennbar tocotronesk: "Wir werden nie zufrieden sein - Nein Nein Nein" sangen die hellen Kinderstimmen in der schönsten Poesie der Verweigerung.
Im Folgenden wurde ein lebensgroßer, hölzerner Orca-Wal vom Theaterhimmel herab gelassen und bestiegen, eine Videoleinwand zeigte die Filmbilder aus dem Inneren des Wals. Die Schauspieler - anscheinend kopfüber im Wal hängend - zeigten wie Astronauten im Raumschiff, billige Tricks mit der Schwerelosigkeit, um sich dann wieder in hochkomplexe Fragestellungen wie: "Konstruieren wir am Gegenüber nicht immer wieder Subjektivität?" zu ergehen. Als Running Gag nach einer Theoriesalve wurde immer wieder die kindlich-erstaunte Frage: "Und was machen wir jetzt damit?" in die Menge gerufen.
Um das Begehren ging es oft, welches erlischt, wenn es erfüllt wird, um Performativität und das Ereignis an sich. Der Wal verwies irgendwie auch auf die Natur- und Schöpfungsgeschichte, zu dem Punkt, wo sich das Einzelwesen, das einmal Mensch werden wird, aus der Ursuppe herauskristallisiert. Im weiteren Verlauf des Stückes hob und senkte sich der Wal noch einige Mal, verlor Schleim aus dem Mund und sprühte Wasser aus der Fontäne. Die Schauspieler kletterten immer wieder hinein und wieder heraus, besprachen sich drinnen und davor. Wuttke zog ein Amöbenkostüm an, behauptete aber, sich überhaupt nicht verändert zu haben.

LSD | Lenore Blievernicht
Die schönsten Momente waren doch die, als die Lieder erklangen. Obwohl sie für Orchester arrangiert und von Schauspielern gesungen wurden, hörte man die Tocotronic- Songs heraus und hinter den Stimmen der Schauspieler glaubte man die Stimme Dirk von Lowtzows zu hören, was natürlich eine Sinnestäuschung war. Operngesang hörte man nur einmal, als Bariton Martin Gerke vom Inneren des Wals aus ein von der Barockoper inspiriertes Lied sang.
Zu diesem Zeitpunkt war natürlich längst klar, dass es sich nicht um eine Oper, sondern um Theater mit Musik handelte. Dirk von Lowtzow hat etwa fünfzig Minuten Musik geschrieben, der australische Komponist Thomas Meadowcraft hat die Songs dann orchestriert.
Auch der so hübsch abgewandelte Gebrüder Grimm-Titel, "Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte" war wohl nur des Wohlklangs wegen gewählt worden. Denn wenn es auch inhaltlich um fast alles ging, um Gentrifizierung und hohe Mietpreise ging es wirklich nicht.
Moder und heiteres Philosophenraten
"Ich hafte an dir, wie eine Zecke an einem Tier", hauchte Lilith Stangenberg auf französische Lolita-Weise, während das Orchester opulent anschwoll. "Wir haben nie gelebt, doch sind wir miteinander verklebt", antwortete Martin Wuttke in seinem fragilen Tenor. Dazu bewegten sie sich wie schwerelos im Bauch des kolossalen hölzernen Wals. "Ich hafte an dir" und das Herzstück der Oper, das Lied "Jungfernfahrt", werden auch auf der kommenden Tocotronic-Platte zu hören sein.
Ein Highlight des Abends war ein weiteres Lied gesungen von Stangenberg und dem Kinderchor, eine dunkel funkelnde Beschwörungsformel:
"Moder, Moder, Moder Moder, Moder
Deine Liebe zieht mich aus dem Moder"
Nach dem Stück traf sich alles im Sternfoyer und es begann das heitere Philosophenraten. Also Lacan, Foucault, Butler, Freud waren auszumachen, aber auch Zizek? Am nächsten Tag gab es noch einiges nachzudenken über das Stück. Und die schönen Lieder und das beschwörende "Moder, Moder, Moder, Moder!" klangen noch lange nach.