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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

31. 1. 2015 - 02:07

Einhändiges

Londons Bürgermeister Boris Johnson hat herausgefunden, was mit den Dschihadis wirklich los ist: Sie haben Tennisarme.

Ich nehme ja an, wenn ich das hier veröffentliche, werden die meisten da draußen es schon wo gelesen haben. Boris Johnson, der Londoner Bürgermeister, der sich Chancen ausrechnet, irgendwann demnächst David Cameron auszuhebeln, hat ein Interview gegeben, indem er Dschihadis als „porno-schauende, buchstäbliche Wichser“ bezeichnet: "Leute, die es bei den Mädchen nicht schaffen und daher nach anderen Formen spirituellen Trosts suchen – der natürlich kein Trost ist. (…) Dies sind junge Männer mit einem verzweifelten Bedürfnis nach Selbstbestätigung, die keine besondere Mission im Leben haben. Sie sehen sich als Verlierer, und diese Sache macht sie stark – wie Gewinner."

Einiges an diesen Aussagen ist erstaunlich, und nein, es ist nicht etwa, wie Mohammed Khaliel, Chef der Community-Organisation Islamix im Guardian zitiert wird, eine Frage des "Stils" oder der "Ebene" seines Kommentars.

Um ehrlich zu sein, "Wichser" ist so ziemlich die allermildeste Bezeichnung, die mir selbst für einen Dschihadi einfallen würde.

Und immerhin fußt Johnsons Beobachtung, so sagt er, konkret auf den psychologischen Profilen von Dschihadis, die ein Report des Geheimdiensts MI5 zusammengestellt hat. Der Bürgermeister spricht bloß aus, was er darin gelesen hat. Als pflichtbewusster Politiker, der sich um seine Bevölkerung sorgt, hat er gewiss alle Hände damit zu tun, die Browser Histories windiger Gesellen zu durchstöbern.

Aber wie ein jeder Mann, der einen anderen einen Wichser nennt (obwohl er aller Wahrscheinlichkeit nach von Zeit zu Zeit selber einer ist), übt er sich damit natürlich auch in unterschwelligem sexuellem Imponiergehabe, denn er impliziert in seinem Gegensatz zum Wichser den eigenen dauerhaften Erfolg in der Partnersuche.

Tatsächlich ist Johnson, der Leitbulle, legendär für seine Schwierigkeiten, in Anwesenheit weiblicher Bekanntschaften die Hosen anzubehalten. Wer ihn je gesehen bzw. reden gehört hat, mag ahnen, dass seine Strahlkraft vermutlich eher auf seinen sozialen Status zurückgeführt werden kann. Anders als all die pornosüchtigen, künftigen Dschihadis fühlt er sich selbst gewiss nicht als "Verlierer". Gut für ihn.

Aber selbst der bei all seinen erotischen Eroberungen gewonnene „spirituelle Trost“ hielt ihn neulich bei einem Besuch der Peschmerga in Kurdistan auch nicht davon ab, mit einer Kalashnikov für die Photographen zu posieren. Es braucht kein psychologisches Profil, um die Symbolik dieses ultimativen Ersatzphallus zu dekodieren. Wenn also selbst ein Hecht wie Boris sowas nötig hat. Aber ich vergaß, er ist ein heldenhafter Anti-IS-Kämpfer, da gehört das einfach zum Arbeitsgerät.

In jedem Fall ist anzunehmen, dass die Charakterisierung von Dschihadis als „verschärfte Onanisten“ sich als Identifikationsmerkmal auch auf erhebliche Teile der sonstigen juvenilen Population anwenden ließe. Umgekehrte Rückschlüsse (Jung-Onanist ist gleich Proto-Dschihadi) wären also zumindest heikel.

Und überhaupt: Falls in der vom Film „The Riot Club“ überlieferten Darstellung des Sexualverhaltens der Boys des exklusiven Bullingdon Club (dem Johnson in den 1980ern als Student angehörte) auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckt, wäre exzessive Masturbation in diesem Fall - vor allem für deren weibliche Umgebung - sicher die bei weitem weniger problematische Option gewesen.

Der letzte, entscheidende Punkt ist aber, wem Boris Johnson dieses Interview gegeben hat. Nämlich ausgerechnet der Sun. Also jener Zeitung, die beharrlich auf Seite 3 halbnackte Frauen als Inspiration für Herrenoberarmgymnastik abbildet und somit quasi laufend potenzielle Dschihadis heranzüchtet (auch wenn das Murdoch-Blatt diese Praxis neulich - zur Täuschung der sich bereits siegreich wähnenden No more Page Three-Kampagne - für ein paar Tage aussetzte, aber das ist wieder eine andere Geschichte).

Während ich dies schreibe, komme ich übrigens gerade von einem Konzert der Sleaford Mods in London. So viel einhändige Gesten wie Jason Williamson da heute Abend auf der Bühne des Electric Ballroom machte, hab ich seit damals in der Unterstufe nicht mehr gesehen. Sofort MI5 verständigen.