Erstellt am: 26. 2. 2015 - 18:43 Uhr
50 shades of Future Brown
Der Name stammt von einem Freund auf Mushrooms. Bei einem Spaziergang im Wald träumte Solomon Chase, Gründer der avantgardistischen New Yorker Kunst- und Mode-Plattform DIS Magazine, von einer Farbe, die nicht existiert, einer unwirklichen Form von Braun aus einer fernen Zukunft. Fatima Al Qadiri, die für das DIS Magazine lange Zeit die Kolumne Global Wav geschrieben hat, wusste sofort, dass dies der Name ihrer neuen Band sein sollte, einer Band, die ebenfalls Musiken der Gegenwart mit futuristischen Ästhetiken verbinden würde. Future Brown steht nun also für das Projekt, das Al Qadiri gemeinsam mit dem New Yorker DJ und Beatbastler J-Cush alias Jamie Imanian-Friedman und dem kalifornischen ProduzentInnen-Duo Nguzunguzu, bestehend aus Daniel Pineda und Asma Maroof, ins Leben gerufen hat.

Future Brown/Christelle de Castro
Die Zusammenstellung dieser vier Personen klingt selbst bereits wie ein wahrgewordener Konzept-Traum. Die zwischen Kuweit, London, New York und Berlin pendelnde Produzentin und Multimediakünstlerin Fatima Al Qadiri hat in den letzten Jahren durch zahlreiche Soundinstallationen, eine Handvoll feiner EPs mit politischem Anspruch und nicht zuletzt durch ihr 2014 bei Hyperdub erschienenes Debütalbum "Asiatisch" von sich reden gemacht. J-Cush betreibt von New York aus mit Lit City Trax eines der spannendsten Juke und Bass Music Labels der Zeit und Nguzunguzu sind schon länger auch außerhalb ihrer Heimatstadt Los Angeles als Botschafter wahnwitziger Vermixungen von Grime, Reggaeton, Afropop, Kuduro, R'n'B und Footwork unterwegs. Die persönlichen Wurzeln der vier Future Brown Members liegen in Kuweit und Nigeria, in den USA, dem Iran, in Indien, Puerto Rico und der Dominikanischen Republik, und die MCs und VokalistInnen, die oft in mehrfacher Kombination jeden einzelnen der Tracks auf dem vor wenigen Tagen erschienenen Debütalbum von Future Brown ergänzen, erweitern diese Weltkarte noch um ein Vielfaches.
Bass Music, abstrahierter Grime, Hip Hop und Reggaeton treffen auf "Future Brown", dem Album, etwa auf die feministische Rap-Aufsteigerin Tink, die jamaikanische Dacehall-Queen Timberlee, die kalifornische R'n'B-Sängerin Kelela oder das Chicagoer Rap-Duo Sicko Mobb. Bevor diese den Songs ihre Stempel aufdrücken, steht aber ein Quartett aus vier erfahrenen Beat-ProduzentInnen im Studio, und dieses Studio meint trotz der unterschiedlichen Wohnorte der Mitglieder und der naheliegenden Annahme, dass gerade eine solche Band in Zeiten wie diesen den Ideenaustausch online erledigen würde, einen realen Ort, an dem gemeinsam und gleichzeitg an den Tracks gearbeitet wird. Dass die dort entstandenen Instrumentals auf jeden Fall Soundbett für Vocals werden würden, war von Anfang an geplant. Mit "World's mine" erschien im Herbst 2013 der erste Future Brown Track mit den Londoner Grime MCs Prince Rapid, Dirty Danger und Roachee an den Vocals. "It's a movement, playtime's over" riefen die da, und auch: "The Music is timeless, we're worldwide, I'm pushing the limit, the world's mine." Einen ihrer ersten gemeinsamen Auftritte hatte die Band kurz darauf im New Yorker MoMa mit der choreographierten Basketball-Performance "Drills".
Die Musik von Future Brown lebt von dem Kontrast zwischen der Realness der Sprache und ihren Themen wie Sex, Party, Rassismus oder female empowerment und der Kühle der Synths und Beats, die die Rhythmen, die sie verarbeiten, aus dem Kontext ihres Dancefloors heben und in außerweltliche Sphären hieven. Future Brown, das ist eine Kunstgalerie im Weltall, ein Blick in eine Zeit, in der die Grenzen zwischen Genres, Hautfarben, Geschlechtern, Museen und Nachtclubs fließend und durchlässig sind.

Future Brown/Warp Records
Unverkennbar perlen die gläsernen, pentatonischen Synthesizer- und Glocken-Motive von Fatima Al Qadiri, der in ihren Soloarbeiten vermutlich prominentesten Vertreterin des Genres Sino Grime, an den synthetischen Chören und abstrahierten Beats ab; die Texte der MCs dazu geben deren jeweils eigene Lebenswelt und Sprache wieder. Die vollkommene Freiheit, die Future Brown für sich selbst einfordern, heißt also auch, auf einem Album, das so viele globale Einflüsse auf einen Nenner bringt und auf dem auf Produktions- wie auf MC-Seite das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen AkteurInnen ausgeglichen ist, etwaige Misogynismen in den Raps zuzulassen und auch sonst nicht in den Content der anderen einzugreifen. "Wir haben all diese Vokalisten ausgewählt, weil wir ihre Arbeit schätzen", sagen Future Brown dazu im Interview. "Es geht um die Abbildung der Wirklichkeit, und in dieser Wirklichkeit fluchen Erwachsene eben und Rap ist mitunter sexistisch. Man darf nicht die Augen davor verschließen."
Dieser Kunstgriff und das Alleinstellungsmerkmal von Future Brown ist gleichzeitig ein Schmäh, der auf Albumlänge nicht in allen Momenten aufgeht. Zu kühl für den Club, zu abstrakt für den Alltag, lässt das Aufeinanderprallen der echten und der synthetischen Welt die Hörer mitunter in der Luft hängen - man kann allerdings davon ausgehen, dass die Schwere der Bässe in den Liveshows von Future Brown die Tracks wieder ein bisschen mehr in einem weltlichen Boden verankern wird.