Erstellt am: 22. 7. 2014 - 21:34 Uhr
Here I am in the Hammersmith Hotel
Als Billy Bragg das letzte Mal in Österreich war, hab ich hier eine Geschichte darüber veröffentlicht, warum er mir und meinesgleichen einmal so wichtig war und immer noch ist.
Es waren andere Zeiten damals, Zeiten, wo man sich einbilden konnte, dass "tomorrow's going to be a better day", denn "we're going to make it that way". Verzeihung, ich zitiere da aus dem letzten Song von Billy Braggs letztem Album "Tooth & Nail", für dessen Text die Menschheit den Ausdruck "wishful thinking" erfinden müsste, wenn sie dazu nicht schon an einem anderen, offenbar auch nicht so guten Tag Gelegenheit gehabt hätte..

PAUL SLATTERY
Nicht, dass damals in den anderen Zeiten etwa das Demonstrieren gegen Nazis in Wien von der Exekutive wohlwollend betrachtet worden wäre, aber der faule offizielle Konsens war, das Problem würde irgendwann aussterben. Auch wenn einige dieser Typen verdächtig jung aussahen.
Um ehrlich zu sein, war das aber nicht das Thema, als ich mich am vergangenen Donnerstag mit Billy Bragg traf. Ich war gerade mit der Gitarre in der einen Hand und drei Gladiolen in der anderen Hand aus der Underground gestiegen und zu seinem Hotel in Hammersmith gelaufen, als er in der Bar auftauchte.
Sometimes I take a notion
To put a torch to the tools of my trade
Here I am in the Hammersmith Hotel
Wishing the days away
(Billy Bragg, Wishing the Days Away, aus Talking With The Taxman About Poetry, 1986)

ANTHONY GRIFFIN
"Das wär aber nicht notwendig gewesen", sagte Bragg, der alte Spitzbub, als er mich sah.
Ich erklärte ihm, ich hätte die Gladiolen als Geschenk an den Lehrer meiner Tochter zu ihrem letzten Volksschultag gekauft. Der Lehrer sei nämlich ein Fan des großen Gladiolenschleuderers Morrissey, eine Vorliebe, die er mit meiner Tochter teilt. Und er hatte ihr ein laminiertes Bild des Sängers zu Smiths-Zeiten geschenkt, versehen mit dem Zitat aus "Handsome Devil": "There's more to life than books, you know..."
"...but not much more", setzte Billy Bragg fort. Bei Smiths-Texten ist er immer noch messerscharf.
Was er noch sagte, unter anderem darüber, welches Buch er sich auf die Konzertreise mitnimmt, die ihn am Freitag zum Glatt und Verkehrt-Festival nach Krems führen wird, kann man diese Woche übrigens im Profil nachlesen - in der Kompaktversion.
Man kann dazu aber auch noch die dieswöchige Ausgabe von FM4 Heartbeat in unserer 7 Tage Applikation anwählen und in Original-Essex-Vokalen nachhören, was ich mit Billy Bragg runde 25 oder 26 Jahre nach unserer letzten Begegnung (wie besprochen in der verlinkten Story) zu besprechen hatte, unter anderem die schottische Unabhängigkeit (er ist dafür).
Über die Schwierigkeiten der Briten mit europäischem Föderalismus und der Menschenrechtskonvention (er erklärt sie mit viel Selbstironie und Sarkasmus).
Über das Echo des ersten Weltkriegs (er weiß viel, will aber immer noch mehr wissen).
Über seine Leidenschaft für die Holzschnitte des Frans Masereel.
Über den Zustand des Kapitalismus (er ist kaputt, aber der alte Reformist will ihn eigentlich lieber zurechtrücken als umstürzen).
Über die schwindende Macht des Songs, die Probleme, die die Generation seines Sohnes erwarten (er ist zwanzig), und deren andere Strategien, ihren Protest zu verbalisieren (nicht unbedingt in Songform, wiewohl sein Sohn sehr wohl in einer Band spielt, dem Vater aber nicht erlaubt, dafür Werbung zu machen).
Und über die Bedeutung des über der Ukraine abgeschossenen malaysischen Flugzeugs (ich hatte zum Zeitpunkt des Treffens noch nichts davon gehört, Billy dagegen hatte gerade die ersten Bilder im Fernsehen gesehen und stand sichtlich unter Schock).
Man muss nicht immer mit ihm einer Meinung sein. Aber man wird immer was von ihm lernen. Und "when the world falls apart" (Levi Stubbs' Tears) wie jetzt gerade, ist Billy Bragg damals wie heute einer der besten Menschen, mit denen man je darüber reden könnte.
FM4 Heartbeat mit Billy Bragg
Für 7 Tage zum Anhören unter fm4.orf.at/7tage.