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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 2. 2015 - 17:12

The daily Blumenau. Friday Edition, 06-02-15.

Über das Finale der Herzen und sein Zustandekommen - Africa-Cup-Journal '15, letzter Teil.

#fußballjournal15

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Apropos Afrika-Cup...
Hier die Preview zum Turnier, da dann das Fazit nach Runde 1, hier ein paar anlassbezogene Worte zum Thema Verteilungsgerechtigkeit, da Anmerkungen zu den sportpolitischen Kapriolen

Diese Final-Konstellation hat es überhaupt erst einmal gegeben, 1992 beim bislang einzigen Afrika-Cup-Sieg der Côte d'Ivoire, als sie noch nicht über die herausragende Legionärstruppe verfügten, jedoch über grandiosen Teamspirit. Die Ivorer waren danach noch zweimal im Endspiel, verloren zweimal im Penalty-Schießen, sie unterlagen beide male hauptsächlich (vor allem gegen Zambia) ihrer eigenen Arroganz.
Finalgegner Ghana war seit '92 in einem weiteren verlorenen Finale (2010 gegen Ägypten) und muss bis 1982 zurückgehen um den letzten Titelgewinn zu finden. Davor hatte man zweimal in den 60ern und einmal in den 70er gewonnen und da noch je ein weiteres Finale erreicht.

Absurd, oder? Die Mannschaften, die international, auf der ganz großen Bühne als die seit Jahren allerbesten afrikanischen Team gehandelt werden, sind auf kontinentaler Bühne seit über 20 bzw 30 Jahren titellos. Und das bei einem alle zwei Jahre ausgetragenen Turnier.

Die Elfenbeinküste geht seit 2006 als Geheimfavorit in die WM-Turniere und spielt auf Augenhöhe mit, Ghana ist WM-Achtelfinalist von 2006, Viertelfinalist von 2010 und hatte 2014 den Weltmeister am Rand einer Niederlage.

Gut, seit 1994 standen Teams wie die aus Nigeria und Kamerun, Ägypten und Tunesien oder Südafrika dem Vorhaben im Weg.

Trotzdem ist dieses langjährige Versagen kein Zufall. Und selbstverständlich ist auch das heurige Aufeinandertreffen (Finale Sonntag, 20 Uhr), das eine der beiden traurigen Serien beenden wird, nicht einfach so passiert.

Das sind die Vorbedingungen zu diesem Finale der Herzen, auf das nicht nur ganz Afrika, sondern die gesamte fußballinteressierte Welt schon seit Jahren wartet.
Das hat einen ganz simplen Grund: beide Teams offerierten bei ihren Auftritten im letzten Jahrzehnt schonungslos offensiven und technisch hochwertigen Fußball, der sich auch nie zu schade für hohen Körpereinsatz war - und lösten damit das ein, was andere außereuropäische Teams (wie vor allem Brasilien) zuletzt nicht halten konnten: das Versprechen auf eine Prise exotischen Dufts wie aus der Deo-Werbung, die auf tief in uns drinsteckenden postkolonialistische Zuschreibungen basieren. Dafür, dass die nicht so klar zutage treten, sorgen die hochklassigen Vereine, in denen die Stars ihr Geld verdienen, wodurch sie genügend stark europäisiert sind, um dem Klischee des Bon Sauvage zu entkommen.

Ebenso wie auch Kamerun (das knapp an den Ivorern scheiterte, und andernfalls auch weit hätte kommen können) kristallisierten sich bei Ghana und vor allem der Elfenbeinküste so neue Helden, Hybridwesen aus afrikanischer Urkraft und europäischem Know-How heraus, Stars, deren Werbetauglichkeit über die Vermarktung eines kollektiven Images (auch hier war Kamerun Vorreiter) hinausgingen.

In weiterer Folge führte diese ökonomische Logik zur absurden Überhöhung der Macht dieser Stars, was im Zusammenspiel mit den anderen - immer noch - aktuellen Zutaten des afrikanischen Fußballs dazu führte, dass die eigentlich besten Teams bei der Kontinental-Meisterschaft untergehen mussten. Da die afrikanischen Verbände auf dem Gutsherren-Level, das die schlechtgeführten europäischen Verbände in den 70ern einnahmen, agieren, sie als politische Player mitmischen oder die Despoten an den Staatsspitzen mitspielen lassen (müssen), kommt es zum Gegenteil eines nachhaltigen Aufbaus: dem politisch instrumentalisieren Raubbau. Der führt zum Fehleinsatz der spärlichen Mittel, schwächt Ausbildung und Infrastruktur, zieht - über die postkolonialen Seilschaften - oft abgenudelt europäische Old School-Trainer ins Land, die dann - in Verbindung mit übergeschnappten Superstars und größenwahnsinnigen Präsidenten aller Sorten - die Turniere schon meist durch zuviel Irrsinn im Vorfeld vergeigen. Oder dann die Entsprechung auf dem Platz liefern.

Wohin solcher Wahnsinn führen kann, zeigte Kamerun zuletzt weltöffentlich bei der WM vor. Ein präsidialer Semi-Despot (Paul Biya) unterstützt einen in die Jahre gekommenen Superstar (Samuel Eto'o) , der daraufhin alle strategischen Vereinbarungen außer Kraft setzt und die Mannschaft ex cathedra in den sicheren Untergang führt.

Ganz so schlimm war es mit Didier Drogba oder den Prinzlein des Ayew-Clans nun nicht - das vor/bei Turnieren entzündete egozentrische Störfeuer hatte aber immer genügt um eine erfolgreiche Teilnahme zu verhindern.

Der diesjährige CAN stand für diese Teams unter dem Zeichen der erstmaligen Abwesenheit ihrer exzentrischen Superstars. Kamerun ohne Eto'o, die Côte d'Ivoire ohne Drogba und Didier Zokora, Ghana ohne Asamoah, Muntari, Essien und vor allem Kevin-Prince Boateng.

Dass das allein noch nicht reichen würde um den überfälligen Verpuppungs-Prozess einzuleiten wurde nach den ersten Turnierspielen klar: die pure Abwesenheit der Altstars ganz ohne neue Spielphilosophie brachte nichts an Deja-Vus. Die Ivorer schrammten knapp an einer Niederlage vorbei, Ghana verlor sogar.

Erst als die Umstellungen ab Match 2 bzw 3 nicht nur das Personal, sondern auch die Spielstrategie betrafen, kamen die beiden Powerhouses in die Gänge.

Die Ivorer werden von Herve Renard gecoacht, einem der ganz wenigen jungen Europäer, die im Afrika Reputation genießen. Renard kam als Assistent von Claude LeRoy nach Ghana, wurde dann Teamchef im mit vielen Talenten, aber schwacher Infrastruktur ausgestatteten südafrikanischen Staat Sambia, und gewann mit dem Außenseiter 2012 sensationell den Titel (mit den Katongo- und den Mulenga-Brüdern, mit Kennedy Mweene und Stoppila Sunzu, mit Rainford Kalaba, Nathan Sinkala und dem jungen Striker Mayuka). Es dauerte zwei Jahre, ehe der unterlegene Finalist Renard überzeugen konnte, den Höllenjob als ivorischer Chefcoach zu übernehmen.

Ghana hat sich nach einer längeren Phase der äußeren Stabilität und inneren Dauerstreits unter James Kwesi Appiah kurzfristig wieder für einen vom Typus alter autoritärer Europäer entschieden - auch wenn Avram Grant Israeli ist, sein Ruhm leitet sich von seinem Trainerjob beim FC Chelsea ab.

Trotzdem haben sowohl Renard als auch Grant im Laufe des Turniers entscheidende Impulse gegeben und - wohl langfristig überlegte - Maßnahmen ergriffen, um ihre beiden Teams aus einer durch die Teilerfolge der letzten zehn Jahre in einem seltsamen Schwebezustand der Erstarrung rauszuführen.

Besonders anschaulich ist Renards ivorische Revolution. Er begann das Turnier im sehr effektiven 4-3-3 mit dem die orangen Elefanten seit vielen, vielen Jahren ihre Gegner in Schach halten. Und erkannte schnell dass die Selbstverständlichkeit dieser Spielanlage der Kreativität im Weg stand.

Renard stellte in Spiel 2 auf ein höchst verblüffendes 5-3-2 um, mit dem er nur teilweise zufrieden sein konnte. Die neue Abwehr mit den beiden technisch versierten jungen Innenverteidigern Bailly (neu bei Villarreal) und Kanon, zwischen denen der alte Kolo Toure die Management-Aufgaben übernahm, und den beiden nun weit vorgeschobenen Außenverteidigern Aurier und Tiene funktionierte zwar hervorragend, das rotierende Dreier-Mittelfeld, in dem man sich immer noch den Befindlichkeiten von Co-Superstar Yaya Toure von Man City (Afrikas Spieler des Jahres) richten musste, fand aber keine Bindung zu den beiden Spitzen.
In Spiel 3 fand Renard dann die Formation, die er bis ins Halbfinale beibehielt: ein 5-2-3. Mit einem nunmehrigen Zweier-Mittelfeld (Tiote wurde geopfert) darf Yaya Toure keine Extrawürste mehr braten, sondern spielt neben einem anderen Hybrid-Sechser/Achter (aktuell der in sehr guter Form befindliche Serey Die, gerade frisch vom VfB Stuttgart gekauft); und einem Dreier-Angriff, in dem zwar Gradel rechts und Gervinho links starten, ihre Rolle neben/hinter Center Wilfried Bony aber flexibel ausleben dürfen. Für Drogbas ewigen Adjudant Salomon Kalou bleibt nur die Bank. Yaya Toure wurde "überzeugt" indem ihn Renard in einer kritischen Situation zaunpfahlwinkend auswechselte. Der neue Chef ist sein Bruder, der Beruhiger, der schon totgeglaubte Kolo Toure in seinem dritten Frühling.

Defensiv lässt sich das blitzschnell in ein recht unüberwindliches 5-4-1 zurückfahren, im Fall des Tempogegenstoßes ist aber auch ein 3-2-5 mit Überzahlspiel möglich. Das ivorische Spiel muss nun nicht mehr um Drogba und den virtuellen Zehner-Fixplatz von Yaya Toure herumgebaut werden, es ist flexibler und unberechenbarer geworden.

Grant hat mit Ghana seltsam, einem völlig ungewohnten 5-4-1 begonnen, mit Jonathan Mensah als Libero vor und hinter der Viererabwehr, zwei Sechsern und Andre Ayew in einer ungeklärt wirkenden Offensivrolle hinter seinem Bruder Jordan. In Spiel zwei ging Grant wieder zur Vierer-Abwehr zurück, blieb bei zwei Sechsern und machte die Positionen seiner Offensive Four deutlicher. Aber erst in Spiel 3 fand er die Formation für die K.O.-Matches: ein 4-4-2 mit nur einem Sechser, das in der Defensive mit zwei strengen Ketten auftreten kann, in der Offensive aber schnell auf ein wuchtiges 4-1-5 umschaltet.
In der Innenverteidigung spielt wieder John Boye neben Mensah, außen sind Afful und der in Augsburg erfolgreiche Baba gesetzt. Als Sechser hat Acquah sich gegen Badu und Rabiu durchgesetzt. Wakaso Mubarak gibt einen eindrucksvollen Box-to-Box-Akteur und wechselt sich mit Andre Ayew links ab - an der rechten Flanke hat Christian Atsu einen Fixplatz. Vornedrin fällt Kapitän Asamoah Gyan des Öfteren aus (bissl Malaria, bissl Muskelzwicken), mit Jordan Ayew und Kwesi Appiah gibt es aber genügend Kandidaten. Vor allem die Ayew-Brüder (die Söhne des Abedi Pele genießen eine Art aristrokatische Verehrung) zeichnen sich durch hohe Flexibilität aus, die in Grants neuem System willkommener sind als im jahrelang eingeübten 4-2-3-1.

Beide Systemänderungen haben ganz offensichtlich die Köpfe der Spieler freigemacht. Nach den jeweils extraschweren Gruppenspielen wirkten die beiden Finalisten in der Knockout-Phase wie ausgewechselt; man strahlt den Nimbus einer neuen Unzerstörbarkeit aus.

Ghana hatte weder mit Guinea noch im Skandalmatch gegen die Gastgeber Momente des Zweifels. Bei den Spielen der Ivorer gegen Algerien und DR Congo gab es zwar Augenblicke an der Kippe, die aber mittels neuerlangten Selbstvertrauens schnell weggedrängt werden konnten.

Nachtrag von Sonntag:
Die Ivorer gewinnen das Finalspiel im Elferschießen, am letzten Drücker, es sind schon die Torleute, die scoren müssen. Für Ghana geht the search also weiter.

All das soll nicht heißen dass das Finalmatch um den Afrika-Titel am Sonntag ein Leckerbissen werden muss. Zumindest einem der Coaches ist ein total auf die Schwächen/Stärken des Gegners zugeschnittenes, rein taktisches Spiel (oder zumindest eine Halbzeit) zuzutrauen. Für beide fußballnationale Selbstverständnisse steht immer noch zu viel auf dem Spiel, um gänzlich locker in dieses Finale der Langwartenden reinzugehen.

Ich könnte mir trotzdem vorstellen, dass dieser Finaleinzug für beide großen Fußball-Nationen ein Befreiungsschlag ist, der ihre Entwicklung im nächsten Jahrzehnt (nach allzuviel Stillstand im letzten) dramatisch befördert.