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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

13. 7. 2014 - 09:00

Szenestadtteil oder "Oberschweineöde"

In Berlin wird der ehemalige Arbeiterbezirk Oberschöneweide schon zum zukünftigen Szenestadtteil hochgeschrieben. Künstler und Kreative sind wieder mal die Pioniere.

Nun geht die WM dem Ende zu und in Kreuzberg zittert man ein bisschen vor dem Finale am Sonntag. Die Stimmungslage ist ungefähr so: Man gönnt der deutschen Mannschaft den Cup, will aber keinen nationalen Freudentaumel und besoffene Schwarz-Rot-Gold-Horden auf den Straßen erleben. Denn nicht jeder freut sich hier so schön über deutsche Tore wie die Kolumbianer.

Dann am Montag ist die gesellige WM Zeit schon wieder vorbei und nur das gähnende Sommerloch erwartet uns. Was wird bleiben von diesem WM -Sommer? Immerhin hat die Suche nach neuen Übertragungsplätzen auch zur Entdeckung des angeblich zukünftigen Szene-Stadtteils geführt, Oberschöneweide.

Industriehallen über der Spree

CC BY-SA 3.0 von Lienhard Schulz http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Lienhard_Schulz

CC BY-SA 3.0 Oberschöneweide 2005

Aufbruchstimmung im Arbeiterbezirk

Oberschöneweide liegt an der Spree, ungefähr 6 km flussaufwärts, hatte bislang einen sehr schlechten Ruf und war in der Beliebtheitsskala der Berliner Bezirke am unteren Ende angesiedelt. Schon im 19. Jahrhundert war Oberschöneweide ein Industriestandort und Arbeiterbezirk. Nach der Wende gingen 25.000 Arbeitsplätze verloren, das führte zu 30 Prozent Leerstand in den Mietskasernen. Aus Oberschöneweide war "Oberschweineöde" geworden und dann kamen auch noch die Nazis.

Aber jetzt herrscht hier angeblich tolle Aufbruchstimmung, "Künstler und Kreative entdecken den Bezirk immer mehr für sich", schreiben die Berliner Zeitungen.

Was ist geschehen? Zur Erklärung müssen wir weiter ausholen:
Noch vor einigen Jahren wurde die Versandung Berlins befürchtet, weil sich in den Bezirken Mitte und Kreuzberg eine wilde Standbar nach der der anderen am Spreeufer breit machte

Weil Berlin sich nun mal ständig verändert und alles Gute selten lange bleibt, war es bald vorbei mit dem wilden Leben am Uferstreifen. Das Schreckensprojekt "Media- Spree" "entwickelte" diesen Uferabschnitt, das heißt dort werden jetzt Büros für Medienunternehmen gebaut.
Aber weil es in Berlin zum Glück nach 25 Jahren Maueröffnung immer noch jede Menge ungenutzter Brachflächen gibt, muss man als Barbetreiber einfach nur ein Stückchen weiter ziehen. Längst sind Ostkreuz und Rummelsburger Bucht die neuen Partyorte am Wasser, aber bis ins ferne Oberschöneweide hatte sich bislang keiner getraut.

Dieser ferne Bezirk im tiefsten Osten lag die ganzen Jahre in einem tiefen Schlaf, das riesige Industriegelände an der Spree, einstiges Werkgelände des Volkseigenen Betriebs Transformatorenwerk Oberschöneweide rostete als Beispiel für morbide Industrieromantik interessant vor sich hin.

Kleine Boote auf der Spree vor einem Industriegbäude

CC BY-SA 3.0 von Lienhard Schulz http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Lienhard_Schulz

CC BY-SA 3.0 Oberschöneweide 2005

Bryan Adam als Pionier

Dann kam die Nachricht: Bryan Adams kauft Halle in Oberschöneweide. Der kanadische Schmusesänger ist nämlich im Zweitberuf Fotograf, 2004 gründete er die Fotozeitschrift "Zoo Magazine" und will nun Gelegenheitsberliner werden und in seiner neuen Halle ein "Lebens- und Kulturzentrum" für befreundete Künstler eröffnen. Vielleicht kam er auf diese abwegige Idee, weil der chinesische Künstler Ai Wei Wei 2011 schon als Käufer der vierschiffigen Reinbek-Hallen im Gespräch war - leider wurde nix draus, weil die chinesische Regierung den Künstler unter Hausarrest setzte.

Nach dem Bryan Adams-Coup war der Bezirk natürlich begeistert und prophezeite den unaufhaltsamen Aufstieg des neuen Szeneviertels.

Und dann folgte diesen Sommer auch die beliebte Strandbar Kiki Blofeld, (der Name bezieht sich auf Ernst Stravo Blofeld, Gegenspieler von James Bond, ein Superbösewicht mit weißer Perserkatze auf dem Arm), einst vom Kreuzberger Ufer vertrieben, dem Ruf und ließ sich direkt neben Adams Halle nieder.

Zur WM versprach man stimmungsvolles "Public Viewing" inmitten eines alten Industriedenkmals am 80 Meter langen Spreestrand. Das alles sollte Grund genug sein, endlich mal das neue In-Viertel zu besichtigen.

Prenzlauer Berg anno 1990

Von Kreuzberg aus nur wenige Kilometer der Spree entlang gefahren, schien man in eine andere Stadt und Zeitzone geraten zu sein. Ausgestorbene Straßen, wenig Fußgänger trotz renovierter Gründerzeit-Altbauten. Dann der Eingang zum Kiki Blofeld: Ein großes Industrieareal, das an Mitte oder Prenzlauer Berg anno 1990 erinnerte.

Auf dem Platz "Unter der Krahnbahn" steht eine meterhohe Kabeltrommel, eine unheimliche Stille liegt über dem Areal.Das kleine Café "Schöneweile" hat nur wenige Besucher, wie Rentner liegen sie in den Stühlen, selbst die Kinder im Buddelkasten machen keinen Lärm. Eine große Melancholie liegt über dem ganzen Areal, unwillkürlich schießt einem "Oberschweineöde" der böse Spitzname des Ortes, durch den Kopf.

Auf dem Weg zum Spreeufer kein Mensch, nur ein kleines schwarzes Schwein, wohl als Kinderattraktion gehalten, läuft über den Rasenstreifen. Wo sind die 9000 Studenten der Hochschule für Technik und Wirtschaft, die nur wenige hundert Meter entfernt ihren Campus hat? In wenigen Minuten sollte das Spiel Schweiz- Argentinien beginnen, aber es ließ sich niemand blicken.

In der 400 qm Halle des neuen Kiki Blofeld haben sich gerade mal 4 Leute eingefunden, draußen auf der Sandfläche sind wir die Einzigen.

Die Bar wird hier durch eine Zaun vom Uferweg getrennt, die Spree glänzt im Sonnenlicht, ein Rentner schiebt sein Fahrrad über die neue Spannbetonbrücke, die Oberschöneweide mit Niederschöneweide verbindet.

Es ist schön, dass man auch nach 30 Jahren in Berlin immer wieder neue, nie gesehene Orte entdecken kann, aber es ist auch schön, dass man immer wieder zurück kann ins laute, dreckige, touristifizierte, grüne, lebendige Kreuzberg.