Erstellt am: 29. 4. 2014 - 10:34 Uhr
"Indie Cindy"
fm4.ORF.at/musik
Albenrezensionen, Bandporträts und Musikempfehlungen
Zuerst die gute Nachricht: Das neue Pixies-Album ist recht gut. Freundinnen dieser schnarchbekannten Ur-Indie-Band aus nahezu vorindustriellen Zeiten bekommen alles, was die Freundinnen dieser Zeiten haben möchten. Es ist "hart", "schräg" und "poppig", lauter Zuschreibungen, die dieser Zeit anhaften und mit denen die Pixies seit ihrem Debüt mit dem Atavismus-Cover beapplaudiert werden. Die Restpixies (ohne ihre einzig coole Person), drei ältere Herren, machen einen guten Job für ihr Alter und geraten - wenn, dann nur manchmal und dann auf die richtige Art - außer Atem. Und es ist ein Wunder, denn die Pixies sind - was vielleicht der beste Grund dafür ist, dass dies die erste Platte seit 23 Jahren ist - vor allem ein abgründiger, gruppendynamscher Exzess.
Zum Vergleich eine literarische Anekdote, das vielleicht geistreichste Assoziationsspiel aller Zeiten. In Jonathan Lethems "Festung der Einsamkeit" treffen sich ein paar Protagonisten in der Bar und folgendes wird durchgespielt: These: jede menschliche Gruppe kann gruppendynamisch auf die Beatles zurückgeführt werden.
'The Beatle thing is an archetype, it's like the basic human formation. Everything naturally forms into a Beatles, people can't help it', 'Say the types again.', 'Responsible-parent genius-parent genius-child clown-child.'
Vielleicht kann dieses Beispiel ex negativo auf die Pixies angewandt werden: Psychotischer Elternteil, exzessiver Elternteil, psychotisches Kind, autistisches Kind. Wie Natalie Brunner, die David Lovering und Joey Santiago zum Interview für ein sommerliches Modern Talking getroffen hat, sagt: "Jetzt weiß ich wie sich Familientherapeuten fühlen."
So ist die stilgebende Band der vielleicht letzten innovativen Phase des US-Rock genau keine eingeschworene Zelle, keine "Wir gegen die Welt"-Metapher, sondern ein Haufen zerstrittener, egomanischer Sadomasochisten. Und vielleicht ergab sich aus dieser Situation die einzigartige künstlerische Energie, die die Songs der Pixies so zart und aufwühlend, so freigeistig und umarmend, so chaotisch und autoritär zugleich gemacht haben, von "Bone Machine" bis "Nimrod's Son".

Pixiesmusic / PIAS
Die Pixies streiten noch immer. Kim Deal hat keine gemeinsame Tour ausgehalten, die Nachfolge-Bassistinnen Paz Lechantin und Kim Shattuck haben mit den Herren auch nicht lange arbeiten wollen oder dürfen (und Lechantin hat immerhin für Billy Corgan gearbeitet).
Sie hatten das vorliegende Material von "Indy Cindy" (vielleicht der blödeste Titel seit Pixies-Gedenken, wobei Trompe Le Monde, naja) bereits auf zwei EPs im Eigenverlag veröffentlicht, die von der US-Presse verrissen worden waren - aber die Hunde bellen, die Pixies machen weiter. Und zurecht. Indy Cindy ist wie gesagt eine gute Platte voller recht mitreißender, wenn auch erwartbarer Songs.
Was ich erwartet hätte, ist nicht eingetroffen: Der "Nummer-Sicher-Weg", der Weg der halbherzigen Selbstkopie, den R.E.M. praktisch in ihrer ganzen Warner-Phase nach "Automatic" gegangen waren, und der für einen der verzichtbarsten Backkataloge einer an sich großen Band gesorgt hatte: Die Blaupause "Bone Machine"- ein Song, die Blaupause "Monkey" - ein Song, und vor allem gottlob nicht die Blaupause "Where is my Mind" ... hier sind neue Songs drauf, die doch den Geist der Pixies atmen, aber eigenständig dastehen, gut gespielt, stilsicher, ohne große Experimente und mit einer leichten Anbiederung an computerkorrigierten Großraumrock, solide und nur etwas verrückt.
"What goes Boom" ist so ein solider, spannend gespielter Rocksong, nicht mehr, bei einem Blindtest würde zumindest ich mir einreden lassen, dass das auch von Papa Roach oder Good Charlotte oder so etwas, stammen könnte - bei denen wäre es aber ein Highlight an Subtilität. "Greens and Blues" hat schon mehr Überraschung und die folkige Verzweiflungsanhimmelung von Frank Black kommt durch. "Blue Eyed Hexe" hat einen Anflug von "Nimrod's Son" und "Caribou" - Wahnsinn, "Ring the Bell" erinnert daran, dass Frank Black seine MitmusikerInnen dereinst per folgendem Inserat gesucht und gefunden hatte: "Must like Hüsker Dü and Peter, Paul and Mary". Es enthält die Pixies-typschen Sologitarrenbögen, die Billy Corgan so gerne gestohlen hatte, unterbrochen von den zart angedeuteten Metal Breaks, die eine der Innovationen der Pixies waren.
"Toe in the Ocean" könnte Hollies oder Zombies sein, nachgespielt von einer Pixies beeinflussten Band, "Andro Queen" ist eine kleine Syd Barrett-Verneigung, vielleicht das überraschendste Stück, mild psychedelisch und zynisch, einen Hippie Text vortäuschend, ich mag sowas. "Snakes" ist normale Americana mit Druck, es könnte auf einer der gefühlt 300 Soloalben von Frank Black übriggeblieben sein. Und "Jaime Bravo" widerlegt das oben gesagte, das ist jetzt der Nachfolger von "Monkey's gone to Heaven", Doo Wop Chor, mehrstimmiger Lead Gesang, gemütlicher Weezer- mäßiger Rumpelbeat, vielleicht der "Hit" auf der Platte, es suggeriert eine Lockerheit die die These von der negativen Keimzelle wieder Lügen straft.
So sind die Pixies bereit für eine Headliner-Tour durch alle UNO-Mitgliedsstaaten, dann können sie ein paar Nebentrakte an ihre Häuser anbauen, noch einer Generation "Where is my Mind" einbläuen, und David Lovering muss nicht wieder Zauberer werden. Als solcher war er dem Vernehmen nach nämlich nicht so gut.