Erstellt am: 11. 12. 2014 - 12:40 Uhr
Unflesh
Gewalt, Tarnung, Horror, Extase, Körper, die Dekonstruktion von ebendiesem und das Unwohlfühlen darin, das sind die Hauptthemen, derer sich Elizabeth Bernholz unter ihrem Alter Ego Gazelle Twin annimmt. Auf dem Cover ihres zweiten Albums "Unflesh" ist die Künstlerin im blauen Kapuzensweater mit aufgerissenem Mund zu sehen. Aber da, wo der Rest ihres Gesichts sein sollte, sind nur Fleisch und Knochen. Dass die Songs der Platte auch noch Titel wie "GUTS", "Good Death" oder "I feel blood" tragen, wirkt beinahe schon allzu plakativ. Bereits mit ihrem Debütalbum "The entire City" aus dem Jahr 2011 wurde die Musikerin als die britische Antwort auf Karin Dreijer Anderson aka Fever Ray gefeiert. Ihre Beschäftigung mit der Dunkelheit in all ihren Erscheinungsformen führt Gazelle Twin auf "Unflesh" unbeirrt weiter.

Gazelle Twin/Anti-Ghost Moon Ray / Last Gang Records
Der blaue Sweater, den sie etwa auch im Video zur Vorab-Single "Belly of the beast" sowie bei allen Auftritten trägt, ist eine Referenz an ihre frühere Schuluniform, eine Erinnerung an eine Zeit im Leben der Musikerin, die sie mit Pein und Schmerz verbindet. Bernholz litt damals an Dysmorphophobie, einer Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers, die den Gang in die Umkleidekabine des Schulturnsaals regelmäßig zum Horrortrip werden ließ. Bei Konzerten zieht Gazelle Twin sich heute hautfarbene Strümpfe über den Kopf und soll mit dem Mikro in der Hand durchs Publikum schleichen, um tratschenden Nicht-Zuhörern einen ordentlichen Schrecken einzujagen. Die Schockwirkung der Musik überträgt sich so ins wirkliche Leben der Gegenwart.
Die Tracks von Gazelle Twin, die ursprünglich ein klassisches Kompositionsstudium absolviert hat, verarbeiten Einflüsse aus Techno, Industrial, Pop und elektronischem Sounddesign zu einer eigenwilligen Mischung. Angereichert werden die brutalen Beats gerne mit Wimmern, Atmen oder Flüstern, übereinandergeschichteten Stimmen, flirrenden Synthesizer-Klimaxen. Am Anfang von "Unflesh" steht, ebenso wie etwa im vergangenen Jahr auf dem fantastischen "Abandon" der amerikanischen Noise-Göttin Pharmakon, ein Schrei. Während dieser bei Pharmakon aber der Agonie von beispielsweise einer Folter nachvollzogen zu sein scheint und Mark und Bein erschüttert, schickt Gazelle Twin ihre Stimme durch einen Filter. Ihr Revier ist die Stilisierung und Verfremdung von Schmerz und die Suche nach der speziellen Ästhetik des Fürchterlichen.
"Unflesh" ist, trotz allen Spielens und Kokettierens mit dem Schrecklichen, ein Pop-Album. Eine Platte, die stellenweise noch mutiger und radikaler hätte sein können, die in ordentlicher Lautstärke und mit dem richtigen Willen zum Gruseln aber doch eine beachtliche Kraft entfalten kann.