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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

5. 4. 2014 - 12:05

The Year Punk broke down

Das Todesjahr von Kurt Cobain markierte Übergänge, Brüche, Pausen und das Ende der Achtziger Jahre.

An vieles aus 1994 kann man sich nicht erinnern, auch wenn man dabei gewesen war.
George Foreman stieg mit 45 Jahren nochmal in den Ring, nach seinen Aussagen, um Geld für das Jugendzentrum aufzutreiben, das er leitete, streckte den agilen jungen Boxer Michael Moorer in der zehnten Runde zu Boden und wurde der älteste Schwergewichtsweltmeister der Geschichte.
Der junge Verteidiger Andres Escobar schupfte den Ball bei einem Spiel der WM-Vorrunde gegen die USA ins eigene Tor und wurde daraufhin vor einer Bar in Medellin mit sechs Schüssen getötet. Ein Mann namens Shane Stant verletzte die junge Eiskunstlauf-Hoffnung Nancy Kerrigan mit einem Teleskopprügel am Oberschenkel, es stellte sich heraus, dass dies im Auftrag ihrer Konkurrentin Tonya Harding geschehen war. Kerrigan gewann in Lillehammer Silber, Harding wechselte später zum Eishockey.
Brasilien wurde Fußballweltmeister.

Lorena Bobbitt

Lorena Bobbitt

Die Hausfrau Lorena Bobbitt holt sich nach einer der zur ehelichen Routine gewordenen Vergewaltigungen durch ihren Ehemann ein Glas Wasser, schnappt sich ein Küchenmesser und schneidet ihm den Penis ab. Sie wird wegen Unzurechnungsfähigkeit frei gesprochen, er versucht sich danach noch mit wieder angenähtem Gemächt als Sänger der Band "Severed Parts" und als Hauptdarsteller in einem Porno namens "Frankenpenis".

Dakota Fanning, Jake Bugg und Justin Bieber kommen auf die Welt, Burt Lancaster, Telly Savalas, Jackie Onassis und Charles Bukowski verlassen diese, Kirsten Pfaff, die Bassistin von Hole, setzt sich eine Überdosis und Kurt Cobain schießt sich den Kopf weg.

Mit Nirvana endet noch das letzte Wenige, das an dem Industriekonstrukt "Grunge" noch ein bisschen glaubwürdig war, die vollständige Kommerzialisierung der diskursverliebten Widerstandskultur der Achtziger war schon so weit fortgeschritten, dass nun dem Welterfolg von Verzweiflungsdarstellern wie Pearl Jam, Smashing Pumpkins oder Alice in Chains nichts mehr entgegen zu setzen war.
Der politische Hiphop der Achtziger, der von KRS One oder Public Enemy, ist ebenso tot wie das Black Music History Projekt "Native Tongues" um Bands wie A Tribe Called Quest und De La Soul - Nas und der Wu Tang Clan übernehmen.
Die Einstürzenden Neubauten werfen im Vorprogramm von U2 eine Eisenstange in das buhende Publikum und verstreuen sich bald darauf in alle Winde.

Nelson Mandela

Nelson Mandela

Wie zum Hohn wird 1994 das kommerziell erfolgreichste Jahr für "Punk"-Bands. Green Day und Offspring verkaufen Mehrfachplatin, aber auch politische Veteranen des Westcoast Hardcore wie NoFX oder Bad Religion werden zu Posterbands in den Kinderzimmern der Dreizehnjährigen. Inzwischen wächst sich die intellektuelle Indie-Szene mit der Verehrung von Tortoise und Sea and Cake zu einem B-Seiten sammelnden Boys Club aus. Morrissey-Brillen mit Fensterglas sieht man wieder öfter.

Auch die "harte" Musik tritt in ihre theatralische Phase ein, Danzig machen eine letzte Platte, Marilyn Manson eine erste und Trent Reznor bläst mit dem Spruch "I want to fuck you like an animal" alle weg.

Die Partybands der britischen Insel wirken schon verkatert: "Raveolution" ist schon länger her, Primal Scream kopieren "Black and Blue" von den Rolling Stones. Dann geht es in England wieder richtig los, die zwei Bands, um die es in den nächsten Jahren am meisten gehen sollte, veröffentlichen ihre Debuts: Blur und Oasis machen britische Popmusik im Stil von Ray Davies und John Lennon zum schicken Geschäftsmodell der Ära Blair.