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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

17. 12. 2014 - 12:10

Erst starb bloß der 12Bar Club...

Wie London sich in seiner Geldgier selbst verschlingt: Eine real werdende Dystopie mit dem lachhaften Namen Outernet wird die Denmark Street erdrücken, und Soho ist als nächstes dran.

Als Mitte November die Schließung der Buffalo Bar in Islington verkündet wurde, stellten alle meiner Musikerfreund_innen ihre Titelbilder in diversen Timelines auf Fotos von ihren Gigs dort um (ich selber auch, da bin ich gern Konformist), sozusagen als wehmütige Zelebrierung der Bedeutung des Lokals in der Laufbahn ihrer jeweiligen Bands. Ich überlegte mir auch, ob ich hier was darüber schreiben sollte, aber ich musste an einen Einwand denken, den Liz Morris von Allo Darlin' in ihrem Song „History Lessons“ verarbeitet hatte.

"This city history has a memory
But it banks on its history
Places come and places close
I feel stronger letting go
I want you to remember this
What came before doesn't have to have been the best
When the present becomes the past
You'll realise what you have missed"

Die Inspiration dafür war der Katzenjammer, als vor ein paar Jahren das Bull & Gate in Kentish Town zusperrte, und Liz' Beobachtung, dass dem Maulen der Herren mittleren Alters über das Verschwinden der Schauplätze ihrer jugendlichen Abenteuer in den Medien immer wesentlich mehr Platz eingeräumt wird als der Wahrnehmung der neuen Lokale, neuen Szenen, die vom Medienmainstream unbemerkt aus dem Boden schießen.

Da hat sie recht, und ich wollte nicht einer dieser Jammerer sein.

Und dann wurde Ende November Madame Jojo's in Soho nach einer ziemlich unbedeutenden Rangelei zwischen der Security und einem besoffenen Gast vom Westminster Council die Lizenz entzogen.

Wer sich nur ein bisschen in der Gegend auskennt, weiß, dass der Club schon die längste Zeit den Bauherren im Weg gestanden war, die diesen Winkel von Soho für die optimale touristische Wertschöpfung ausbauen wollen.

Das schnelle Ende von Madame Jojo's kam trotzdem überraschend. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass eine Institution wie diese so mir nichts dir nichts verschwindet. Und jetzt ist schon wieder die nächste dran.

Ende letzter Woche wurde verlautbart, was sich schon vor Monaten angekündigt hatte: Auch der 12Bar Club in der Denmark Street im an Soho angrenzenden Viertel St. Giles wird demnächst seine schwarzlackierten klebrigen Türen schließen.

12 Bar Club

Robert Rotifer

In diesem Fall brauchte es keinen nächtlichen Vorfall als Vorwand, hier geht es ganz offen um die systematische Bereinigung einer ganzen Gegend vom urbanen Wildwuchs, und der 12Bar Club, eines der kleinsten aber auch besten Konzertlokale dieser mit charmanten Venues nicht gerade überversorgten Stadt, auf dessen winziger, aber Beinbruch-hoher Bühne so unterschiedliche Leute wie Bert Jansch, Roddy Frame, Martha Wainwright, Adele, Jeff Buckley, Jamie T, Joanna Newsom, The Libertines, Kristin Hersh, Boz Boorer, Robyn Hitchock aber auch zum Beispiel die da regelmäßig konzertierende, verfilzte Londoner Anti-Folk-Gang gestanden und gesessen sind, ist bloß das erste sichtbare Opfer.

Ein in dieser Nachbarschaft mitten im West End so dringend wie eine Dusche im Monsoon gebrauchtes Marken-Kaufhaus soll zwischen der New Oxford Street und der Nordseite jener kleinen Seitenstraße entstehen, die mehr Popgeschichte repräsentiert als irgendeine andere sonst in London.

Zur Erklärung: Man nannte die Denmark Street nach New Yorker Vorbild früher auch Tin Pan Alley, weil in ihren kleinen, verwinkelten Häusern die Musikverleger ihre Büros hatten, in denen auf zig Klavieren gleichzeitig die potenziellen Hits von morgen runtergehämmert wurden. 1970 schrieb der Chef-Nostalgiker Ray Davies für das "Lola Vs The Powerman"-Album der Kinks einen Song darüber.

“You go to a publisher and play him your song
He says I hate your music and your hair is too long
But I'll sign you up because I'd hate to be wrong“

Im Sarkasmus des Texts klingt der Umstand durch, dass Davies als Teil der ersten Generation von Bands, die sich ihre Hits selber schrieb, mit zu den Totengräbern der kleinen Hitfabriken in der Denmark Street gehörte. Aber das bedeutete nicht das Ende der musikalischen Bedeutung dieser Straße, ganz im Gegenteil. Geprobt und aufgenommen haben dort über die Jahrzehnte unter anderem die Stones, Hendrix, die Pistols, aber auch Bananarama (Popquiz, wo liegt der Zusammenhang zwischen den beiden letzteren?). Und bis heute ist sie die erwählte Heimat der Instrumente-(okay, vor allem Gitarren)händler. Deshalb war sie auch für meinesgleichen immer eine Pilgerstätte, der erste Ort, den man aufsucht, wenn man in die Stadt kommt. Ein handfester Grund, nach London zu fahren. Hier sah ich mit 18 meine erste linkshändige Telecaster, kaufte sie und lebte den Rest des Urlaubs von der Londoner Luft. Aber bitte, das ist auch nur persönliche Nostalgie, die wollte ich uns hier eigentlich ersparen.

Im Oktober traf ich jedenfalls Andy Lowe, den in dieser Branche geradezu einmalig sympathischen, Hype-resistenten und von zynischer Abzocke grundsätzlich unbeeindruckten Booker der 12Bar zwecks Recherche für meine Kolumne im Rolling Stone. Er eröffnete mir, dass der Club höchstens noch bis Anfang März bei Auslaufen des Pachtvertrags bestehen würde.

Andy Lowe

Robert Rotifer

Andy Lowe im Oktober

Das war ein schwerer Schlag. Aber weil ich kein verbitterter Gnom werden will und mich in solchen Lagen gern mit ein bisschen Konstruktivsein tröste, machte ich mit Andy bei der Gelegenheit für den 11. Februar noch einmal einen ordentlichen Abschiedsabend mit befreundeten Bands aus. Unter anderem sollten Bo Candy and his Broken Hearts aus Österreich vorbeikommen.

Auch daraus wird nun also nichts mehr, denn der 12Bar eigenes Abschiedsfest steigt bereits am 11. Jänner, dann ist Schluss.

Am Samstag hab ich wieder mit Andy Lowe telefoniert. Er stand gerade auf der Straße vor seinem zum Bersten vollen Club und erzählte mir davon, wie die Grundbesitzer ihn erst unerträglich lange im Ungewissen gehalten und dann von einem Tag auf den anderen mit dem plötzlichen Ende konfrontiert hatten. Das ist alles zum Kotzen, aber auch banal, vorhersehbar und ernüchternd, deshalb war auch kein Zorn und keine Verbitterung in Andys Stimme durchzuhören.

Dem Vernehmen nach wird die 12Bar in ein Pub an der Holloway Road umziehen, aber das bedeutet Horden von Arsenal-Fans an Match-Tagen, keine Trennung zwischen Bar und Konzertbereich, also auch keine Chance auf Stille für akustische Acts. Kann also kaum dasselbe werden wie der kleine, abgeschiedene, würfelförmige Raum am Ende des langen Schlauchs der 12Bar, der dank eines Balkons für das sitzende Publikum fast doppelt gefüllt werden konnte.

Henry Scott-Irvine, ein Musikdoku-Macher, der unermüdlich die Initiative „Save Denmark Street“ betreibt, kündigte am Sonntag an, dass kein geringerer als Pete Townshend in der Times einen – leider viel, viel zu spät kommenden – offenen Brief veröffentlichen werde, der zur Rettung jener Musikgeschäfte aufruft, wo er als junger Musiker einzukaufen pflegte (Randbemerkung für Leute, die das interessiert: Townshends Rickenbacker mit dem F-Loch wurde in den Sixties eigens für das Musikgeschäft Rose Morris in der Denmark Street hergestellt, weil man dort dachte, dass in London kein Markt für Gitarren mit futuristisch katzenaugenförmigen Schallöchern bestehe).

Pflichtgemäß hab ich mir also vorgestern das Murdoch-Blatt besorgt, das mich prompt mit einer ebenso mageren wie bunt bebilderten Zusammenfassungs-Story abspeiste und für die vollständige Version des Briefs auf seine Website, die mit der Paywall, verwies. Netter Versuch, aber zweimal wollte ich dieselbe Geschichte dann doch nicht kaufen.

Die von der Times betriebene, schleichende Reduktion ihrer Printausgabe auf eine teure Ankündigungsplattform für Online-Inhalt ist allerdings für sich schon eine ganz gute Metapher für das Schicksal der Denmark Street, schließlich plant Laurence Kirschel, der mit seiner Firma Consolidated Developments große Teile von St Giles und Soho aufgekauft hat, für das betreffende Häusereck eine ähnlich sinnige Vermählung von Real- und Netzwelt:

Das sogenannte „Now Building“ als Kirschels Zukunftsvision des Shopping, unfreiwillig selbstsatirisch „Outernet“ genannt.

„Branded real-time experiences which add value to people's lives“, so beschreibt das Promo-Video die irre Dystopie einer lückenlosen Markenherrschaft, in der der Bildschirmterror eine Bevölkerung vollinfantilsierter Models von früh („Good Morning“ befiehlt die Megascreen) bis spät mit einer Fülle sensorischen Dämmstoffs bewirft, sie mit Designerschachtelfutter anstopft und mit Schlüsselreizen stresst, um ihnen schließlich nach Feierabend beim Gig einer generischen Rockband den letzten Lebenswillen zu rauben. Man folge dem Link, aber mit Vorsicht, er kann zu schweren Depressionen führen:

Bittesehr, das „Outernet“.

Vier Minuten und 19 Sekunden später.
Schon unfassbar, oder? Kings of Leon-Projektionen zur Disziplinierung der Massen, das scheint erschreckend realistisch. Nicht täuschen lassen dagegen von den aus dem echten Leben gegriffenen Kids, die fröhlich Vintage-Gitarren ausprobieren. Die hinteren Räumlichkeiten der Geschäftslokale an der Nordseite der Denmark Street sollen dem Now Building weichen, deshalb auch das schnelle Ende der weit nach hinten verzweigten 12Bar.

Vertrauenswürdigen Quellen zufolge soll Kirschel den Geschäftsleuten erzählt haben, dass ja sie ihre Vorzeigegitarren im vorderen Geschäftsteil ausstellen und an Ort und Stelle online bestellbar machen könnten (die in der Denmark Street verkauften Gitarren sind zum Großteil rare Vintage-Teile, die man zumindest berührt haben sollte, bevor man sie kauft).

Der Developer und seine Planer_innen verstehen wohl wenig vom Musikalienhandel, aber sehr wohl was vom Image-Wert der Denmark Street als popmusikalische heritage site, von dem Townshend offenbar in seinem (nicht ganz so) offenen Brief schreibt.

Keine Frage, die Fassaden werden sicher schön bewahrt, Pop-Akademien und -Museen sind angedroht, ein veritabler Theme Park der Popgeschichte steht zu befürchten.
Die oberen Stockwerke der Shops (jetzt vor allem Lager und Verkaufsräume) sollen angeblich zu schicken Luxus-Apartments für durchreisende Musiker_innen umgebaut werden. Hat sich offenbar noch nicht herumgesprochen, dass Bands heutzutage in Travelodges nächtigen müssen. Aber solange die Neureichen, die dann wirklich dort absteigen, glauben, dass der Glamour auf sie abfärbt, ist's schon genug.

Insgesamt also eine Manhattanisierung und Singapurisierung zugleich an verschiedenen Enden eines einzigen Häuserblocks.

Jenseits von St Giles, auf der anderen Seite der Charing Cross Road läuft gleichzeitig der Kampf um das ebenfalls vom scheinbar unaufhaltsamen Marsch des branded entertainment bedrohte Soho.

Eine von allerlei Showbiz-Persönlichkeiten angeführte Kampagne namens Save Soho versucht auch dort zu retten, was zu retten ist, aber ich fürchte, der Drang der Abermillionen globalen Kapitals, das in London immer noch fieberhaft nach Orten zum Festkrallen sucht, wird stärker sein als die schönen Worte von Stephen Fry und Benedict Cumberbatch.

Realistisch gesehen waren Soho und die Denmark Street schon die längste Zeit sowas wie eine Insel in der kommerziellen Wüste der Immobilien-Investments rundum, letzte symbolische Reste eines fast verschwundenen London, das in seinem immer schon vom Geld regierten Zentrum einst immerhin gallische Dörfer der Überschreitung duldete.

Ihr Verschwinden ist eine Tragödie für London, wenngleich - auch das muss gesagt sein - wohl nicht halb so eine große oder schlimme wie die andere, stille Tragödie, die sich in denselben Gegenden auf dem Wohnungsmarkt nun schon seit Jahrzehnten abspielt, nämlich die völlige Verdrängung aller Nicht-Superreichen aus dem Stadtinneren, jüngst symbolisiert durch den von Russell Brand medienwirksam unterstützten Kampf um den New Era Estate in Hoxton.

Aber natürlich sind diese beiden Tragödien eng miteinander verbunden. Und es fragt sich, wie viel Aushöhlung durch die Absiedlung seiner arbeitenden Bevölkerung und die Verwandlung seines Lokal- und Geschäftswesens in eine global austauschbare branded experience Londons Zentrum noch verträgt.

Bis es irgendwann keinen Menschen mehr interessiert.