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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

15. 9. 2014 - 19:22

Im Mittelmaß ersoffen

"Song Reader" von Beck gibt es jetzt auch als Prominenten-Compilation. Mit allen Lieblingen und ohne Höhepunkte.

Die Aktion des Grunge-Prominenten Beck Hansen, seinen als Sheet Music (schön für: Zettelsammlung) und Webprojekt veröffentlichten Songzyklus "Song Reader" nun auch in Form eines Tribute-Albums herauszugeben, war lange erwartet worden. Von mir nicht. Ich brauche jetzt keinen Schnaps, sondern ein Ventil, wie man sich aus der Lieblosigkeit dieses Promiaufmarsches herausschreiben kann.

Oft kann man nicht umhin, Formate der Konkurrenz zu beneiden. Hätte ich die Erlaubnis und könnte ich nun einen "Brief an einen Leser" im Stil der Titanic verfassen, müsste der wohl so lauten.

Howdy, Beck, alter Weltraumschleimscheißer,

nicht genug, dass wir uns schon seit 20 Jahren anhören müssen, wie Fluxus und libertär-urkreativ dein jugendlicher Hemdsärmel nicht beschaffen sei, aus dem du so ungezähmt individualkreative Solitärangelegenheiten von Relax-Songs gnädig rauszuscheißen dich herablässt, jetzt hat dir auch der große Thetys, oder wie der Alien Fitti heißt, dem du deine Neunziger Klautantiemen-Millionen in den Rachen schmeißt, in der letzten Sitzung mit Tom Cruise befohlen, dass diese Meisterwerke jetzt nur mehr als hingekritzelte Fresszetteln den hündischen Anhängern vorgeworfen werden sollen – sollen die dummen Nicht-Weltraumgläubigen doch selber ihre Peter-Bursch-Akkorde dazu kratzen, für Gottes bzw. Thetanlohn versteht sich. Clear? Ist aber wohl doch nicht so toll geworden, was? Als Brücke zur völligen Labertantigkeit hast du das "Meisterwerk" "Song Reader" einem Haufen Langweiler, Semipromis in die Hand gedrückt, mit der Auflage, dass sie sich zuerst einer Ödheits-OCA unterwerfen und die Machwerke ja nicht mit irgendwelchen Interessantheiten entpurifizieren – Nora Jones, Fun. Jack Black, mein Arsch... und dann auch noch du selber.

Da wünscht man sich die Zeiten vor Narconon zurück,
Clear? Dann sag JA zum Leben.
Mit methanreichen Grüßen

Aber das darf ich ja nicht … Religionsherabwürdigung als Hobby oder gar als Kulturkritiktransporter zu verwenden, ist ja gerade hierzulande (ausgerechnet jetzt) das Haupttabu. Schade.

Cover mit Noten

Beck

Aber Unrecht hätten die deutschen Kollegen nicht. Man hat das Gefühl, als hätte der vielleicht erste postmoderne Folkie der neuesten Zeit, nun erneut, nach Dylan und Tropicana, sich vorgenommen, ein kurzes Songwriter-Fenster der Popgeschichte zu plündern, Und das muss natürlich ein Kalifornisches sein, schließlich ist Beck das personifizierte Kalifornien-Klischee, antiautoritäres Kunstkind, Mutter mit Andy Warhol befreundet, Slacker, Straßenblueser, Ironiker, Dieb und mit einer Hollywoodschauspielerin verheirateter Scientologe. Eine Biografie, die sich Mike Davis, der Chronist des sonnigen und bösen Kalifornien, ausgedacht haben könnte – der Schickeria-Horror schlechthin.

Und das musikalische Kalifornien, das hier beklaut wird, ist eines der uncoolsten und von Post Punk und diskursgeschulten Hörergenerationen gerne als "verloren" bezeichneten, das der Koksnasen der Westküste der frühen Siebziger Jahre, James Taylor, Gordon Lightfoot, Jim Croce, sehr gerne auch Randy Newman, die Brut von Laurel Canyon, die schon Neil Young in seinem "Revolution Blues" mehr hasste "als die Lepra". Und sehr gerne nehmen die hier geladenen Intellektuellen und Freunde dies zum Anlass, diese eh schon klassisch seicht angelegten Songs von "Song Reader" auch noch entweder in Marshmallow-Watte mit Krokant zu hüllen oder gleich zu den Ihrigen zu machen – Sound-Experimente oder V-Effekte braucht man sich hier nicht zu erwarten.

David Johansen, der sechzigjährige Proto Punk in bestem Siebzigjähriges-Drogenwrack-Look, der sich nach dem Tod seiner New York Dolls schon Jahrzehnte mit lustig machendem New Orleans Big Band Jazz und Stax-Soul beschäftigt, macht aus "Rough on Rats" einen Cab-Calloway-Bühnenclown-Schmalzler, der in den "True Blood"-Vorspann passen würde – seine Nummer eben.

Die dienstälteste Experimental Pop Band der Welt, die Sparks aus Becks Heimat, sind ja - nach 25 Jahren zwischen Glam, Disco, House, Musical und Theater – schon seit längerem in die Phase des Minimalismus geschrumpft – hier jedoch wird aus "Why do you make me care" mit tausend Streichern und hundert Gesangsstimmen ein Sparks-Drama erzeugt, das die Welt bedeutet – ihre Nummer, aber eine der besten dieser Art seit "Never Turn Your Back on Mother Earth", das muss man sagen.

Der 62-jährige Country-Soul-Künstler Swamp Dogg erinnert in seiner übereindringlichen leisen Pressperformance an einen Randy Newman, der gezwungen wurde, bei einer Sporteröffnung zu spielen. Die Message von "America, here's my Boy", dem "sagmirwodieBlumensind" von "Song Reader", kommt in seiner "Nie wieder Krieg"-haftigkeit ausreichend herzberührend rüber – seine Nummer.

Vielleicht braucht es das ja jetzt gerade auch: Tränen, Muttermitleid, Fassungslosigkeit vor so viel Unrecht, Pazifismus in Schmalz verpackt, wie Roberta Flack zu Spätvietnamzeiten, keine Wut, kein Protest, nur Allzumenschliches … ich könnte es verstehen, mein zynischer Reflex gegen weinerlichen Gefühlsprotest wird hier von diesem gutem Soulgesang eher genährt.

Noch eine Traditionalismus-Nummer, nochmal Randy Newman: Loudon Wainwright lll, der andere große Zyniker der 70ies Songwritergeneration, singt über all die Hybris und die Sinnwidrigkeiten, die die menschliche Rasse sehenden Auges und wider besseres Wissen zu tun bereit ist, ganz im Stil von Randy Newman gibt es zur bösen Message Happy-Kinderlied-Swing und Call-and-Response-Refrain.

Der kolumbianische Superstar Juanes täuscht mit seiner spanischsprachigen Version von "Don't Act Like Your Heart Isn't Hard" darüber hinweg, dass die Nummer – von eine paar harmonischen Schlankern abgesehen – eine eins zu eins Kopie ist, ausgerechnet von "The First Cut is the deepest" vom homophoben Frauengrußverweigerer Yusuf Islam, dessen erstes Soloalbum seit fünf Jahren dieser Tage erscheint, wie Sony Music unermüdlich seit Tagen aussendet, leider nicht nur als Zettelsammlung.

Respektlos wie immer holt sich Jarvis Cocker die Nummer "Eyes That Say 'I Love You'" in seine Ecke, vielleicht singt er hier sogar über dem Rhythmustrack von "After You", war nicht viel Arbeit diese Nummer zu seiner zu machen.

Jack Black macht noch das beste aus seiner stilistischen Enge, man sieht förmlich seine rausspringenden Dämonenaugen bei "We all wear Cloaks", das auch aus dem Popeye-Filmsoundtrack von Harry Nilsson stammen könnte. Aber der Mann würde aus den Kindertotenliedern noch eine Revuenummer machen, der kann nicht anders, als die Nummer in TenaciousD-Abgründe zu ziehen, insofern ist ihm kein Vorwurf zu machen. Und das Lied ist eines der spaßigeren auf "Song Reader".

Sonst noch: Die Band Fun ist keiner, Beck ist eben Beck, Norah Jones ist leider wieder mal zu nett für die Welt - und die Laterne geht an Jack White, der mehr könnte, aber dessen Version von "I'm Down" den Mars Attacks Aliens in ihren Helmen die grünen Schleimköpfe platzen ließe.

Auf der "Song Reader" Seite gibt es – wer die Songs mag, was bei der klassischen Komponierweise kein Wunder wäre – haufenweise Versionen von ambitionierten Nachwuchsfans. Dort finden sich zu jeder Nummer interessanter gespielte und liebevoller interpretierte Versionen. Und jetzt brauch ich doch einen Schnaps.