Erstellt am: 10. 2. 2014 - 17:44 Uhr
Im sozialen Schreibsalon

Dirk von Gehlen
Der 1975 geborene Dirk von Gehlen ist Journalist und Autor in München. Als Journalist bei der Süddeutschen Zeitung für Social Media/Innovation zuständig und Redaktionsleiter von jetzt.de, hat er als Autor erstmals 2011 mit "Mashup: Lob der Kopie" für Aufmerksamkeit gesorgt.
Nackt, entblößt, überwacht oder unangenehm beobachtet: Kaum jemand mag es, wenn einem jemand beim Schreiben über die Schulter schaut. Dirk von Gehlen, Autor und Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, hat bei seinem Experiment ganz absichtlich laufend seinen Schreibfortschritt dokumentiert und die exklusive Leserschaft informiert, um Feedback zu bekommen.
Gleich 350 Leser und Leserinnen haben Dirk von Gehlen bei seinem 2013 erschienenen Buch „Eine neue Version ist verfügbar“ unterstützt und das doppelt: Die Leserschaft hatte vorab über Crowdfunding nicht nur in die Idee seines Buches investiert, sondern kaufte sich damit auch den Zugang zum Entstehungsprozess des Buches und durfte dann auch gleich mitarbeiten. In „Eine neue Version ist verfügbar“ dokumentiert der Autor sein Experiment des sozialen Schreibens und schildert, warum digitalisierte Inhalte sich einer Art Klimawandel unterziehen müssen. Er versucht zu zeigen, dass Kunst und Kultur von der Digitalisierung auch profitieren können.
Für die 350 Leser und Leserinnen hat von Gehlen ein Forum, eine Art Salon im Netz eingerichtet. Sobald ein neues Kapitel fertig oder ein Schreibfortschritt dokumentiert war, wurde die exklusive Runde informiert. Profitiert hat nicht nur er selbst: „Ich glaube, die größten Gewinner waren meine Familie und meine Freunde, denen ich nicht immer alles erzählen musste“, lacht Dirk von Gehlen, „jeder, der schon einmal längere Geschichten geschrieben hat, ein Buch oder eine lange Uniarbeit, weiß, dass man da gute und auch schlechte Phasen durchläuft und dass man sein privates Umfeld immer damit behelligt.“

Metrolit Verlag
Als positiv empfunden hat Dirk von Gehlen, beim Schreiben nicht alleine zu sein und Rückmeldungen zu bekommen. Das Beobachtet werden hat das Schreiben schon verändert, erzählt Dirk von Gehlen und betont: „Ich wollte von Anfang an bei den Lesern nicht das Gefühl erzeugen, ich sei ein genialer Autor. Diese Art zu Schreiben setzt schon voraus, dass man sich als Autor nicht als genialer singulärer Schöpfer darstellt, sondern eher als Moderator. Als jemand, der Sachen zusammenträgt und in der Lage ist, aus den Informationen ein Kondensat zu bündeln, das nicht ganz dumm ist.“
Das Feedback der Leserschaft auf Dirk von Gehlens Kapitel hat vor allem aus Hinweisen bestanden wie: Kennst du schon dieses Buch aus den 80er Jahren zum Thema oder hast du schon diesen englischen Artikel dazu gelesen? Die Leser haben den Schreibprozess aus dem Augenwinkel beobachtet.
Dirk von Gehlen: "Eine neue Version ist verfügbar. Update. Wie die Digitalisierung Kunst und Kultur verändert". Metrolit Verlag, 2013.
Die in unseren Köpfen festgefahrene Werkvorstellung muss langsam weichen, findet Dirk von Gehlen, noch konzentrieren sich Leser und Autoren auf das Werk, denn: Schreiben und Publizieren kann und macht nicht jeder, das fertige Werk wird zum Gut, für das komplette veröffentlichte Buch gibt es Geld. Leser durchblättern erst das fertige korrekturgelesene schön gebundene Endprodukt. Die Idee von Dirk von Gehlen ist, die Entstehung von Kultur zu veröffentlichen: „Wäre ich dabei gewesen, wie mein Lieblingslied komponiert wurde und ich hätte der Band dabei zuschauen können, hätte ich das heute immer weiter erzählen können. Menschen erzählen genauso begeistert von Konzerten, auf denen sie waren, und ich hab' mich gefragt, warum man das so wenig nutzt.“
Etwas, das das Publikum wertschätzt, soll also zur Wertschöpfung werden. Es fehlt aber noch ein Geschäftsmodell, das die Publikums-Teilhabe ermöglicht, meint von Gehlen: „Das Internet ist keine Rampe, über die Inhalte abgeworfen werden, das Internet ist ein Netz, ein Raum, in dem ich an etwas teilhaben kann.“ Dirk von Gehlen vergleicht den Entstehungsprozess des Buches mit einem Fußballmatch, bei dem bisher kein Publikum anwesend war: „Das Publikum soll nicht selber Tore schießen, aber es kann daran teilhaben, dass es ein Spiel gibt. Dieses Teilnehmen an etwas schafft Wert, Begeisterung und ist nicht kopierbar.“