Erstellt am: 29. 3. 2014 - 13:00 Uhr
Elektronische Stadtchroniken
fm4.ORF.at/musik
Bandporträts, Albenrezensionen und Konzertreviews
Meeresrauschen.
Eine kleine verträumte Klaviermelodie, dazu seidenweicher mehrstimmiger Gesang im Hintergrund.
Man kommt sich vor, als ob man an einem weißen Sandstrand in Florida läge, inklusive Liege mit kleinem Sonnendach und Schirmchen im Cocktail.
Und tatsächlich geht es in dem ersten von Chronic City veröffentlichten Song "Key Biscane" um die gleichnamige kleine Insel vor Miami.
Nicht, dass die beiden Produzenten und Masterminds von Chronic City Emanuel Rudas und Florian Marko schon einmal dort gewesen wären. Aber irgendwie steht es programmatisch für ihr Debüt "Nom De Guerre" und gleichzeitig für ihr ganzes musikalisches Projekt, das weit über die üblichen Bandgrenzen hinausgeht.
Zwischen Soundarchiv…
Emanuel und Florian haben sich kennen gelernt, als sie für den befreundeten Clemens Engert alias Alien Hand Syndrome einige Songs im Studio eingespielt haben. Neben ihrer Liebe zur Musik hatten beide etwas gemeinsam: Sie wollten weg, vom Indie-Rock, weg von ihren Instrumenten und sich mit elektronischer Arbeitsweise vertraut machen.
Es folgte eine Zeit des Experimentierens und des manchmal langwierigen Lernens von Computerprogrammen und Softwareinstrumenten. Natürlich ließen es sich Emanuel und Florian nicht nehmen, sich auch analoge Synthesizer und ähnliches zuzulegen. Und mit jedem "neuen Teil", das "coole Geräusche" macht, wurde ein neuer Song geboren.

ANWORA
Zusätzlich haben beide Produzenten bei ihren Reisen Mikrophone und Aufnahmegeräte mit dabei gehabt, um ihre unmittelbare Umwelt aufzunehmen. Sei es eben das Meeresrauschen oder den Lärm einer Stadt, oder aber das Klopfen einer Radioantenne auf einen Heizkörper in einem Wiener Stundenhotel. Dort waren sie für einen Pressetermin eingemietet, nicht dass hier ein falsches Bild entsteht. Chronik City haben sich in kürzester Zeit ein unheimlich großes Soundarchiv geschaffen, aus dem sie bei der Produktion von "Nom De Guerre" schöpfen konnten. So sind in jeder Nummer verhallte oder verfremdete field recordings versteckt, die dem jeweiligen Song seine ganz spezielle Färbung geben.
Um Missverständnisse vorzubeugen: "Nom De Guerre" ist keine experimentelle elektroakustische Frickelei. Dazu lieben die beiden das Songformat und das weite Genre Pop viel zu sehr. Denn wie Emanuel richtig meint:
"Pop an sich ist ja nicht schlecht. Es gibt nur vielen schlechten Pop. Aber an sich ist Pop ja was tolles!"
… und Stimmenvielfalt
Alle Songs auf "Nom De Guerre" versprühen eine herrlich verträumte aufmunternde und hoffnungsvolle Stimmung. Sehr sorgfältig und detailverliebt haben Chronic City ihre Tracks instrumentiert und produziert. Vor allem die vielen Gaststimmen sind das ganz große Plus der Platte. Neben dem französischen Sänger Henri Joel, der dem ersten Erfolg "Key Biscane" seine Stimme leiht, ist zum Beispiel Pieter Gabriel alias Sleep Sleep in "Ocean Of Luxury" zu hören, meinem persönliche Highlight des Albums. Es ist eine sehr zurückgelehnte Nummer mit herrlichen Sound- und Klangflächen, in denen man sich augenblicklich verlieren kann. Breit angelegt und mit schleppendem Beat erzeugt diese musikalische Traumsequenz eine untergründige Spannung bis zum letzten Ton, der in einem scheinbar unendlichen Raum verhallt.

Chronic City/Hoanzl
Bei dem quirrrlig-witzigen Popstück "My Own" ist die Berliner Singer/Songwriterin Illute vertreten. Und auch wenn Chronic City mit der Sängerin nur Soundfiles via Email ausgetauscht haben, klingt es so, als hätten die drei schon seit Jahren eine musikalische Geschichte, so perfekt schmiegt sich Illutes Stimme in die feingliedrige Elektronik. Die andere Frauenstimme auf "Nome De Guerre" gehört Mimu Merz, auf die das balladeske "Under My Skin" auf den Leib geschneidert ist. Akustische Gitarre, ihre zerbrechliche Stimme und der sichere musikalische Geschmack von Emanuel und Florian mischen sich hier zu einem Song, zu dem verliebte Paare in einer lauen Sommernacht eng umschlungen tanzen können.
Das etwas düstere und melancholischere Lied "Mountains Of Hope" bekommt durch den Gesang von Sir Tralala eine unglaublich intensive Stimmung. Im Gegensatz dazu zaubert einem das nicht einmal dreiminütige Funkpopstück "Bombo!" mit Tarek Farwati, dem Live-Sänger von Chronic City, ein breites Grinsen aufs Gesicht. Und den Vogel haben Emanuel und Florian wohl mit dem Disco-Dance-Track "Vertigo" abgeschossen. Dafür konnten sie den Austro-Popper Reinhold Bilgeri gewinnen, der den Song in beeindruckender Coolness eingesungen hat. Und dann wäre da noch die sofort wiedererkannbare etwas brüchige Stimme von Florian Horwath, der gleich zwei Songs einsingen durfte. Einerseits das berührende "The Man Who", das wie ein klindliches Schlaflied anmutet, das sich mit der Zeit zu einem melancholischen Ohrwurm entwickelt. Andererseits beschließen Chronic City und Florian Horwath mit "The Carousel" das Album, wobei hier noch einmal tief in die harmonische Sehnsuchtskiste gegriffen wird und das elektronische Traumschiff endgültig in die silber-glitzernde See sticht.

ANWORA
Mit "Nom De Guerre" haben Chroni City alles richtig gemacht. Sie haben ein mit fantastischen Songs prall gefülltes Debüt zu einer Zeit veröffentlicht, in der wir alle schon nach sonnendurchfluteten Pop dürsten. Auch wenn sich die beiden damit die Latte für ein Nachfolgealbum recht hoch gelegt haben, ist dem Duo zu wünschen, dass sich ihre Musik soweit bezahlt macht, dass Florian und Emanuel in absehbarer Zeit wirklich einmal in Key Biscane am Strand einen Cocktail schlürfen können.