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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

27. 4. 2014 - 19:00

"Cloud-Videorekorder" vor US-Höchstgericht

Das Start-Up Aereo hat sich bisher in allen Instanzen erfolgreich auf das Urteil von 1976 im Fall Cablevision gegen Sony berufen. Damals ging es darum, ob Videorekorder verkauft werden dürfen.

Der Oberste Gerichtshof der USA steht vor einer Entscheidung, die von Kabelnetzbetreibern, den großen TV-Networks sowie Cloud-Anbietern mit Spannung erwartet wird. Die Streaming-Firma Aereo war von ABC und den anderen TV-Networks verklagt worden, weil Aereo angeblich illegal Inhalte dieser Sender weiterverkaufe.

Aereo holt sich deren frei empfangbaren Signale über ein schaltbares Antennenfeld, das aus zigtausenden winzigen Antennenelementen besteht, allerdings nur nach Abruf des Benutzers. Die Firma bezeichnet ihr Geschäftsmodell auch nicht als "Streamingdienst", sondern als Mietservice für TV-Antennen und virtuelle Videorekorder.

Fernbedienung

CC BY 2.0, flickr.com, User: espensorvik

Cablevision gegen Sony 1976

Das kleine Start-Up-Unternehmen beruft sich dabei auf das richtungsweisende Urteil des Supreme Courts von 1976 im Fall Cablevision gegen Sony. Der Kabelnetzbetreiber wollte verhindern, dass Sony seine damals neuen Betamax Videorekorder auch in den USA verkaufen darf. Der Supreme Court hatte 1976 erkannt, dass jeder US-Staatsbürger das Recht habe, terrestrisch ausgestrahlte "free-to-air"-Programme mit einer eigenen Antenne zu empfangen und für den persönlichen Gebrauch mit einem eigenen Videorekorder aufzuzeichnen.

Der Ausgang des Prozesses steht und fällt nun damit, ob das neuartige Antennenarray von Aereo als Gemeinschaftsantenne eingestuft wird, oder ob es doch lauter einzelne Antennen sind. Vom technischen Set-Up her sieht es schon danach aus, dass Aereo dem Richterspruch von 1976 entspricht. Deshalb hatte das Start-Up auch in allen vorherigen Instanzen gewonnen.

Beim einzigen mündlichen Verhandlungstermin in der vergangenen Woche zeigte sich das Richtergremium gespalten, einige Richter hatten sichtlich Mühe, die technischen Zusammenhänge zu verstehen. Die sind auch nicht eben einfach.

Analogien zum Analog-TV

Mit einem Streamingdienst wie Netflix hat Aereo nur gemein, dass Videostreaming im Set-Up ebenfalls eine Rolle spielt und anders als bei Kabel-TV auch mobiler Empfang möglich ist. Ansonsten lassen sich die beiden Geschäftsmodelle nur insofern vergleichen, als dass beide Anbieter mit einer Flatrate ins Rennen gehen. Bei beiden Diensten beginnt das "Pricing" bei etwa sieben Dollar pro Monat.

Laut Hauptpatent der Firma wird jedem Kunden jeweils eine eigene Empfangsantenne aus den Arrays zugeteilt, auf die Frequenz des gewünschten TV-Kanals eingestellt und das Signal über eine angeschlossene Serverfarm als individueller Stream via WWW an den jeweiligen User ausgeliefert. Das passiert allerdings nur, wenn sich der Kunde auf der Aereo-Website einloggt, einen Kanal für leicht zeitversetzten Live-Empfang auswählt, oder einen virtuellen Videorekorder die Sendung aufzeichnen lässt.

Vom Ablauf her ist das mit dem Einschalten eines TV-Geräts, der Auswahl eines TV-Channels, sowie dem Aufzeichnen der Sendung zu vergleichen. Es kommen nur andere Technologien zum Einsatz.
Warum aber ist das lokale Weiterverbreiten einer ohnehin frei empfangbaren TV-Station überhaupt ein Geschäftsmodell in den USA?

Das schaltbare Antennenfeld (Ausschnitt)

aereo

Die Situation in den US-Großstädten

Im Großraum New York allein gibt es etwa sechzig frei empfangbare TV-Stationen, wobei diese in den Hochhausschluchten der Großstädte oft schwierig bis gar nicht zu empfangen sind. Der Empfang innerhalb von Stahlbetongebäuden, die mit metallbedampftem Glas verkleidet sind, ist generell stark gedämpft.

Hier würde eine Gemeinschaftsantenne auf dem Dach Abhilfe schaffen, nach US-Recht werden aber auch frei empfangbare TV-Kanäle ab dem Zeitpunkt vergütungspflichtig, an dem sie etwa in eine Hausantennenanlage eingespeist und von dort weiterverteilt werden. Für Hausverwaltungen sind Gemeinschaftsantennen wegen der anfallenden Gebühren deshalb nicht attraktiv.

Unter den etwa sechzig im Großraum New York frei empfangbaren Stationen sind vier, die Mantelprogramme der großen Networks ausstrahlen. Dazu gibt es alleine drei städtische Bildungskanäle, solche für ethnische Minderheiten, Sparten- und Stadtteilprogramme usw.

In den Großstädten werden die weitaus meisten Seherminuten von frei ausgestrahlten, terrestrischen TV-Sendungen deshalb über Kabelnetze konsumiert. Die Basispakete inklusive Internetzugang sind ab etwa 60 Dollar pro Monat erhältlich, mit weiteren Paketen ist man dann schon bei 100 Dollar und mehr. Die frei ausgestrahlten Programme sind nämlich über verschiedene Paketangebote verteilt. Wer zusätzlich einen bestimmten Sender in spanischer Sprache sehen will, muss ein ganzes Set spanischer Kanäle kaufen. So funbktioniert das Geschäft von Kabel-TV-Betreibern wie Comcast, Cablevision und Co.

Das Geschäftsmodell von Aereo

Hier kommt der "Business Case" für Aereo ins Spiel und der kollidiert mit den Interessen sowohl der TV-Networks wie mit jenen der Kabelnetzbetreiber. ABC (Disney), Fox (mehrheitlich Rupert Murdoch) und die anderen beiden großen "free to air" Networks CBS und NBC zeigen die populärsten Serien, Shows und Sportevents.

Die Kabelnetzbetreiber bezahlen daher Gebühren an die Networks, derzeit sind es drei Milliarden Dollar pro Jahr. Wären die Programme dieser vier dominierenden Anbieter in jedem Haushalt terrestrisch empfangbar, bräche ein Teil der Kabel-TV-Kunden weg. Genau diese Möglichkeit aber bietet Aereo.

Der User wählt den betreffenden Kanal statt mit Fernbedienung und Settop-Box nun über den Browser aus, worauf von Aereo eine eigene, an die Frequenz des TV-Signals angepasste Antenne vorgeschaltet wird. Über das dahinter angeordnete Tunermodul wird das Signal dann in "Transcoder" eingespeist, die aus dem MPEG-Datenstrom in ein internettaugliches Format umrechnen. Daraus wird dann ein Videostream, der über das Internet auf einen PC in den Haushalt kommt. Oder in einem anderen Format auf Smartphones oder Tablets übertragen wird.

Die Patentschrift von Aereo lässt eine ganze Reihe technischer Fragen offen. Der einzige Konkurrent FilmOn, der mit einem vergleichbaren Geschäftsmodell arbeitet, ist noch mehr auf Geheimhaltung bedacht. Bekannt ist nur, dass FilmOn keine solches Antennenfeld, sondern herkömmliche Antenntechnik benutzen soll.

Der technische Aufbau

Ob das nun als Gemeinschaftsanlage oder als Individualempfang gewertet wird, hängt völlig von den Eigenschaften der dabei verwendeten Antennenanlage ab. In den allermeisten US-Medien, die prominent über den Fall berichten, wird davon ausgegangen, dass ein einzelnes dieser winzigen Antennenelemente (siehe Bild) für einen Kunden einen Sender empfängt. Technisch ist das aber so nicht möglich.

Auch wenn die Empfangsstation direkt auf den Sender "sieht", wie die von Aereo in Brooklyn auf den Antennemast auf der Spitze des Empire State Buildings, ist es technisch nicht vorstellbar, dass ein einziges solches Antennchen ein brauchbares TV-Signal auf einer Frequenz zwischen 170 und 700 MHz empfängt. Die Antennenformen unterscheiden sich nämlich mit ansteigender Frequenz beträchtlich, zumal die physikalischen Längen der elektromagnetischen Wellen im TV-Frequenzvereich zwischen knapp zwei Metern und sechzig Zentimetern betragen. Das wiederum bestimmt die Dimension der Antenne. In der Regel lässt sich aus der Länge der dabei verwendeten Strahler ungefähr sagen, in welchem Bereich die Antenne resonant ist, also gut empfängt.

Für den Prozess betreibt Aereo eine eigene Website. Auf Protectmyantenna.org sind alle bisherigen Entscheidungen dokumentiert und auch die Eingaben bei Gericht gelistet, die Aereo unterstützen . Diese "Amici Curiae Briefs" wurden von der Electronic Frontier Foundation, der Mozilla Foundation bis zur Union kleiner und unabhängiger TV-Stationen unterstützt, auch ein Verband von kleinen Kabel-TV-Betreibern ist dabei.

Bei den Antennelementen handelt es sich eindeutig um Dipole. Die beiden um neunzig Grad abgewinkelten Strahler jedes Elements sind bei einer Länge von weniger als je drei Zentimetern allein nur für einen Frequenzbereich rund um den mittleren einstelligen Gigahertzbereich tauglich. Das ist weit weg vom TV-Spektrum. Werden jedoch mehrere dieser kleinen Dipole hintereinander geschaltet, dann sieht der Sachverhalt ganz anders aus.

Virtuelle Antennenschaltungen

Laut Aereo-Patentschrift spielen Switches - also Schalter - eine wichtige Rolle im Empfangskonzept und das kann nur in etwa so funktionieren, wie folgt: Je nach Empfangsfrequenz des Wunschkanals wird eine Anzahl dieser Antennenelemente hintereinander geschaltet, je niedriger die Frequenz ist, desto mehr dieser Elemente werden für eine einzige Antenne benötigt. Aus diesen kleinen Dipolen für etwa fünf GHz kann mit einer Hintereinanderschaltung von mehreren so eine Antenne mit guten Empfangseigenschaften auf den verschiedensten TV-Frequenzen gebildet werden.

Einzelnes Antennenlement

aereo

Dazu kommt, dass sich diese Antennen durchaus physikalisch überlappen können. Das heißt, ein paar dieser geschalteten "virtuellen" Antennen, die auf dem Array gebildet werden, können durchaus einzelne benachbarte Dipolchen umfassen, die gerade für eine TV-Station auf einer ganz anderen Frequenz benützt werden. Das sieht zwar sehr nach einer Gemeinschaftsanlage aus, ist aber doch wieder keine, weil jede Schaltung nur jene Frequenz empfängt, auf der eine Station sendet.

Das Aereo-Konzept könnte theoretisch auch mit herkömmlichen Methoden auf einem Masten mit einer Unzahl von herkömmlichen Antennen, die jeweils nur auf einem Kanal im TV-Spektrum resonant sind, umgesetzt werden. Praktisch ist so etwas nicht machbar, mit einem solchen, in der zivilen Funktechnik bisher unbekannten Antennenkonstrukt kann es hingegen durchaus funktionieren.

Parallelen zur Militärtechnologie

Ähnlichkeiten finden sich nur in der militärischen Technik, wo solche Arrays etwa zum Empfang von "Spread Spectrum" über einen sehr großen Frequenzbereich genutzt werden können. "Spread Spectrum" bedeutet - sehr verkürzt gesagt - dass das Signal einer Aussendung auf einer Unzahl von Kanälen ausgestrahlt wird, wobei nur Sender und Empfänger die Reihenfolge der Frequenzen kennen.

Damit ist die Kommunikation von gegnerischen Stationen nicht empfangbar, ebenso ist "Jamming", also absichtliche Störung dadurch extrem erschwert. Auch im militärischen Radar kommen solche multikanaltauglichen Arrays zum Einsatz, in beiden Fällen mit vergleichbaren, schaltbaren Antennenfeldern.

Weiters dafür spricht der einstellige Gigahertz-Bereich, für den ein solches Konzept ursprünglich entwickelt worden sein muss. Gerade auf diesen Wellenlängen sind eine ganze Reihe von untrerschiedlichen militärischen Funktechnologien im Einsatz, die alle wenigstens ein gemeinsames Merkmal haben. Und das sind eben multikanaltaugliche, weil schaltbare Antennenarrays, wie sie Aereo einsetzt.

Credits

Zu diesem nicht ganz so trivialen Re-Engineering des technischen Set-Ups von Aereo haben Georg OE1DO und Hannes OE1JHB mit ihrem umfassenden Wissen beigetragen. Beide sind seit Jahrzehnten als Messtechniker für Hochfrequenz aktiv

Urteil für Juni erwartet

Mit dem Urteil des "Supreme Court" das für den Juni erwartet wird, fällt die Entscheidung, wie sich der US-Fernsehmarkt weiter entwіckeln wird. Davon gehen praktisch alle Prozessbeobachter aus, egal aus welcher Position sie den Fall betrachten. Die Cloud-Anbieter müssen jedenfalls befürchten, dass ihre völlig anders gelagerten Streamingservices ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden, falls der Oberste US-Gerichtshof gegen Aereo entscheidet.

Die Geschäftsführung des Start-Ups hat bereits angekündigt, dass in diesem Fall wohl nichts anderes übrigbleiben werde, als den Dienst einzustellen. Gewinnt Aereo jedoch, dann greift nach Netflix und den anderen, eher konventionellen Streamingdiensten noch eine weitere Sorte internetbasierter Start-Ups die bestehenden, sehr profitablen Geschäftsmodelle von kommerziellen TV-Networks und Kabel-TV-Betreibern an.

Letztere haben allein im vergangenen Jahr zwei Millionen Kunden verloren, während Netflix noch schneller wächst als angenommen. Alleine in den USA hat die führende Streamingfirma bereits 38 Millionen Kunden, während es weltweit bereits 48 Millionen sind.