Erstellt am: 8. 1. 2015 - 18:35 Uhr
Es muss ja nicht Nostalgie sein
Am Ende meiner letzten Sendung am 29. Dezember hatte ich beiläufig erwähnt, dass mein kommendes Heartbeat, also jenes am 12. Jänner, meine zwanzigste Jubiläumssendung sein würde.
Gut, das ist jetzt für FM4-Hörer_innen vielleicht kein so spezielles Ding, schließlich wird der ganze Sender zwanzig, logischerweise also auch Heartbeat, das ja eigentlich nicht eine, sondern zwei Sendungen ist, nämlich jene, die Eva Umbauer an jedem zweiten Montag, bzw. jene, die ich selber am jeweils auf diesen folgenden Montag gestalte/t (Ich könnte mich jetzt bemühen, das noch ein wenig komplizierter zu erklären, muss aber nicht sein).
In jedem Fall liegt es in der Natur einer Spezialsendung, innerhalb des größeren Ganzen ihren eigenen Mikrokosmos zu entwickeln. Wie weit dieser sich im Fall meiner Heartbeats über zwei Jahrzehnte unmerklich wie der Fluss eines Gletschers gedehnt und verformt hat, wurde mir aber selber erst klar, als mir nach der Sendung am Jahresende der heute in Schottland lebende Stammhörer Mark Hartl seinen mit 13. Februar 1995 gekennzeichneten Mitschnitt schickte.

Robert Rotifer
Zuerst konnte ich kaum hinhören:
„Feinen Abend heute, Robert Rotifer begrüßt euch zu einer Ausgabe von Heartbeat...“
...sagte da eine kaum als die meine erkennbare Stimme, in jedem Atemzug und jeder ausgekosteten Endsilbe schmerzhaft schmerzhaft schmerzhaft eine OFFENSICHTLICHE Kopie des seligen, damals noch in der Blüte seines Schaffen stehenden Werner Geier. Zu meiner Verteidigung darf ich sagen, dass mir – in meinem Innersten immer noch panisch vor dem Mikro – dessen gemessener, eindringlicher Duktus logischerweise prägend im Ohr war. Und an irgendjemand muss man sich schließlich orientieren, also warum nicht gleich am wohl besten Pop-Moderator seiner Zeit...
„...Gottseidank wohnen nicht alle in und um Wien, gottseidank haben nicht alle Karten fürs Beastie Boys-Konzert, sonst wär ich heute ganz allein mit meinen vielen, bunten neuen Platten, von Spiritualized Electric Mainline, [unverständlich], Sleeper, Elastica und Bandit Queen...“
Aha! Onkel Google sagt, die Beastie Boys haben am 27. Februar 1995 in Wien gespielt, da hatte Mark Hartl also wohl entweder falsch datiert oder – wahrscheinlicher – über eine frühere Sendung drüber gelöscht...
„...Dazu hab ich aber sowieso noch einen Studiogast, der mir die feuchten Händchen halten wird. Kevin Kump von der Linzer Band Shy, all das in den nächsten zwei Stunden FM4 Heartbeat.“
Ungefähr bei Minute 21, als ich Andi „Kevin“ Kump die Salzburger Band Davy Jones' Locker vorspiele und ihn gleich ziemlich unnötig ruppig der „Feigheit“ bezichtige, weil er sich jeglicher Meinung zu den Kollegen enthält, hab ich dann das Skript schon weggeworfen und zu meiner eigenen, damals wesentlich helleren Stimme zurückgefunden. Aber insgesamt wundert mich schon, wie viel bleifüßige Post-Grunge-Indie-Rock-Sauce da zu hören ist (inklusive einiger Dinge, die damals als Britpop firmiert hätten). Von den über 30 Platten in dieser Sendung würde ich heutzutage, wenn's hoch kommt, gerade einmal die Hälfte spielen.
Zwei davon sind damals wohl zur Definition des Bezugsuniversums eingestreute Klassiker von Fun Boy Three und den Television Personalities. Schön aber auch zu hören, wie gut die Pastels gealtert sind, ganz zu schweigen von PJ Harveys „Down By the Water“ und – immer noch ein schier unglaubliches Stück konzentrierter orchestraler Pop-Inspiration - „Found a Little Baby“ von Liam Hayes alias Plush.
„Smart“, das damals neue Album der Band Sleeper, bezeichnet mein Ich aus dem 1995er-Jahr dagegen als „Enttäuschung“. Würde mich wundern, wenn das heute noch im Kasten steht (Geht nachschauen, stellt fest: Nein, Sleeper hat die seitherigen Umzüge nicht überlebt...).
Dann kommt „Waking Up“, die neue Single von Elastica, die mein jüngeres Ich als „von Elasticas eigentlicher Mission weit entfernt“ kritisiert, aber ohne den im Nachhinein so unüberhörbaren Stranglers-Rip-Off zu erwähnen. Aus der Nähe betrachtet sieht eben alles anders aus, und wie die Briten so schön sagen: You had to be there, und selbst wenn du dort warst, kannst du's heute nicht mehr ganz nachvollziehen.
Girls Against Boys zum Beispiel, was war das eigentlich? Und Weezer? Wirklich?
Zwischendurch hat Mark Hartl offenbar irgendwann auf Pause gedrückt, und die tatsächliche Sendung vom 13.2. kommt zum Vorschein.
Plötzlich sind die Studiogäste Othmar Bajlicz, der am Gürtel ein neues Chelsea aufmachen will (das alte Lokal in der Piaristengasse war im Herbst davor geschlossen worden), und der junge Wolfgang Schlögl, Sänger von Redred Rosary, der das neue Indie-Label Brefkas Ready vorstellt und einen von DJ Candid organisierten Gig im U4 ankündigt, beim dem nicht nur seine eigene, sondern auch meine damalige Band The Electric Eels, sowie Paste aus Wien und die Salzburger The Seesaw spielen sollten.
Später dann hört man Team Dresch und Free Kitten, angekündigt als „gebündelter Feminismus“. In ein und derselben Sendung mit Weezer? Aber genau auf diesen Widerspruch bezieht sich auch meine Moderation danach: „'Got a hard on as long as an elbow,' das war eine Reaktion von Free Kitten auf die Macho-Herren von Weezer.“ Und als Draufgabe dazu gleich noch Huggy Bear.
Wie haben sich solche Debatten circa 15 Jahre vor Twitters Durchbruch eigentlich nach Wien durchgesprochen? Stand das alles in den Magazinchen, die wir damals lasen?
Es geht weiter:
„'16 and Suicide', Huggy Bear. Othmar ist also ziemlich sauer oder doch nicht, dass die Manic Street Preachers am Samstag in Wien nicht spielen konnten. Ich hätt sowieso nicht dort sein können, weil ich war in Oberwart beim Begräbnis der vier ermordeten Roma, in der Homebase ist ausführlich darüber berichtet worden. Es waren recht viele Leute dort, aber leider nicht besonders viele ortsansässige Bewohner. Die nächste Nummer heißt 'Counteraction' und kommt von einer Band, deren Mitglieder wohl auch schon öfter in ihrem Leben 'zurück nach Indien' geschickt wurden: Cornershop.“
Zur Erklärung, weil's eben doch schon lange her ist: Am 5. Februar 1995 war in einer Roma-Siedlung in Oberwart die mit dem Blechschild „Roma zurück nach Indien“ versehene Rohrbombe des rechtsextremen Terroristen Franz Fuchs explodiert (hier ein Nachrichtenbericht von damals).
Jetzt muss ich selber auf Pause drücken.
Mich fröstelt beim Gedanken an meine damalige, grimmige Dienstreise nach Oberwart. Auf diese Erinnerungen zu stoßen, das hatte ich jetzt nicht erwartet.
Man kann's drehen, wie man's will, auch der Mitschnitt einer banalen Musikspezialsendung transportiert Geschichte.
Und das hat mich Anfang der Woche auf die Idee gebracht, auf einem gewissen sozialen Netzwerk nachzufragen, was für Erinnerungen die Heartbeat-Hörer_innen eigentlich an diese Sendung und die Zeit drum herum haben. Es muss (siehe oben) ja keineswegs nostalgisch sein.
Unter anderem schickte Frenk Lebel (damals Play The Tracks Of, heute manchmal wieder bzw. bei Nowhere Train) ein Bild seines alten Besucherpasses, und Anna Kohlweis alias Squalloscope schrieb (mein Post war auch auf Englisch):
„There must have been a show in 2000 where you presented Hefner's "We Love the City". I was 14 or 15 and I taped it (but surely lost the tape by now), then I immediately ordered the CD from a tiny record store in Klagenfurt (closed now, like all record stores in Klagenfurt) that was only selling classical music, but could order anything. I actually listened to Hefner all the time that summer when I spent a couple of weeks in London. the whole thing was very... persönlichkeitsprägend. dafür bin ich ernsthaft für immer dankbar. Hefnerisierung '00.“
Dank zurück, Anna. Zu jener Zeit war ich bereits in England und hatte beim Sendungmachen oft das Gefühl, zur Studiowand zu sprechen.

Steven Drew
Ich werde meine Jubiläumssendung für Montag, 12.1.2015 noch heute (Donnerstag) und morgen (Freitag) vorproduzieren. Da ist nicht mehr viel Zeit. Aber wenn euch noch was einfallt, lasst es mich wissen.