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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

15. 5. 2014 - 16:10

"Reichkuti"

"Someday World" mit Karl Hyde von Underworld repräsentiert Brian Enos aktuelle Welt aus Afrobeat und Minimalmusik.

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"Du siehst aus wie der junge Brian Eno", brät Tilman Rossmy im Song "1975" von "die Regierung" ein Mädchen an, das in dem Song auch "das Schweinesystem" hasst und mit "Heroin flirtet". Brian Eno war Anfang der 70er Jahre - ehe er der Musikprofessor und Erfinder von allem, von Kraftwerk bis U2, von Ambient bis Sampling wurde - vor allem ein Mann des "Styles", vielleicht der Erfinder des "Glam": Des androgynen, uneindeutigen Styles, übertrieben und stilsicher, unnachahmlich und viel kopiert, mit Riesenplateuschuhen, Federstola und Omelettenteig im Haar. Vier der allerbesten Glam-Platten später bewegt sich der Mann bereits in Richtung Fahrstuhlmusik und Einbettung von moderner Theorie in seine Musik - weg von Pop, weg vom Song und hin zu Sampling, Arbeiten mit "Found Footage" ("My life in the Bush of Ghosts") und wird so zum "Architekten", zum Gestalter fremder Musik. Er verhilft der klügsten Band der Zeit, den Talking Heads, zu ihren beiden besten Platten und der dümmsten Band der Zeit, U2, zu einem Nimbus weg vom Stampfpredigtsound hin zu der Aura des Geheimnisvollen und Unberechenbaren, der sie bis heute ein bisschen umweht - und sich selbst zum vielleicht höchsten Stundenohn der Musikindustrie, der in der Erfindung des winzigen Gähnens am Anfang jedes Computerstarts eines Windowsrechners und der Gestaltung der "Kristallwelten Wattens" gipfelt.

Brian Eno

Warp Records

Seit einiger Zeit hat Eno wohl genug Geld und auch genug Experimente hinter sich und widmet sich dem, was die Fans der erwähnten "großen Vier" (Here Come the Warm Jets, Taking Tiger Mountain (By Strategy), Another Green World und Before and After Science ) so an ihm schätzten: Seinen - bei all dem theoretischen Überbau - einfachen Kompositionen, seiner hellen, dringlichen Gesangsstimme, seiner sehr speziellen (vielleicht nur auf John Cales "Paris 1919" ähnlich überzeugend gelungenen) Version einer europäischen, dekadenten, von jeglicher Working Class-Tradition befreiten Kunstmusik, die sich eher auf Schubert oder Cleland bezieht als auf Hooker oder Guthrie. Rock'n'Roll minus Rock'n'Roll - daher kommt vielleicht auch die Verehrung von Eno in den ganzen "Anti Rock"-Zirkeln, von New Wave bis Techno, von Hip Hop bis World Music.

"Someday World" ist wieder eine Mischung aus beidem: Eno holt sich seinen alten Kumpel Karl Hyde (Underworld) ins Boot und lässt ihn aus Soundbits, die "bei mir so rumlagen" eine breite, recht pathetische Platte basteln. Die beiden älteren Herren teilen die Begeisterung für Afrobeat und Minimal Music, weshalb Brian Eno seine aktuelle Musik "Reichkuti" (Steve Reich und Fela Kuti) nennt. Es finden sich komplexe Rhythmen ("Daddy's Car"), kitschige Refrains ( "To us all" könnte man sofort an Enya für die Eröffnung eines Sportevents verscherbeln), interessante Harmoniegesänge (unter anderen mit seiner Tochter Darla auf "Who Rings the Bell") und viel Füllmaterial.

"Someday World"-Cover

Warp Records

Wer jetzt die großen Vier schon kennt, (die ersten Drei und die Fünfte, wenn mans genau nimmt), wer "My life in the Bush of Ghosts" mitsprechen kann, wer "This way up", seine Zusammenarbeit mit John Cale, schon hat, die stellenweise ähnlich klingt wie "Someday World", wer die beiden besten Talking Heads-Platten, die drei besten Bowie-Platten, die drei besten U2-Platten mit Eno schon nicht mehr hören kann - der muss das jetzt auch haben. Als Einstieg in Enos Werk braucht man die neue jedenfalls nicht unbedingt.