Erstellt am: 20. 8. 2013 - 18:45 Uhr
Ein symbolischer Akt
Im 21. Jahrhundert wird also in Großbritannien ein Mann neun Stunden lang im Hinterzimmer einer Flughafen-Lounge verhört und all seiner elektronischen Geräte entledigt, weil er im Verdacht steht, als Kurier zwischen einer Dokumentarfilmerin (Laura Poitras in Berlin) und einem Journalisten (Glenn Greenwald in Rio de Janeiro) der Regierung unangenehmes, journalistisches Material zu transportieren.
Und tags darauf kommt heraus, dass in der Redaktion jener britischen Zeitung, für die Glenn Greenwald arbeitet, auf Weisung der Polizei Harddrives und Laptops zerstört wurden - "ein rein symbolischer Akt" wie Alan Rusbridger, Herausgeber des von diesem erstaunlichen Vorgehen betroffenen Guardian, im Editorial der heutigen Ausgabe sehr richtig schreibt.
Er meint damit wohl zweierlei. Zunächst einmal "rein symbolisch" im Sinne von "faktisch irrelevant": Selbstverständlich wurde alles, was an offiziellen Geheimnissen aus der Snowden-Akte auf den zerstörten Harddrives zu finden gewesen wäre, auch außerhalb des Hauses bzw. des Landes gespeichert.
Rusbridger sagt, er habe das auch jenen Beamten erklärt, die die Razzia in seiner Redaktion durchführten. Schon Monate zuvor hatten ihn hohe Regierungsbeamte in der Redaktion besucht und zur Herausgabe bzw. Vernichtung des Snowden-Materials aufgefordert. Dabei könnte der Guardian, wie Rusbridger weiters schreibt, seine Informationen im Fall eines Maulkorberlasses notfalls auch ganz einfach außerhalb der britischen Jurisdiktion publizieren. Eine schlichte Realität des Internetzeitalters, offenbar weit außerhalb des Horizonts des britischen Regierung.
Robert Rotifer
Die starke Online-Präsenz des Guardian macht ihn tatsächlich zu einem gewissen Grad unberührbarer als ein pures Printmedium. Allein der heutige Live-Ticker zu den aktuellen Entwicklungen im Fall David Miranda spottet traditionellen Repressionsmaßnahmen wie beschlagnahmten Tagesauflagen oder dem Polizeiwagen vor den Toren der Druckerei.
Andererseits ist es kein Zufall, dass dieser journalistische Widerstand immer noch von der Redaktion einer traditionellen Zeitung ausgeht. Das nach seiner führenden Rolle in der Veröffentlichung der WikiLeaks-Akten, dem Abhörskandal in der britischen Boulevardpresse und der Enthüllung der Snowden-Akten wohl relevanteste britische Broadsheet verfügt (dank der Geduld des Scott Trust, der es am Leben erhält) über Ressourcen, die sich mit den Mitteln der neuen Medien nicht finanzieren ließen. Bezeichnenderweise macht der international vorbildhafte Web-Auftritt des Guardian immer noch Verluste (2012 waren es furchterregende 100.000 Pfund pro Tag).
Rusbridgers Drohung, notfalls seine Story irgendwo anders online zu veröffentlichen, ist also wohl technisch plausibel, tatsächlich aber bloß eine halbe. Wie der Herausgeber heute Mittag in einem Interview mit der BBC-Radiosendung World At One erklärte, hielt die Gefahr, sich von einem langwierigen Gerichtsfall ein Jahr lang lähmen zu lassen, den Guardian sehr wohl davon ab, sich der sinnlosen Order zur Zerstörung der Redaktions-Hardware zu widersetzen.
Übrigens wird nicht der Guardian, sondern nur David Miranda persönlich mit rechtlichen Mitteln gegen das britische Home Office vorgehen. Die seitenlange Berichterstattung in der heutigen Print-Ausgabe über die mutmaßliche Zusammenarbeit zwischen britischen und amerikanischen Geheimdiensten bei Mirandas Verhaftung liest sich trotzdem wie eine demonstrativ unerschrockene Kampfansage der Redaktion an die repressiven Tendenzen in der britischen Regierung.
Soviel zur zweiten, wichtigeren Bedeutung des von Rusbridger so bezeichneten "symbolischen Akts". Nach allen vorliegenden Informationen sieht es nämlich so aus, als wäre sowohl Mirandas Verhör als auch die polizeilich angewiesene (übrigens von Guardian-Mitarbeitern selbst, unter Aufsicht der Exekutive ausgeführte) Zerstörungsaktion in der Guardian-Redaktion nicht etwa von einem übereifrigen Schreibtischtäter im Home Office, sondern direkt von David Camerons Kabinett ausgegangen.
Die britische Regierung scheint es also tatsächlich darauf angelegt zu haben, den Guardian systematisch einzuschüchtern. Sie demonstriert damit ein spektakuläres Unwissen über den Wert der letzten Reste moralischen Kapitals, die es diesem Ex-Empire erlauben, sich international so weit über die Reichweite seines Lebendgewichts hinaus in Szene zu setzen.
Kaum abzuschätzen, was für einen Schaden die Ereignisse der letzten beiden Tage dem Ruf eines Lands zugefügt haben, das sich selbst so gern als Wiege der westlichen Demokratie sieht. Einen Menschenrechtsbericht wie den vom April 2012, in dem das Foreign Office sich mit gewohnt großer Geste über die Einschüchterung, Verfolgung und Inhaftierung regierungskritischer JournalistInnen in aller Welt ausließ, kann sich das Vereinte Königreich jedenfalls für die nähere Zukunft ersparen.
Der ehemalige Labour-Innenminister David Blunkett meinte heute in einem Interview, sein Urteil über das Vorgehen der Polizei gegen David Miranda stehe noch aus, schließlich ginge es darum, "das zu schützen, was uns am liebsten ist". Wenn sich schon einmal ein alter Hardliner wie er vor lauter Peinlichkeit in Stammbuch-Worthülsen um die alten westlichen Stehformeln von der Bewahrung der Freiheit herumdrückt, kann wirklich nicht mehr viel von ihr übrig sein.
Als Mitglied des parteiübergreifenden, parlamentarischen Joint Committee on the National Security Strategy zeigte sich wiederum der konservative Abgeordnete Mark Pritchard von Guardian-Herausgeber Rusbridger "enttäuscht", weil dessen Zeitung "mit gestohlenen Gütern" gehandelt habe. So gesehen wäre natürlich jeder Journalismus, der Geheimnisse öffentlichen Interesses enthüllt, automatisch kriminell.
Gedacht war die im Anti-Terror-Gesetz 2000 eigens für Häfen und Flughäfen eingeführte Sondererlaubnis zum Arrest ohne Begründung jedenfalls dazu, gegebenenfalls ein brodelndes Terror-Komplott im Moment der Ausführung zu durchkreuzen.
Das Home Office legitimierte die neunstündige Festhaltung von David Miranda in einem heute veröffentlichten Statement dagegen damit, dass die Polizei Grund gehabt habe, zu glauben, Glenn Greenwalds Partner sei im Besitz "hochsensiblen gestohlenen Materials" gewesen, das "Terroristen helfen würde".
Dieser Logik zufolge kommt die Weitergabe des aus den Snowden-Akten gewonnenen Wissens, dass wir alle von NSA und GCHQ bespitzelt werden, nun also schon der Planung eines unmittelbar bevorstehenden Terroranschlags gleich. Die behördliche Paranoia hat damit bereits eine alle Realität neu definierende Ebene der Esoterik erreicht, die sie eigentlich schon in den Rang einer ganzheitlichen Lebensphilosophie erhebt. Oder einer bedenklich fortgeschrittenen Neurose. Alan Rusbridgers trockener Diagnose von heute Mittag ist so oder so wenig entgegenzusetzen: "Ein Land, das Journalismus mit Terrorismus verwechselt, ist in ziemlichen Schwierigkeiten".