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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

15. 11. 2014 - 15:07

Grüße an London

Die britische Musiklegende Marianne Faithfull verabschiedet sich mit neuem Album und einer Tour, die sie auch nach Wien führt.

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Es scheint ein Abschied zu sein, ein "swan song", wie die englische Sprache dafür ein schönes Wort hat. Marianne Faithfull ist nicht nicht mehr allzu weit von ihrem 70. Geburtstag entfernt und möchte es ruhiger angehen lassen in Zukunft. "Give My Love To London" dürfte also tatsächlich ihr letztes Album sein. Sie schließt damit auch ganz bewusst einen Kreis, der im "Swinging London" der 1960er Jahre für sie begonnen hat.

Marianne Faithfull

APA/HERBERT P. OCZERET

In der damals "swingenden" britischen Hauptstadt, in der es nun erstmals nach dem 2. Weltkrieg richtig aufwärts ging, war der Teenager Marianne Faithfull eine der begehrtesten Frauen. Sie hatte eine Beziehung mit Brian Jones, dem Gitarristen der Rolling Stones, und dann vor allem aber mit Mick Jagger, zu dem sie nach ihrem Selbstmordversuch sagte: "Wild horses couldn´t drag me away." - und an dem sie später jedoch kein gutes Haar ließ. Auch John Lennon, dessen "Working Class Hero" Marianne Faithfull in den 70er Jahren gecovert hatte, kam nicht gut weg in ihren Interviews. Sehr intelligente, aber manipulative Männer mit durchaus einer gewissen Böshaftigkeit, stellte La Faithfull fest.

Aber alles der Reihe nach: Marianne Faithfull, deren Mutter aus Graz stammt, ging in eine englische Klosterschule, spielte die akustische Gitarre und sang dazu mit glockenheller Stimme, so wie sie es dann auf ihrer ersten Single tat, "As Tears Go By", einem Stones-Song. Schon bald aber war sie den Drogen verfallen, vor allem dem Heroin.

Fünfzehn Jahre nach "As Tears Go By" - Marianne Faithfull widmete sich zuallererst ihrer Sucht - dann ein überraschendes Comeback, mit "Broken English", das heute als eines der wichtigsten Alben der 70er Jahre gilt und vor knapp zwei Jahren wiederveröffentlicht wurde. Marianne Faithfull verstörte mit Songs über das Fremdgehen und die Eifersucht ("Why´d Ya Do It") oder den Baader-Meinhof-Terror ("Broken English"). Aber auch John Lennons "Working Class Hero" fand sich in einer aufwühlenden Version auf diesem Album, oder auch jener Song über eine gelangweilte Hausfrau, die ihre Träume zu begraben begann: der damals oft im Radio gespielte Hit "The Ballad Of Lucy Jordan", ein Stück vom US-Songwriter Shel Silverstein. Vor allem aber verstörte Marianne Faithfull mit ihrer "neuen" Stimme - einem tiefen, verletzten Krächzen. Es sollte die Trademark der Faithfull werden.

Auf ihrem nächsten Album "A Child´s Adventure" wenige Jahre später klang Marianne Faithfull bereits etwas "gesünder", aber weiterhin nicht fit. Im Song "Times Square" bezog sie sich wieder auf ihren Drogenkonsum. Aber sie klang entspannter, weniger anklagend, auch wenn sie etwa im Song "Running For Our Lives" sang: "I think, I´d like to get out of here, this place it frightens me. But we never get very far". London als der persönliche Ort des Schreckens für Marianne Faithfull?

Albumcover Marianne Faithfull "Give My Love To London", 2014.

Naive

"Give My Love To London" ist bei Naive erschienen.

Fastforward: Lassen wir also London schön grüßen von Marianne Faithfull. "Give My Love To London", dieser Albumtitel ist nämlich durchaus ironisch gemeint. London hat mich zerstört, sagt Marianne Faithfull auch heute noch. Deshalb lebt sie seit Längerem in Irland und in Paris. London, das ist eine Hassliebe. Dort gibt es zwar die besten Aufnahmestudios und die interessantesten MusikerInnen, sagt Marianne Faithfull, aber sonst möchte sie von dieser Stadt nichts hören. Zu tief sitzt all die Jahre danach noch der Schrecken des phänomenalen Absturzes - samt Obdachlosigkeit - in den Knochen von Marianne Faithfull. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit dem Respekt, von dem Marianne Faithfull erst ganz spät etwas bekam, wie sie immer wieder meint. Wahren künstlerischen Respekt - etwa für ihre Brecht-Weill-Interpretationen, oder für ihre Zusammenarbeit mit Damon Albarn und Blur ("Kissin´ Time"), Beck ("Sex With Strangers"), Billy Corgan ("Wherever I Go") oder Jarvis Cocker und Pulp ("Sliding Through Life On Charm"). Im letzteren Stück singt Marianne Faithfull: "I am muse, not a mistress, and not a whore", während Jarvis die Gitarre bearbeitet.

Die Fans unter den Musik-KollegInnen stellten sich auch für das neue Album wieder an: Nick Cave etwa, der Brite Ed Harcourt, ein gewisser Roger Waters, oder auch Anna Calvi. Über Letztere sagt Marianne Faithfull in einem Interview zu "Give My Love To London": "Sie ist mit der akustischen Gitarre in meine Wohnung in Montparnasse gekommen. Sie sah so süß aus, und sie gab sich so bezaubernd. Ich konnte kaum glauben, dass Anna in meiner Wohnung war. Wir setzten uns an meinen riesigen irischen Holztisch und schrieben zusammen den Song "Falling Back."

"Falling Back" ist ein treibendes Rock-Stück, das die Handschrift von Anna Calvi trägt, aber auch richtig Marianne Faithfull ist: Sich im Kreis drehen, an die Wand rennen. Marianne Faithfull nennt die Dinge wieder beim Namen, wie auf "Broken English", und so gibt es hier Songtitel wie "True Lies", "Late Victorian Holocaust" - von Nick Cave geschrieben - oder "Deep Water", das nochmal Nick Cave als Co-Autor ausweist. Ganz ohne Coverversionen geht es bei Marianne Faithfull, die ja stets auch eine Interpretin war, auch diesmal wieder nicht: Den Everly-Brothers-Klassiker "The Price Of Love" covert sie etwa auf "Give My Love To London".

Marianne Faithfull spielt am 16.11. im Konzerthaus in Wien.

Vor sage und schreibe 50 Jahren stand Marianne Faithfull erstmals auf der Bühne. Die Tour jetzt soll ihre allerletzte werden, aber auf Einzelkonzerte dürften wir weiterhin hoffen. Nach einem Unfall auf einer griechischen Insel, bei der sich Marianne Faithfull die Hüfte brach, lag sie mehr oder weniger über ein halbes Jahr lang im Bett, dachte viel nach, wurde etwa auch zornig und begann die Songs für "Give My Love To London" zu schreiben. Bitte, noch ein Album, wenigstens eines noch, Marianne!