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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

1. 7. 2014 - 19:11

Little Jim

Mein Interview in FM4 Heartbeat mit dem archetypischen Gitarrenhelden Jimmy Page über seine Frühgeschichte in den Londoner Studios - eine Woche lang zum Nachhören

Es war Ende März, ich war auf dem Weg zu meinem Interview mit Jimmy Page, stand da in einem dieser roten Busse, die am südlichen Ende des Hyde Park entlang gondeln, und merkte plötzlich, dass ich die Hotelnamen durcheinander gebracht hatte. The Gore ist nicht The Milestone. Und umgekehrt.

Diese Erkenntnis lässt sich in einer Distanz von zwei Busstationen bzw. einem beherzten Dauerlauf von 10 Minuten und letztendlich im Unterschied zwischen souveränem In-die-Rezeption-gleiten und einer verschwitzten, atemlosen Ankunft an einem Hotelportal ausdrücken, vor dem bereits ein ganz hohes Tier der Plattenfirma steht und so tut, als hätte er sich eh nie Sorgen gemacht.

Hinter ihm lauert schon der schwarzgekleidete Mann mit dem weißen Haar in der Düsternis des viktorianischen Interieurs und äußert skeptische Verwunderung über die Kaltschnäuzigkeit meines auf die Minute genauen Eintreffens. Phileas Fogg betritt den Reform Club, sozusagen.

Ich habe die Früchte des darauffolgenden Interviews mit Jimmy Page über die neuen Remasters der ersten drei Led Zeppelin-Alben in der letzten Ausgabe des deutschen Rolling Stone bereits weidlich ausgequetscht, darunter auch ein sogenannter „Kasten“ (wie man zu den einer großen Story beigelegten Substories sagt) über seine Vergangenheit vor Led Zeppelin, die Zeit Mitte der Sechziger, die er als einer der begehrtesten, wenn nicht der begehrteste Studiogitarrist Londons verbrachte.

Melody Maker

Jetzt kann ich's ja zugeben: Dieser Aspekt war für mich selber, der seine Jugend als Sixties-Fetischist verbrachte, persönliches Hauptinteresse und heimlicher Kern der Geschichte.

Die Vorstellung eines 20-jährigen, der vom Drüsenfieber geschwächt die Club-Szene verlassen und zwei Jahre in der Art School, mit zwischendurch eingestreuten Blues-Sessions in den Bands von Cyril Davies und Alexis Korner verbrachte.

Der über die Vermittlung seines zum Tontechniker angelernten Jugendfreundes Glyn Johns in den „closed shop“ der Londoner Studiowelt findet und dort innerhalb kürzester Zeit von Session zu Session zum abgebrühten Alleskönner heranwuchs.

Der sich mit der glamourösen amerikanischen Songschreiberin Jackie DeShannon zusammen tat und mir ihr gemeinsam in den Pausen zwischen ihrem Lovemaking im Auftrag von Stones-Manager Andrew Loog Oldham Hits für Marianne Faithfull schrieb.

Der als Produzent Shel Talmys beamteter Gitarrenheld bei der Aufnahme von „I Can't Explain“ mit The Who im Studio stand und von der zwölfsaitigen Rickenbacker Pete Townshend mit territorialer Gewalt aus dem Mix geblasen wurde – eine der wenigen Begebenheiten, an die er sich auch noch heute, nach all dem, was seine Bananensaft-und-Heroin-Diät der späten Seventies an Schaden in diesem Kopf angerichtet haben mag, noch genau erinnern kann.

Es ist eine Welt, in der man keine Fehler machen durfte, sobald das rote Licht anging. Alle spielten live, und Studiozeit war ein teures gut.

Was Jimmy Pages Gitarrespiel auf obskuren wie kommerziell enorm erfolgreichen Produktionen jener Zeit auszeichnet, ist die schiere Furchtlosigkeit, mit der er sich etwa auf dem „Two Yanks in England“-Album der Everly Brothers in das schneidend scharfe Fuzz-Lick von „Hard, Hard Year“ wirft, so als hätte er absolut nichts zu verlieren.

Jimmy Page und seine Les Paul, 1964

beat instrumental

Es ist die Selbstsicherheit eines jungen Mannes, der lange Zeit die einzige Fuzzbox im ganzen Land besaß, und der sehr bald mitkriegte, dass die Leute statt dem großen alten Gitarrenkaiser Big Jim Sullivan, dem er ursprünglich an der Rhythmusgitarre sekundiert hatte, immer öfter ihn anriefen, weil er den Sound des „right now“ unter seinen Fingerspitzen hatte.
Donovan zum Beispiel galt zu seiner Zeit vielleicht als Bubblegum für die Charts, aber was sich auf Songs wie „Sunshine Superman“ oder „Season of the Witch“ („Hurdy Gurdy Man“ ist angeblich doch nicht Page) gitarrensoundmäßig abspielte, prägte gerade deshalb umso stärker die allgemeine Pop-Ästhetik.

Es ist aber auch die Geschichte jenes intelligent kalkulierenden Studioprofis, der nach erstem Zögern 1966 dann doch den Yardbirds beitrat (als ihr erster Gitarrist Eric Clapton aufhörte, weil sie statt Blues zu spielen, moderne Pop-Meisterwerke wie das vom 19-jährigen Graham Gouldman geschriebene „For Your Love“ aufgenommen hatte, empfahl ihnen Jimmy zunächst seinen Jugendfreund Jeff Beck, weil ihm sein Studiojob bequemer und besser bezahlt erschien).
Der sich einer der größten britischen Bands ihrer Zeit als Versuchslabor seiner Rock-Visionen bediente und auf ihrem Trümmerhaufen schließlich erfolgreich seine Allmachtsfantasien auslebte.

Wie gesagt (und eh allgemein bekannt), Jimmy Page hat zu diesem Thema heute nicht mehr viele wirklich konkrete Erinnerungen vorzubringen. Aber darum ging es mir weniger als einen Eindruck davon, wie es sich anfühlen musste, zu einer Zeit, wo die Kunstform Pop-Produktion sich alle drei, vier Monate in ein hörbar neues Universum katapultierte, Song um Song und Session um Session Geschichte zu machen.

Ein bisschen was von diesem aufregenden Geschmack im Mund schien auch in meinem Interview durchzukommen. Aber als ich dann gestern, dreieinhalb Monate später bzw. zweieinhalb Monate nach Abgabe der Rolling Stone-Story die vom Enthusiasmus aufkeimender Erinnerungen infizierte, glucksende Stimme des 70-jährigen Jimmy Page hörte und sie unserem Gesprächsverlauf folgend mit der Musik seines jüngeren Ich vermischte, war das einer dieser Momente, wo mir plötzlich klar wurde, dass ich – bei aller vorgetäuschter Bescheidenheit – die ganze Zeit über auf einem Klumpen Radiogold gesessen war.

Nein, wirklich, ist so.

Das Gute an all meinem Eigenlob ist, dass man diese Sendung noch eine ganze Woche lang nachhören und meine (vielleicht eh vom auch nicht gerade zurückhaltenden Jimmy Page angesteckten) Behauptungen überprüfen kann. Und zwar hier.