Erstellt am: 13. 2. 2015 - 13:00 Uhr
Diese heiße Kartoffel der Ideen
Vier oder fünf volle Tage und Nächte nach dem Ereignis ist all die närrische Aufregung rund um die Grammys dann irgendwann doch aus meinen Timelines verschwunden. Dringendes Memo: Musikindustrie-Establishment einerseits rassistisch/sexistisch/tendenziös, andererseits bevölkert von neidzerfressenen Egoman_innen. Wir nehmen es überrascht zur Kenntnis.
In einer anderen Welt ist derentweilen "I Love You Honeybear" von Josh Tillman alias Father John Misty erschienen. Ein ganzes Konzeptalbum nur über sich selbst hat er geschrieben, eine Erkundung seines jüngeren Lebenswegs, also jenes Abschnitts nach der als Gegenreaktion auf sein Aufwachsen in einem repressiv kreuzfrommen Haushalt durchexerzierten, dekadenten Rockstar-Phase (sprich Fleet Foxes und danach) bis hin zum Ankerlegen im Hafen der Ehe mit seiner Frau Emma.
Heartbeat mit Father John Misty zum Streamen bis Montag.
Das Interview kommt übrigens in der zweiten Sendungsstunde dran, die erste kann man aber schon auch anhören.
In Polstermöbel-Analogie ausgedrückt ist das ein mit Egomanie prall gestopftes, überbreites Chesterfield-Sofa, allerdings mit scharfen Knöpfen dran, an denen sich selbst noch die zynischste Elefantenhaut den Hintern fifty shades of wund scheuern würde.
Denn dieser Verbal-Aktionist des "confessional" Singer-Songwriting scheut nicht davor zurück, die hässlichen Tiefen seiner weißen, angelsächsischen, männlichen Seele offenzulegen. Im Titelsong beschreibt er die Rohrschach-Muster aus "Mascara, blood, ash and cum" auf dem Bettlaken, in "Nothing Good Ever Happens At The Thirsty Crow" hält er wiederum die fiebernden Auswüchse seiner Eifersucht und seines Besitzergreifungswahns fest, die den amphetaminsüchtigen Musiker auf Reisen fern der Geliebten irgendwo in einem Hotelzimmer in Deutschland heimsuchen. Auf doch eher haarsträubende Weise vergleicht er da etwa die Qualitäten seiner Frau mit denen der anderen, die sich ihm anbieten ("My baby... She blackens pages like a Russian Romantic / And gets down more often than a blow-up doll").

Robert Rotifer
Mit solchen Textzeilen im Ohr hab ich Josh Tillman im Dezember in London interviewt. Einen Menschen, den ich nicht kannte und von dessen Intimleben ich scheinbar doch mehr wusste als von dem einiger meiner engsten Freund_innen.
In meiner Sendung am Montag ist eine editierte Version dieses Gesprächs gelaufen, hier ein paar übersetzte Kostproben der Statements, die Father John Misty mir im Austausch für Stichwortspenden extemporierte:
Über die Details aus seinem Sexualleben:
"Es ist ein bisschen so wie mit den Drogenreferenzen auf meinem letzten Album. Viele Leute haben sich nur darauf konzentriert und alles andere verpasst. Auf diesem Album wiederum werden viele schaurige Details, Verzweiflung und sexuelle Fehltritte abgehandelt, und gewisse Leute werden nichts anderes darin sehen, vor allem solche, die Angst vor diesen Impulsen in ihrem eigenen Leben haben, und in Sachen Sex und Beziehungen eine Art Selbsthass pflegen."
Über die Litanei namens Holy Shit mit ihrer Schlussfolgerung: "Maybe love is just an economy based on resource scarcity / But what I fail to see is what that's got to do with you and me":
"Dieser Song ist das Erwachen aus meinem intellektuellen Traum. Ich war so stolz auf mich selbst gewesen, ich hatte mir all diese wirklich guten Gründe dafür zurechtgelegt, warum menschliche Wesen - und insbesondere ich selbst - keine Liebe verdienten, und warum Intimität bedeutungslos sei. Aber meine Realität sah ganz anders aus. Ich hatte mich verliebt, und ich konnte mich nun entweder an meinem intellektuellen Bullshit und meiner Eitelkeit festklammern oder dieses neue Paradigma akzeptieren, das all meinen Intellekt und all meine Weisheiten in Zweifel stellte."
Über das auf der Klavierballade "Bored in the USA" zwischen Zeilen wie "They gave me a useless education" und "And a sub-prime loan on a craftsman home" eingespielte, in manchen Kritiken als Hohn eines Privilegierten ausgelegte Publikumsgelächter:
"Ich höre überall Gelächter heutzutage. Ich höre nicht viel, das wirklich lustig ist, aber Gelächter ist überall. Das weist ganz offensichtlich auf eine systemische Angst hin. Lachen ist eine der Hauptmethoden, sich die Angst zu unterwerfen. Bei der Unterwerfung geht es immer um Sicherheit. Es geht darum, eine Bedrohung zu neutralisieren. Es ist ein billiger und bösartiger Weg, Wohlgefühl und Zufriedenheit zu erreichen."
Über das Grundkonzept hinter "I Love You Honeybear":
"In den Songs geht es um mich selbst, nicht um die Liebe. Ich weiß nicht, ob irgendjemand sonst ähnliche Erfahrungen durchmacht wie ich. Ich verwende Wörter wie 'Liebe' oder 'Ehe' als Platzhalter für ein anderes Konzept, das sich laufend weiterentwickelt. Jede Vorstellung von Liebe ist quasi eine hegelianische kollektive Anstrengung für die Menschheit. Einerseits borgen wir uns diese Ideen von der Vergangenheit, andererseits müssen wir, wenn wir uns vorwärts bewegen wollen, immer so tun, als würden wir sie gerade selbst erfinden. Das ist genauso wie beim Musik machen. Es ist diese heiße Kartoffel der Ideen, die da weitergereicht wird."
Über den auf der Hand liegenden Vergleich mit Randy Newman:
"Ich kann mich mit Randy Newmans Selbsthass identifizieren. Als Künstler versuchen wir mit unseren Songs, die wir für die Leute schreiben, die Isolation, die wir spüren, zu verringern. Das ist natürlich blanker Narzissmus. Ich weiß nicht, wer ich bin, und der einzige Weg, das herauszufinden, ist die Reaktion anderer Leute. Aber dieses Album ist für mich insofern was anderes, als die Liebe, oder was immer es ist, das ich da mit Emma erschaffe, den Narzissmus mitten ins Herz trifft. Sie zwingt einen, Empathie für sich selbst zu empfinden und sich selbst durch die Augen von jemand zu sehen, die oder der dich liebt, und was da zum Vorschein kommt, ist ganz was anderes als das, was der Narziss gern hätte."
Wie so oft der Fall, ist also Father John Misty, der alte Sittenstrolch, in Wahrheit ein zutiefst moralischer Charakter. Und deshalb ist dieses Album, in seinem von romantisch opulenter Orchestrierung bis zum willkürlichen Garageband-Preset-Irrsinn ("True Affection") reichenden klanglichen Bogen, bei allem Zynismus und all seinen Garstigkeiten dann im Endeffekt doch ein wahrhaft Herzzerreißendes.