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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

11. 3. 2015 - 20:01

Gehirn zum Frühstück

Das sehr gute Debütalbum der katalanischen Indie-Punkband MOURN.

Die Regel, dass es für einen guten Song nur drei Akkorde braucht, stimmt in vielen Fällen. Umgekehrt und vor allem aber muss der Song selbst erst einmal gut sein, damit er von drei Akkorden leben kann. Die katalanische Band MOURN hat dieses Prinzip verinnerlicht, und ihre Songs erfüllen beide Seiten des Satzes ebenso, wie sie Standards demontieren. "Four nerds playing music and shit at the doors of hell", lautet die Selbstbeschreibung der Band, und dieser unverblümte Ansatz findet sich in den Texten ebenso wie in den Gitarrenriffs und Basslines ihrer oft nur eineinhalb Minuten langen Songs.

Die MOURN-Mitglieder Carla Pérez Vas, Jazz Rodríguez Bueno und Antonio Postius Echeverría, haben – und kein Artikel über die Band kommt ohne diese Information aus – die Volljährigkeit gerade erst erreicht, Bassistin Leia Rodríguez Bueno ist überhaupt erst 15. Der Name ihrer ersten Single, die auf dem Debütalbum allerdings nicht enthalten ist, lautet in jugendlicher Widerborstigkeit: "Boys are cunts".

Mourn

Lita Bosch

Mit ihren musikalischen Vorbildern halten MOURN nicht hinterm Berg. Albumcover und Ästhetik erinnern nicht zufällig an einen Punk-Klassiker; bereits der Vater der Schwestern Jazz und Leia, der spanische Rockmusiker The New Raemon, trägt wohl eine Referenz an die Punk-Urgesteine im Künstlernamen. Er war es auch, der für die musikalische Frühbildung der beiden verantwortlich war und ihnen Sleater-Kinney, Nirvana, Patti Smith und PJ Harvey vorspielte. Besonders den Einfluss letzterer hört man aus den Songs von MOURN an vielen Stellen heraus, in der Führung der Gitarrenmelodien, der unverschnörkelten Singweise von Sängerin Jazz oder ihren stellenweisen spitzen Schreien.

"You call me your baby, I just say: fuck you!“

Mourn Album Cover s/w

Mourn/Captured Tracks

Das Debütalbum von MOURN ist bei Captured Tracks erschienen.

MOURN, das Album, ist im Herbst 2014 erst auf dem katalanischen Label Sones Records erschienen, bevor es von dem New Yorker Indie-Riesen Captured Tracks entdeckt und im Februar dieses Jahres erneut und auf Vinyl herausgegeben wurde. "Wir hatten von dem Label davor noch nie gehört", erzählte die Band dazu in einem Interview, "aber beim Googeln haben wir bemerkt, dass Mac de Marco darauf releast, also war es cool." Die Direktheit, die die Mitglieder von MOURN im Gespräch und auf der Bühne an den Tag legen dürften, findet sich in alter Punk-Tradition vor allem auch in ihren Texten wieder und kommt gänzlich ohne Augenzwinkern aus. "When will you shut up! Marshall!", lautet der simple Refrain des Songs "Marshall", später in "Jack" sing Jazz lapidar: "You think you‘re awesome, I say you’re boring, you called me your baby, I just say: fuck you!" Diese Vier nützen die Ablehnung nicht als Effekt oder Pose, sie können dich wirklich nicht leiden.

MOURN machen sich gerade auf zu ihrer ersten USA-Tour; in Europa sind bisher beispielsweise Shows bei den Festivals Primavera, Pohoda und Iceland Airwaves bestätigt.

Frechheit und Rohheit als Stilmittel gehen bei MOURN gerade deshalb so gut auf, weil sie der Band vollkommen natürlich zu passieren scheinen und ihre Musik trotz aller Sprödheit zugänglich bleibt. Die zehn Songs des Albums transportieren in einer Gesamtspielzeit von nur knapp über zwanzig Minuten mehr Emotion als viele andere Pop-Platten, und das Songwriting ist bis in die hintersten Winkel zwischen Drums, Gesang und Basslinie präzise und sehr gut. Was von dieser Band noch alles kommen kann – oder: ob etwas anderes kommen wird, weil ihre Musik möglicherweise als Momentaufnahme einer Lebensphase funktioniert – man sollte sie in jedem Fall nicht aus den Augen verlieren.