Erstellt am: 22. 2. 2014 - 11:31 Uhr
Ein außergewöhnliches Bandprojekt
fm4.ORF.at/musik
Bandporträts, CD-Releases und neue Musikrichtungen
Irgendwann gegen Ende letzten Jahres spielte das englische Duo Public Service Broadcasting (zu Deutsch: Öffentlich Rechtlicher Rundfunk) im Flex in Wien. Ich kannte nur ein Stück der beiden, das atmosphärische "Everest", dessen Kombi aus tragender Stimme aus dem Archiv - wie es sie heute nicht mehr gibt - und sehr aktueller Musik mich begeisterte. Also eilte ich die Stufen hinunter zum Flex am Donaukanal, wo die Beiden, die sich J. Willgoose und Wrigglesworth nennen, selbst etwas erstaunt über das Interesse an ihrem Bandprojekt etwas verlegen ins Mikro kicherten und ein wenig von sich erzählten.

cargo
"Inform - Educate - Entertain" von Public Service Broadcasting ist bei Test Card Recordings/Cargo erschienen.
Eine handvoll Leute fanden sich dann am Abend zum Konzert von Public Service Broadcasting ein. Ich, shame on me, nicht. Ich weiß nicht mehr, was an diesem Abend war, dass ich nicht noch einmal die Treppen zum Donaukanal runterlaufen wollte. Vielleicht war einfach nur zu viel Wind am Kanal. Aber ein Freund war dort, ein wirklich passionierter und anspruchsvoller Konzertgeher, und fand es gut. Die Visuals, die Stimmen, und wie J. Willgoose und Wrigglesworth zum Großteil live dazu spielten.
Informieren, bilden, unterhalten
"Public Service Broadcasting re-purpose old films to new effect, and it works beautifully. Artful and effective", urteilte etwa die britische Zeitung The Guardian über das Debütalbum von Public Service Broadcasting. Der Longplayer erschien in Großbritannien bereits letzten Mai und J. Willgoose und Wrigglesworth waren da schon etwa drei Monate auf Tour mit ihrem Projekt. Jetzt erscheint das außergewöhnliche Album des Erfolges wegen auch international.

Public Service Broadcasting
J. Willgoose trägt gerne Samthose und auch ein Cord-Sakko, dazu eine Nerdbrille. Ein junger Mann in Gestalt eines wunderlichen Professors, eines Archivars, der liebevoll alte Tonbänder abstaubt und sie wieder ebenso liebevoll ins Regal zurückstellt, für die Zukunft, die Nachwelt. J. Willgoose stellt gern das Wort "Esq." hinten dran an seinen Namen: J. Willgoose Esq. Dieses "Esq." steht für "Esquire" und ist ein alter Titel, eine heute antiquierte Bezeichnung, die der niedere Adel und die wappenführenden Bürger in England verwendeten. Die britischen Ritterorden verleihen diesen Titel, der im Deutschen etwa mit "Hochwohlgeboren" vergleichbar ist, noch heute und in den USA verwenden auch Rechstanwälte dieses Wort als Teil ihres Namens.
Voices Of The Past, Music Of The Present
Manchmal greift J. Willgoose auch zum Banjo statt zu seinem Keyboard. Wrigglesworth ist der Schlagzeuger von Public Service Broadcasting. Er gibt mit seinen Drums gewissermaßen den Ton an beim Duo, jedenfalls beim Live-Spielen, schließlich muss alles richtig zusammenpassen: Bilder, Archiv-Stimmen und Instrumente, da muss man genau sein, obwohl Public Broadcasting Service nicht als Perfektionisten gesehen wollen werden.
Ein Großonkel von J.Willgoose, George, starb im 2. Weltkrieg in Frankreich. "The War Room" hieß dann auch das Minialbum, das Public Service Broadcast vor ihrem Debütalbum in England veröffentlichten. Die Stücke des Duos haben Kriegs-Titel wie "Spitfire", "If War Should Come" oder "London Can Take It". Durchhalteparolen an die Einwohner der von den Nazis bombardierten britischen Hauptstadt. Sirenen heulen, es kommt wieder ein Angriff. Der Broadcaster - ein Amerikaner - sagt: "The dusk is deepening. Soon the nightly battle of London will be on. These are not Hollywood sound effects, this is the music they play every night in London: the symphony of war. But London can take it. London raises her head, shakes the debris of the night from its hair, and takes stock of the damage done."
Blitzkrieg Pop? Das fühlt sich insgesamt schon auch beklemmend an, ja, schüttelt einen fast. Aber das beabsichtigen Public Service Broadcast wohl auch. Aufatmen beim Stück "Everest"; es geht um den höchsten Berg der Welt und seine Erstbesteigung. Auch Abgestumpfte(re) unter uns könnten von der Kraft des Archivmaterials berührt werden. Eine "bygone era" des Aufbruchs ins Hier und Jetzt transportiert. Faszinierend.
J. Willgoose ist inspiriert von DJ Shadow und Massive Attack, aber auch von Britpop-Star Noel Gallagher - wegen ihm lernte J. Willgoose das Gitarrespielen - oder den Manic Street Preachers. Letztere hörte er viel als Teenager. Die Manics verwendeten oft Samples von Stimmen. Radiohead, die Flaming Lips, deutscher Krautrock, indische Soundtrack-Musik, jamaikanischer Dancehall. Das alles formte J. Willgoose.
"Does anyone remember ‚19’ by Paul Hardcastle?", fragt er, jenen 80er-Jahre-Hit ansprechend, der ein Instrumental mit Spoken-Word-Passagen aus einem Dokumentarfilm über den Vietnamkrieg war; auch eine Inspirationsquelle für Public Service Broadcasting. Die Visuals kamen erst später hinzu.
If you like this, check out these:
Colourbox, David Byrne/Brian Eno, Big Audio Dynamite, Keith Le Blanc/Tackhead.
J.Willgoose:
"The visuals are a big part of the live show, but I do think the songs stand up for themselves, the reaction we´ve had from radio alone speaks volumes, because radio is where everything comes from, there´s no images on there obviously, so I think we are doing something right on the musical front. The visual stuff is like a bonus and gives the audience something to hook on to."
Da fällt mir die englische Band British Sea Power ein, ihre Auftritte zum Dokumentarfilm "The Man Of Aran" von Robert Flaherty, einem Pionier des Dokumentarfilms. Ja, es gibt diverse Anknüpfpunkte bei uns, und "it´s all pop music, in the end", meint J. Willgoose, pardon J. Willgoose Esq., und Wrigglesworth, sein getreuer Drummer, nickt. Wie recht die beiden haben.