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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

2. 10. 2014 - 15:59

Die Übermalung des Rassismus

Die Geschichte eines verschwundenen Banksy: In Clacton-on-Sea darf man zwar nach Herzenslust fremdenfeindlich agitieren, aber nicht satirisch Street Art drüber machen.

Soso, im Auftrag der Bezirksverwaltung von Tendring an der Ostküste von Essex wurde also ein Banksy übermalt. Sonst noch was zu berichten?

Geduld, Geduld.
Stellen wir eingangs dreierlei klar:

A) Ich empfinde eine emotionelle Äquidistanz, sowohl zu der Fraktion, die Banksy liebt, weil „das endlich einmal Graffiti ist, das politisch was aussagt und auch ein bissl Witz hat“, als auch zu denen, die ihn verachten, weil er künstlerisch total banal und bieder ist und die Gentrifizierung der Street Art zu verschulden hat. An verschiedenen Tagen, je nach Hormonspiegel, geb ich beiden irgendwie recht.

B) Ich hab geglaubt, ich kotz mich an, als der Radiomoderator der BBC heute zielsicher auf den Punkt zustrebte, wie viel die Wandmalerei wert gewesen sein mag. Das ist hier wohl völlig wurscht.

C) Bevor ihr mich fragt, ob ich keine anderen Sorgen habe: Stimmt schon, seit ich hier vor zwei Wochen am Tag nach der schottischen Unabhängigkeitsabstimmung das letzte Mal gepostet habe, hatten Labour, UKIP und die Tories ihre Parteitage, und ich könnte mich hier endlos ausschütten über die Unverfrorenheit letzterer Regierungsfraktion in ihrer Strategie an den Ärmsten zu sparen, weil es angeblich nötig ist, und im Gegenzug den Bessergestellten Steuergeschenke zu versprechen, weil man sich's nach all der Sparerei leisten können wird.

Ganz zu schweigen von der Opposition, die statt klare Alternativen zu präsentieren, im Grunde genau dasselbe, nur ein bisschen milder vorzuhaben scheint (ja, ich vergröbere hier, liebe Labour-Supporters, aber glaubt mir, so kommt's rüber, dankt Schatten-Chancellor Ed Balls für seinen Top-Wahlschlager des einprozentigen Kinderbeihilfe-Erhöhungs-Limits, wirklich toll hingekriegt).

Das alles, während der den Schotten versprochene Devolutionsschub wie abzusehen prompt wieder gekillt bzw. von der Tory-Agenda der Einführung englischer Spezialabstimmungen im Unterhaus usurpiert wurde. Hate to say I told you so.

Und während Home Secretary Theresa May unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den militanten Islamismus und dessen Agiteur_innen für die nächste Legislaturperiode neue Gesetze gegen „Extremismus“ jeder Art ankündigt – nützlich schwammig definiert als „schädliche Aktivitäten“, die „öffentlichen Aufruhr“, „Belästigung“, „Aufregung“ und „Unbehagen“ hervorrufen, oder „das Funktionieren der Demokratie gefährden“ könnten.

So oder so spielen alle diese Sachen hier mit rein, weil die Partei, die diesen anbrechenden Wahlkampf (den für die Unterhauswahlen im Mai 2015 nämlich) thematisch vor sich herschiebt, wieder einmal erwähnte, in Xenophobien aller Arten und Ausprägungen handelnde UKIP ist. Nigel Farages Rechtspopulist_innen haben nämlich zwei Typen aus der Tory-Fraktion zum Überlaufen überredet.

Neulich erst Mark Reckless, der entgegen allen Gerüchten nie was für Stiff Records aufgenommen hat, in Rochester & Strood, dort wo Charles Dickens seine „Great Expectations“, eine bisher als zeitgenössischer Roman aus dem mittleren 19. Jahrhundert missverstandene, punktgenaue Prophezeiung der britischen sozialen Zustände im 21. Jahrhundert, ansiedelte.

Und vor einer Weile schon Douglas Carswell (told you that as well) in Clacton-on-Sea.

Was wiederum gerade der Hauptsitz jener Bezirksverwaltung ist, die diesen Banksy übermalen ließ.

Tauben mit Schildern "Go Back To Africa", "Migrants not welcome", "Keep off our worms" auf Telegrafenleitung neben Zugvogel

banksy.co.uk

Das vom Tendring Council wegen angeblicher Beschwerden der Öffentlichkeit über ihren "rassistischen" Inhalt übermalte Banksy-Wandbild

Ha, seht ihr was ich da gemacht hab? Man denkt, der schwadroniert nur vor sich hin, und dann schließt sich doch noch ein Kreis. Ich musste halt ein bisschen ausholen, um den Kontext klarzumachen:

In einer Gegend, in der eine Partei, die davon lebt, die Angst vor Einwanderung zu schüren, gerade das politische Klima bestimmt, beliebt eine Gemeindeverwaltung ausgerechnet die wirklich für den letzten Deppen offensichtlich antirassistische Wandmalerei eines Banksy willentlich als potenziell rassistisch misszuverstehen. Angeblich als Reaktion auf Beschwerden aus derselben Bevölkerung, die drauf und dran ist, eine Partei ins Parlament zu wählen, deren Aktivist_innen in den vergangenen Jahren mit ermüdender Regelmäßigkeit der rassistischen Hetze überführt wurden.

Man kann nun zum Beispiel darüber diskutieren, ob die Kunstgalerie des Barbican in London gegenüber den Demonstrant_innen, die jüngst die als Rassismus-Kritik gedachte Ausstellung „Exhibit B“ als rassistisch verstehen wollten, nicht nachgeben hätte dürfen.

Aber die Übermalung des Banksy-Wandbilds in Clacton ist eine völlig andere Geschichte. Da steht kein kunstunkundiger, das Dekodieren von Metaphern aus Prinzip verweigernder Mob dahinter, sondern eine politische Landschaft, die sich nicht mit dem Kern ihrer eigenen Verkommenheit konfrontieren lassen will und ihre Feigheit dann auch noch mit Rücksichtnahme auf verletzte Gefühle verbrämt.

Erbärmlich, und in Anbetracht der von Theresa May geplanten neuen Anti-Extremismus-Gesetze ein Vorgeschmack darauf, wie sich solche Vorgaben missbrauchen lassen werden.