Erstellt am: 6. 3. 2015 - 18:56 Uhr
Ein Mann macht Ping
Ich verpass ja immer alles. Vor zwei Wochen zum Beispiel war ich im Urlaub, sowas kommt auch vor, und da hab ich glatt die Neuigkeit verpasst, dass Zane Lowe Radio One verlassen würde. Erst jetzt, wo es schon passiert ist, hab ich's mitgekriegt.
Zane Lowe, der ist wichtig. Mark Ronson zum Beispiel hat gesagt, er verdanke ihm seine Karriere, und dabei vermutlich nicht gemeint, dass Lowe auf Uptown Special Backing Vocals singt. Als Blur wiederum vor zwei Wochen ihr neues Album ankündigten, da haben sie sich im China-Restaurant von Zane Lowe interviewen lassen. Und ich weiß jetzt gar nicht mehr, für wen oder was die andere große Präsi neulich war, an die ich mich dunkel erinnere, aber was ich genau weiß, ist, dass Zane Lowe da auch präsent war und alles "amazing" fand.
Wenn Enthusiasmus bekundet werden soll, ist Zane Lowe der Mann - egal ob im Auftrag der Musikindustrie oder der BBC, da macht er keinen Unterschied. Übrigens gestehe ich ja offen, seine Radio One-Sendung nie gehört zu haben, allerdings bin ich auch nicht die Zielgruppe, was schon in Ordnung ist und jedenfalls nichts mit meinem Alter zu tun hat, denn Zane Lowe ist gerade einmal vier Jahre jünger als ich.
Der Grund, warum mich trotzdem interessiert, dass er nicht mehr Radio macht, ist, was er sich stattdessen ausgesucht hat, bzw. wofür er ausgesucht wurde. Zane Lowe wird nämlich für eine noch nicht spezifizierte Rolle nach Los Angeles zu Apple gehen. Alle wissen aber eh, was da im Busch ist, nämlich dass Apple in die Welt des kuratierten Streamings einsteigt.
Das Argument geht so: Niemand findet mehr seinen Weg durch die Vielfalt des musikalischen Angebots und die Leute würden sich beim Aussuchen lieber am Geschmack eines ihnen vertrauten DJs wie Zane Lowe orientieren als an einem gesichtslosen Algorithmus, der aus ihren Vorlieben statistisch Dinge errechnet, die genauso klingen, wie das, was sie schon kennen.
Ich kenne dieses Argument sehr gut, und zwar aus dem eigenen Gebrauch. Es ist nämlich dasselbe, das unsereiner immer verwendet, um seine Existenz als Radiosendungsmacher und Musikaussucher zu rechtfertigen. Auch wenn die Innovator_innen von Apple das jetzt nicht so gern hören werden: Den kommentierten, kuratierten Stream gibt’s ja eigentlich schon, man nennt ihn Radio, und was Zane Lowe bei Radio One produziert hat, war nichts anderes, man konnte ihn nämlich online genauso hören wie on air.
Die Innovation des in Apples Auftrag kuratierten Streamings besteht also einzig darin, dass der Kurator in diesem Fall gleichzeitig auch der Musikverkäufer sein will. Die Logik ist so alt wie die Hügel: Konzerne wollen am liebsten alles in einer Hand haben. Nicht weil sie böse sind, sondern weil Profitmaximierung der Sinn ihrer Existenz ist und sie sich zu diesem Zwecke in allem, was sie anrühren, im Idealfall die ganze Wertschöpfungskette ums Doppelkinn hängen.
Und wieso stört mich das schon wieder, wo heutzutage doch eh schon alles versaut ist?
(Musikerkolleg_innen bezeichnen meine in spätabendlichen Küchengesprächen geäußerten Sorgen über den grenzenlosen Sell-Out gern als "total Eighties" und glauben aus unerfindlichen Gründen, das beende die Diskussion. Dabei finde ich das Obsoleszenz-Totschlag-Argument eigentlich total Neunziger. Will noch wer Wein?)
Sein Job ist, euch das Großartige zu geben.
Also, auch wenn euch das alles schon wurscht sein mag, Zane Lowe ist wie gesagt fast in meinem Alter, und er wittert ihn schon selber, diesen komischen Geruch in der Luft. Nur weil er noch nie was von journalistischer Ethik gehört haben will, ist er noch lange kein Depp, also vergleicht er das, was er für Apple tun wird, in Interviews nicht nur mit seiner Radioarbeit, sondern vor allem mit dem Kundengespräch, das er 1997 nach seiner Einwanderung aus Neuseeland als Plattenverkäufer in der Record & Tape Exchange zu praktizieren pflegte.
In einem Interview mit dem Guardian sagte er Mitte Februar: "Ich war vor ein paar Jahren der Typ, der es betrauerte, dass sich die Musikwelt veränderte und sagte: 'Oh, es ist nicht so, wie es einmal war, als man in ein Plattengeschäft gehen und eine Konversation mit dem Verkäufer haben konnte.' Aber es ist nur ein Prozess des Loslassens. Und dann schafft man es auf die andere Seite des Hügels und sagt: 'Es ist besser hier.'"
Ich glaube ihm das. Ich bin sicher, er wird bei Apple besser bezahlt als damals in der Record & Tape Exchange, und sein Büro wird besser riechen. Und wir brauchen nicht ins heutzutage (fast) zu Tode gentrifizierte Notting Hill fahren, um uns von ihm Platten ans Herz legen zu lassen. Win Win. Für Apple schon überhaupt, wenn die speziellen, vielleicht gar exklusiven iTunes-Deals der Major-Liga-Künstler_innen künftig automatisch von Airplay aus dem eigenen Haus befeuert werden.
Aber Zane soll uns bloß nicht einreden, er könne als Repräsentant eines globalen Konzerns, der weltweit zu von ihm diktierten Bedingungen Soundfiles verkauft, je auch nur annähernd die Rolle guter Plattenverkäufer_innen spielen, denen man Platten, die sie nicht leiden konnten, förmlich entreißen musste ("Sowas magst du?").
Geschweige denn die jener Kritiker_innen, die ihre Meinung in differenziertere Analysen als "exciting", "amazing" und "brilliant" auf der einen und Totschweigen auf der anderen Seite zu fassen vermochten.
"Es gibt Tage, da wünschte ich, ich könnte über Dinge kritisch sprechen, weil ich mich wirklich danach sehne, diese Seite von mir zu zeigen", wird Zane Lowe im selben Guardian-Artikel zitiert, "Tage, wo ich denke, es wäre wirklich gut, zu einer Platte garstig zu sein. Aber ich habe früh herausgefunden, dass man in eine Lage kommt, wo man Freiheit über seine Playlist hat. Und dann einen Song von jemand zu spielen, den man nicht mag, das ist fast noch arroganter, als da reinzugehen und zu sagen: 'Das ist großartig! Das ist großartig! Das ist großartig...' Denn mein Job hier ist, euch das Großartige zu geben."
Kein Wunder, dass Apple ihn haben will.
Er erinnert mich verdächtig an "Ping".