Erstellt am: 6. 9. 2014 - 08:42 Uhr
"First we take the streets"
Am Mittwoch hat die Berlin Music Week (BMW) in Berlin begonnen, Sympathie für und Interesse an dieser Veranstaltung halten sich jedoch auch in Musikerkreisen in Grenzen.
Der Vorteil der BMW ist, dass sie am Sonntag schon wieder zu Ende ist und man eigentlich nix von ihr mitkriegt. Berlin ist groß und da verlaufen sich die hochgepriesenen Events zum Glück so ein bisschen. Deshalb hat man während der BMW die "Musikstadt Berlin" auf die Größe einer überschaubaren Kleinstadt geschrumpft, jenes Gebiet um die Kreuzberger Oberbaumbrücke, bis zur Warschauer Brücke und den Ostbahnhof.
Aber selbst wer in nächster Nähe wohnt, wird kaum einen Unterschied zu einem normalen Wochenende ausmachen. Die Gegend ums Schlesische Tor ist seit einigen Jahren die Ausgeh- und Clubgegegend: Lido, Comet, Magnet, Watergate, Postbahnhof, Privatclub, Fluxbau, Berghain Kantine, Yaam, Arena, Bi Nuu, Glashaus, White Trash, Club der Visionäre, Urban Spree, Club der Visionäre usw... finden sich hier.

BMW
Voll ist es hier immer und Bands von überall spielen hier auch immer. Die Berlin Music Week fällt im Stadtbild also nicht weiter auf und nervt daher auch nicht. Das ist allerdings auch das Problem der Berliner Musikwoche, sagt ihr Leiter Björn Döring: "In keiner Stadt der Welt ist es schwieriger ein dezentrales Musikereignis zu produzieren, das sich vom Rest des Jahres abhebt. Hier hat man jeden Tag 100 Konzerte in mindestens so vielen Clubs. Es funktioniert in kleinen, mittelgroßen Städten besser. Wo sich Leute vor Ort damit identifizieren."
Vielleicht kam man deshalb auf die Idee, neben den Clubnächten auch das Straßenmusikfestival "First we take the Streets" ins Leben zu rufen. Die Idee der Straßenmusik, deren Hauptmerkmal doch ist, dass man sich, den öffentlichen Raum nutzend, einfach hinstellt und spielt, wurde hier im Sinne des Castingwahns umgedeuted: Wer mitmachen will, muss sich bewerben und einer Jury stellen. Schließlich wurden 100 Musiker ausgewählt, die zwei Tage lang umsonst das tote Gelände an der East Side Gallery bis 20 Uhr abends bespielen dürfen. Auffallen dürfte das nur den vielen Touristen, die sich das Mauerstück an der vierspurigen Straße anschauen. Die wundern sich auch nicht, dass sich eine Band der Einfachheit halber gleich nach dem Sponsor und Likörhersteller benennt.
Wer an einem ganz normalen Wochenende hingegen abends über die Oberbaumbrücke schlendert, wird sich wundern, wie viele verschiedene Musiker, Entertainer und Soundsystems sich dort aufbauen und auf welch hohem Niveau gespielt und aufgelegt wird. Die Berlin Music Week ist auch eine Fachmesse. Im Postbahnhof trifft sich laut Veranstalter die internationale Musikbranche. Das dürfte übersichtlich bleiben, denn die besteht ja nur noch aus den drei Konzernen Warner, Universal und Sony. Wie in den vergangenen Jahren sind auch dieses Mal wieder hauptsächlich Stände irgendwelcher Technologie-Start-up-Firmen, Markenartikel-Sponsoring-Vertreter und alle möglichen wichtigen Event-Agenturen anwesend.

Berlin Music Week
Auf der Konferenz "Word!" indessen bespricht man nichts weniger als "Veränderungen durch Digitalisierung und Technisierung, Perspektiven der Recorded Industry, Diversity und Produktionsbedingungen der Popkultur". Das heißt, es geht mal wieder um die Frage, wie man mit Streaming-Diensten Geld verdienen kann, und am Rande auch noch kurz um die Frage, ob Popmusik früher auch einmal etwas mit "Politik" und "Haltung" und Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse zu tun gehabt habe.
Die Antwort darauf hätte man eventuell schon am Mittwoch Abend im Magnet Club finden können. Eine Firma namens "nineteen95" lud zu einem "DNA BLN Event". Welche Künstler dort auftreten, wurde im Vorfeld nicht verraten, wohl aber die Namen der Sponsoren: Eine Schnapsfirma, ein Billighotel für Rucksacktouristen, ein Musik-Streaming-Dienst, eine Webseite und ein soeben deutschlandweit verbotenes Privat-Taxi-Unternehmen.
In einem peinlichen Imagefilm der BMW wird erklärt, warum Berlin so toll und eine wichtige Musikstadt ist.
Wer es schafft ihn zu Ende zu sehen, wird auch verstehen, warum die BMW so unbeliebt ist: Mit der Berlin Music Week macht die Stadt eine Imagekampagne auf Schultern derer, die dieses Image aufgebaut haben. Die nach dem Mauerfall freie Räume besetzt haben, Ideen entwickelt haben, und dabei von der Stadt nicht unterstützt oder gar behindert wurden in ihrer Arbeit. Jahrelang hat man ihnen das Leben schwer gemacht, mit Bauämtern, Steuern, Verordnungen, am Ende stand oft die Verdrängung.
Die Beliebtheit Berlins als Musik- und Partystadt hat gar nichts mit der Politik, der Tourismus AG und der hier ansässigen Musikindustrie samt sämtlicher Event- Agenturen zu tun. Sie entstand nicht wegen, sondern trotz derer, die sich jetzt damit brüsten. Gerechterweise muss man aber anmerken: Es ist nicht alles schlecht an der BMW.
Das Berlin Festival, das dieses Jahr vom weitläufigen Flughafen Tempelhof in die kleinere Arena umgezogen ist, beschert den Besuchern stets schöne Momente. Interessant wird bestimmt auch die erste Africa Music Convention, kuratiert von den Berliner Technoproduzenten Gebrüder Teichmann, die viel in Afrika unterwegs waren. Und immerhin hält der Verband der Unabhängigen Plattenfirmen VUT seine "Indie-Days" während der BMW ab.