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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

2. 8. 2014 - 14:06

Wuschel und Wucht

Wie Notwist in der Arena den Raum in Besitz genommen haben.

Drinnen, Draußen. Ein Konzert einer so auf stimmungsvolle Soundscapes angeglegten Band wie Notwist anders als am stimmungsvollsten Ort in Wien zur stimmungsvollsten Zeit des Jahres zu sehen, wäre ein Fehler, denkt man. Der Innenhof der Wiener Arena, umgeben von Manchester-Industriegemäuer unter dem großen, manchmal bedrohlichen Schornstein in einer lauen Augustnacht wäre geeignet, jede noch so unambitionierte Darbietung mit einem Zuckerguss von Einzigartigkeit zu verzieren.

Aber nein. Essig. Nüsse. Nixda. Notwist spielen in der großen Halle, der Mehraufwand an Personal und die strenge Open-Air-Sperrstunde erschweren einen Außeneinsatz und die Weilheimer haben wohl auch keine 3000 Tickets verkauft. Draußen findet einstweilen das "10 Jahre Biawochen"-Fest statt, mit Bier des Tages und Gratiskonzerten lokaler Punkbands. Selbige stimmen uns mit österreichisch/bayerischem Highspeedhardcore Marke 1990 ein, der - wie schon 1990 nicht selten passiert - beim punküblich öden Wechsel zur "Doubletime" (Schlageug zuerst puff-zack, dann im Refrain puffzackpuffzack) zur schunkelseligen Bierpolka wird... dieser Pogo-auslösende Effekt wird auch nach Jahren Hardcoregeschichte nicht spannender und löst auch keinen Pogo aus. Stattdessen gemütliches Draußenstehen in Einstimmung auf eine Band, die schon ebenso lange wie diese Muskelübung existiert und sich auf völlig anders geartetem Gebiet zu einer der konstantesten Kräfte des kontinentalen Indie Rock entwickelt habt.

Notwist

ORF Radio FM4 | Boris Jordan

Drinnen: Material: Die Notwist-Bühne sieht aus wie ein Musikgeschäft. Zum ersten mal sehe ich neben Gitarren, Bässen, Kabeln, Pedalen, Ständern, Keyboards und Drumbergen ein leibhaftiges Vibraphon auf einer Rockbühne, dazu noch - wohl eher zur Dekoration - einen hoch aufgerichteteen Beckenständer, auf dem ein in Spiralen geschnittenes, herabbaumelndes Becken thront - ich Vorurteilsbehafteter halte es zuerst stöhnend für das übliche Beeindruck-Theremin, aber im Laufe des Konzertes wird es noch öfter von verschiedenen Drumsticks bearbeitet werden (allerdings im Sound untergehen).

Als die schüchternen Wuschelmänner ihre ersten Lieder spielen und nach und nach die gewaltige Soundmasse aus ihrer Lastwagenladung an Instrumenten, Generatoren und Pedalen herauskitzeln, wird der Wunsch nach Open Air leiser: Notwist beherrschen den Raum. Der Vergleich der Konzerte beim Donausinselfest und dem letzten FM4 Fest in der Ottakringer Brauerei bestätigt sich erneut: Die Fähigkeiten dieser virtuos zusamenspielenden Gruppe, das Spiel mit treibendem Beat, zarten Melodien, verwirrendem Lärm, das Spiel mit Timing und Takedown, Echo und Effekt, diese Ergebnisse dieses langen Bandlebens, des Ertüftelns von Klangwelten zwischen Can, Sonic Youth und Stereolab verdichten sich in gut klingenden Räumen und ordentlich lauten Clubs zu einer Macht (auf großen Bühnen unter freiem Himmel kann das alles schon mal verwehen). Strobelight und Sommerhitze spielen dieser Musik auch in die Hände - So ist also alles gut und alle sind zufrieden, vorne ist genug Platz zum Tanzen und Schwitzen, hinten ist genug Sound zum zarten Mitwiegen - Notwist bedienen beide Bedürfnisse: "Pilots", "Kong", Neon Golden" "Pick up The Phone" ...Schön.

Schnell noch ein T Shirt mit dem bezaubernden King Kong aus dem bezaubernden Kong Video gekauft und in der lauen Nacht unter dem mächtigen Schornstein klingt der Nachhall das mit Geigenbogen gestrichene Vibraphons in den Sommer hinein.