Erstellt am: 10. 7. 2014 - 18:02 Uhr
Le départ en monochrome
Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich das hier noch veröffentlichen sollte. Als ich am Montag müde nach Hause kam und meine Fotos von der dritten Etappe der Tour de France, dem dritten Teil des ersten britischen Grand Départ seit 2007 (siehe meinen damaligen Bericht) diesmal zwischen Yorkshire und London, hier heraufzuladen versuchte, beliebte sich mein Online-Zugang in Postkarte-aus-Griechenland-Geschwindigkeit zu verlangsamen. Am nächsten Tag kam der Fußball dazwischen, wir erinnern uns.

Robert Rotifer
In der Zwischenzeit hat der sich aber wieder von seiner entscheidend weniger aufregenden Seite gezeigt, und es ist einmal mehr klar geworden, dass der Radsport eine weitaus attraktivere Form der Selbstnarkose im Angesicht des deprimierenden Weltgeschehens darstellt.

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Außerdem ist mir beim Durchsehen meiner Bilder vom Montag aufgefallen, dass diese aus heutiger Sicht, bloße zwei Etappen später (drei bei Fertigstellung dieses Blogs), bereits historische Dokumente einer ganz anderen Zeit geworden sind (weshalb schwarzweiß irgendwie passend erscheint):

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Chris Froome war noch dabei und rechnete sich Chancen auf seinen zweiten Gesamtsieg aus, das französische Kopfsteinpflaster lag noch in weiter Ferne. Marcel Kittel gewann noch Etappen. Und London fühlte sich einen Nachmittag lang als der Nabel der Radfahrwelt.

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Obwohl: Ganz so ernst ist das eh nicht. Kurz, nachdem ich am St. James's Park angekommen war - die Karawane hatte ich leider schon versäumt - kam weit vor dem Peloton, eindeutig außer Wertung, überraschend und schneller als man schauen konnte, aus dem Nichts ein einzelner Radfahrer zügig vorbeigezischt.
Anderthalb Minuten später klärte sich alles auf: Man hörte den Ansager als speziellen Gast den großen Bernard Hinault - mein Kindheitsidol! - an der Ziellinie willkommen heißen und uns um Applaus bitten. "Don't know who you are mate", bemerkte der Mann neben mir.
Illustriert ungefähr, wie tief das Radfahr-Interesse hier tatsächlich geht.

Robert Rotifer
Nicht dass ich mich selbst einen Dreck auskennen würde heutzutage.
Wer sind die drei Nachzügler da oben? Einmal Brétagne Séché, zweimal Cofidis - aber wer? Wie man sieht, hatte ich mich da mittlerweile via Buckingham Palace bis auf die Mall durchgekämpft.

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Sebastian Minard, Jean-Marc Marino, noch ein Bretagne-Séché-Fahrer, den ich nicht erkannt hab, José Joaquin Rojas, auch alle ein bisschen abgeschlagen, sonst hätt ich sie nicht so schön erwischt.

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Aber das spielt alles keine große Rolle, weil ich so oder so furchtbar sentimental wurde und vor lauter Rührseligkeit prompt sinnlos zu heulen anfing. Gut gelaunte Menschenmassen lösen das in mir aus. Abgesehen davon, dass es einfach gut tat, dieses Land, das in letzter Zeit so tief in die dumpf patriotische Schale seiner europhoben Paranoia gekrochen war...

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…wieder einmal von der Seite zu sehen, die ich immer so an ihm gemocht hatte: Aufgeschlossen, tendenziell unaggressiv (habe noch kein höflicheres Sportereignis erlebt als dieses), begeisterungsfähig, neugierig und empfänglich für die Schrullen anderer Kulturen.

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Immer wenn's einem scheinbar endgültig reicht, kriegt diese Stadt einen doch wieder rum.

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PS:
Alles Gute, Bernie Eisel.
PPS:
Weil die Gelegenheit zu gut ist: Jean-Pierre Léaud 1967 in Brüssel in Jerzy Skolimowskis "Le Départ".

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Skolimowski