Erstellt am: 23. 10. 2014 - 11:46 Uhr
Sie kommen vom selben Fleck
Im Musikjournalismus ist das eine der klassischen Herausforderungen an die eigene Integrität: Der Zeitpunkt, wo man sich mit denen befreundet, deren Werk man beschreiben und kritisch beurteilen soll. Geht natürlich nicht ganz, weil das Kennen der Person hinter der Musik diese immer noch ein Stückchen interessanter macht. Das kennt jedeR zumindest unbewusst aus eigener Erfahrung, und zwar von beiden Seiten. Die befreundete Band, die ganz offensichtlich die beste der Welt ist. Oder umgekehrt: Die befreundete Band, der man ihre Posen nicht abnimmt, weil man sie im Licht ihrer schnöden Sterblichkeit kennt.
Das hier ist, wie ich selbstkritisch feststelle, offenbar schon mein dritter Blog zu Allo Darlin' in vier Jahren.
Nummer eins war diese.
Nummer zwei war jene.
Und wie ich ebenfalls gerade merke, lassen sich die anderen beiden ganz gut als Backstory zu dieser Geschichte hier lesen.
Bei Allo Darlin' ist das anders, und zwar auf eine Weise, die nichts damit zu tun hat, dass bzw. ob ich sie selber kenne oder nicht. In diesem Fall ist es nämlich genau so, wie Darren Hayman - ja, ein weiterer gemeinsamer Freund - es in seinen Linernotes zu ihrem neuen Album "We Come From The Same Place" ausdrückt:

Fortuna Pop!
Liz (Morris, die Sängerin und Songschreiberin und Chefin von Allo Darlin', Anm.) schreibt Songs über Freundschaft. Als ich sie zum ersten Mal hörte, wurde mir klar, dass ich die Leute kannte, die in ihren Texten vorkamen. Ich kenne sie tatsächlich, aber ihr kennt sie auch. Sie sind wie Andie & Duckie, Butch & Sundance. Sie waren immer da, wenn wir sie brauchten. [...] Diese Songs erschaffen ihre eigene Welt, und die Leute lieben Allo Darlin', weil sie wissen, dass sie diese Welt einfach betreten und sich in ihr willkommen fühlen können. [...] Wenn ihr euch diese Platte anhört und euch denkt 'Die könnten meine Freunde sein', dann habt ihr recht. Das könnten sie wirklich sein.
Interessant, wie sentimental das klingt, sobald man's einmal auf deutsch übersetzt. Aber das ist schließlich einer der geheimen Gründe dafür, warum die deutschsprachige Welt mit ihrem gestörten, ironisierten Verhältnis zu Kitsch und Sentimentalität ihren Pop so gern auf englisch konsumiert. Unter dem Schutz der sprachlichen Distanz geht da so viel mehr an großen Gesten durch.
Und im Grunde stimmt es ja auch: Allo Darlin' sind eine Band, die ihr Album "We Come From The Same Place" nennen und damit ohne Einbau irgendeiner Meta-Ebene einfach alle meinen kann, die ihre Musik hören.
Einer der großen Kulturkämpfe, die Allo Darlin' über die Jahre durchmachten, war Liz Morris' Aufbegehren gegen das Wort "twee" - die Niedlichkeit, wie wir sie auch im Deutschen als den zentralen Kritikpunkt an der Indie-Szene kennen. Aber abgesehen davon, dass sich hinter diesem Vorwurf nicht selten der Zwangsüberwindungskomplex mit sich selbst ringender Spießer_innen, ein kodierter Machismo oder gar eine gewisse Art von Frauenfeindlichkeit versteckt, verwechselt er auch ganz grundsätzlich Form und Inhalt.
Einerseits stimmt es wohl, dass eine Band wie Allo Darlin' in ihrer Musik keine Ambitionen zeigt, ihre tendenziell weiß und privilegiert konnotierte Indie-Welt zu verlassen, aber andererseits lebt die von Darren in seinen Liner Notes angesprochene Qualität ihrer Songs gerade von diesem Verzicht auf jegliche Überhöhung und Transzendenz. Es ist kein Wunder, dass Liz Morris ein Fan der Go-Betweens und Robert Forster ein Fan von Liz Morris' Songs ist. Da besteht gegenseitig genau dieselbe Beziehung.
Oder wie Liz es neulich in unserem Interview sagte, als ich sie auf das Geheimnis des persönlichen, "confessional" Songschreibens ansprach:
Ich glaube, es war Joan Didion, die den Unterschied zwischen dem Persönlichen und Privaten hervorhob. Manchmal kann es ziemlich peinlich sein, Dinge zu lesen, wo jemand wirklich etwas über sich selbst preisgibt. Es ist ein schmaler Grad, auf dem man wandelt, aber ich versuche, wenn ich schreibe, die universelle Wahrheit zu finden, zu der die Leute eine Verbindung herstellen können.
Mit anderen Worten: Was sich manchmal täuschend schlicht anhört, ist in Wahrheit eine ziemlich heikle Kunst. Und meinem freundschaftlich gefärbten Eindruck nach wird Liz darin immer besser.
"We Come From The Same Place" ist also mein bisher liebstes Allo Darlin'-Album, vielleicht auch, weil die Band nicht zuletzt bei ihrer vorletzten, gemeinsam mit den Wave Pictures bestrittenen Amerika-Tournee ein bisschen etwas von deren offenem, fließendem Verhältnis zu Songform und Dynamik angenommen hat. Es gibt jetzt Platz für Temperamentsausbrüche, aber auch für die Sorte Leerlauf, die sich erst im Nachhinein als Anlauf nehmen entpuppt.
Das erwähnte Interview führte ich vor etwas mehr als zwei Wochen in der kleinen Wohnung von Gitarrist Paul Rains in einem der oberen Stöcke eines Hochhauses in Limehouse, die er sich mit Duncan Barrett von der Band Tigercats und Sarah Lippett von der Fever Dream teilt.

Robert Rotifer
Liz ist vor einiger Zeit, wie man auch den Texten des neuen Albums entnehmen kann, mit ihrem Freund, der nicht derselbe ist wie beim letzten Album (und den sie mittlerweile geheiratet hat), nach Florenz gezogen. Der Titel "We Come From The Same Place" ist heutzutage also doppelt ironisch bzw., wenn man will, symbolisch für ihre spirituelle statt geographische Verbundenheit zu verstehen, weil die Band heutzutage eigentlich nur dann zusammenkommt, wenn es gemeinsam Musik zu machen gilt. Dann aber mit einer Wiedersehensfreude, die auch auf Platte deutlich hörbar wird.
In diesem Fall war Liz nach London gekommen, um sich gemeinsam mit Mike, Paul und Bill zur nächsten Amerika-Tournee aufzumachen. Als ich in Limehouse ankam, stolperte ich dementsprechend über den kofferfertig abgeschraubten Korpus von Pauls Gitarre (der Hals ging ins Handgepäck). Er und Liz knieten mit schwarzen Filzstiften in der Hand in der Mitte des Wohnzimmers zwischen Haufen von Platten, die es an ihre Bandcamp-Kundschaft zu verschicken galt.

Robert Rotifer
Während wir über das neue Album plauderten, steckte Paul mit Übersetzungshilfe seitens der Fan-Community entworfene Drucke in die Plattenkartons, auf denen der Titel des neuen Albums in so vielen verschiedenen Sprachen wie möglich zu lesen ist ("Wir kommen alle vom selben Fleck"). Allo Darlin' erkennen viele der hunderten Namen wieder, die sie auf die Umschläge schreiben (mit der Hand natürlich). Sie verbinden mit ihnen Erinnerungen an Konzerte, Gespräche davor und danach und wochenlange Reisen in Mietbussen quer durch Europa und Amerika.
Irgendwann - Paul war gerade dabei, die technischen Details der Aufnahmen in den (ebenfalls befreundeten) Londoner Soup Studios zu erklären - wies Liz sanft aber bestimmt darauf hin, dass das Postamt in einer Stunde zusperren würde. Also schnappten wir ein bis zwei Rollkoffer pro Person und noch einen prall gefüllten Plastiktrog voller Platten und wetzten damit in Richtung Post. Die Leute in der Schlange hinter uns waren erstaunlich geduldig, während der Postangestellte geduldig das Porto kalkulierte. Gegen Sperrstunde war der ganze Haufen Vinyl versandfertig in Postsäcken verstaut.

Robert Rotifer
So sieht die Do It Yourself-Realität einer wirklich erfolgreichen, von Großbritannien aus operierenden Indie-Band im 21. Jahrhundert aus, zumindest einer solchen, die aus Prinzip keine Songs an Werbungen lizensieren will, weil sie dann genau diese ungebrochene Bindung an ihr Publikum, von der wir hier die ganze Zeit reden, wieder verlieren würde.

Robert Rotifer
Man will sich schließlich auch nicht mit einem Freund treffen, der sagt: "Ich erzähl dir eine Geschichte und wenn du sie interessant findest, möchte ich dir danach auch noch dieses Bier hier empfehlen, weil der da drüben am anderen Tisch mich dafür bezahlt hat." Das würde das Gespräch dann doch irgendwie entwerten.
Liz Morris arbeitet in Florenz als Englisch-Lehrerin. Als sie noch in London lebte, hat sie unter anderem bei Topshop getempt. Allo Darlin' hätten einmal kurz versucht, von der Musik zu leben, sagt sie, aber das hätte sich als einfach "unmöglich" herausgestellt.
Mein Interview mit Allo Darlin' ist bis kommenden Montag hier zu hören, und zwar in der zweiten Stunde der Sendung.
Allo Darlin' spielen am 29. November in Wien im Chelsea.
Nun bin ich ja der allerletzte, der einerseits die relative Brotlosigkeit kombinierter Nebenerwerbstätigkeiten romantisiert (auch in Florenz nicht) oder andererseits meint, Bands hätten aus Prinzip ein luxuriöses Lotterleben verdient. Ich würde mir allerdings sehr wohl wünschen, dass Allo Darlin' einmal so richtig lange Zeit in einem Studio verbringen könnten, um ihre auf "We Come From The Same Place" immer noch bloß angedeutete, klangliche Reichweite vollends auszuloten.
Aber eins muss man zugeben: Ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber ihrem Publikum, das mehrheitlich tatsächlich ein ähnliches Leben führt, schaden diese existenziellen Umstände sicher nicht. They really do come from the same place.