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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

10. 8. 2013 - 20:44

Island of Freedom

Eine Nacht am Sziget Festival mit Eindrücken von Blur, Woodkid, Rangleklods und Leftboy.

Festivalradio

FM4 berichtet den ganzen Sommer über von den besten Acts, den launigsten Festivals und vom Biotop Zeltplatz. Jeden Samstag ab 13 Uhr im Festivalradio und auf

Am Sziget ist es heiß und nass, staubig und grün, leise und laut. Alle fünf Schritte siehst du was Neues und hörst du einen anderen Sound. Man berauscht sich an den Zilliarden Sinneseindrücken, wenn man einfach mal eine Runde auf dem großzügig angelegten Festivalgelände dreht, das Platz für 400.000 Besucher, 60 Bühnen und auch folgende vier Acts bietet.

Sándor Csudai, Sziget Festival Official

Left Boy

Left Boy spielt in einem überdimensionalen Zelt, es hat gefühlte 45 Grad und er versorgt das Publikum nicht nur mit seiner kruden und mit Pop-Zitaten-gespickten Mischung aus Hip Hop, Electro und Dubstep, sondern verteilt auch fürsorglich Wasserflaschen an das darbende Publikum. Ferdinand Sarnitz aka Left Boy ist ein sehr höflicher junger Mann, denn neben der Sorge um das Publikum stimmt er auch ein "Happy Birthday" für seine Großmutter Hasi an, die genau an diesem Tag ihren 99. Geburtstag feiert und auch in seinem Video "Healthy Ego" mitspielt.

Daniela Derntl

Left Boy in tha House

Das Konzert hat ein bisschen was von einem Kindergeburtstag, als plötzlich die Klopapierrollen ins Publikum geschossen werden und wieder retour. Es ist eine hitzige und Hit-lastige Mischung: Neben "Jack Sparrow", "Outro", "Video Games" und "Sweet Dreams" hört man komplett neue und auch etwas ernsthafter wirkende Songs, die auf seinem Debüt-Album veröffentlicht werden. Darauf versucht er sich an einer weiteren Mischkulanz der Stile, erzählt er mir im Interview: "Es ist eine Reise durch Sounds. Du fängst an einem Punkt an und endest ganz woanders. Es fließt durch fünf verschiedene Genres in einem Song. Es ist wie ein Trip". Arbeitet Left Boy also an seiner eigenen Bohemian-Rhapsody? "Ich will mich mit diesem Lied nicht vergleichen, denn es ist ein Meisterwerk. Aber ich glaub, mir sind ein paar meiner persönlichen Meisterwerke auf dieser Platte gelungen." Ende des Jahres wird man sich dann davon ein Bild machen können, oder auch schon am kommenden Freitag beim FM4 Frequency Festival.

Daniela Derntl

Blur

Wenn man die größte aller Brit-Pop-Bands bei ihrem Reunion-Gig im Hyde Park gesehen hat, kann ja schwer noch etwas nachkommen. Es war kein Konzert, es war ein dreistündiges Bad in Endorphinen und dem Soundtrack meiner Jugend inklusive Bilder für die Ewigkeit, wie wenn nach dem Konzert die Besucher in der Londoner U-Bahn noch immer "And it really, really could happen" vor sich hin singen. Es war das Mantra der letzten Nummer "The Universal" am 3. Juli 2009 und vor dem Sziget-Konzert hätte ich Haus und Hof darauf verwettet, dass es wieder die letzte Nummer sein wird. Denkste!

Fiebrige Nervosität greift vor dem Konzert um sich. Aufgekratzte Stimmen, lachende und strahlende Gesichter. Kaum kickt das Synthie-Intro von "Girls & Boys", bäumt sich schlagartig das Freudenmeer auf und tatsächlich fällt mir während der ersten Welle der Euphorie gleich einmal ein aufgeblasener Plastik-Hai auf den Schädel.

Daniela Derntl

Rampengott Damon Albarn

Wie könnte es anders sein, Blur rennen bei ihrem allerersten Ungarn-Konzert in ihrer langen Bandgeschichte natürlich offene Türen und Gehörgänge ein, denn es ist ein unglaublich lautes Konzert. Damon Albarn scheint keinen Tag gealtert und der geniale Schelm blitzt aus seinen Augen, Graham Coxon ist der herrlich lustlose Slacker mit der Gitarre, Bassist Alex James trägt kurze Hose, dafür ein langarmiges Leiberl bei 37 Grad und Alex James scheint die Drums hauptsächlich mit geschlossenen Augen zu schlagen. Somit ist ihm, in zweiter Profession als Käsemeister erfolgreich, wahrscheinlich das Plakat mit der Aufschrift "We are your Cheese Army" vollkommen entgangen. Begleitet wird das Quartett noch von einem Chor und drei Bläsern.

Szemerey Bence - Sziget Festival

Alex James ist ein cooler Hund

Nach "Girls & Boys" wird es etwas intimer und verträumt mit Songs wie "Trimm Trabb", "Out of Time" und "Caramel" und es wirkt wie das langsame Einatmen vor dem zweiten Konzert-Part, das gebündelte Hit-Oeuvre mit "Parklife" und "Tender". "Coffee & TV" erkennt das Publikum nach den ersten zwei Drum-Schlägen und vor "Country House" reißt sich Albarn die Jeansjacke sexy vom Leib und stürzt sich wagemutig ins Publikum. Den ganzen Song singt er auf den Schultern seiner Fans, die komplett auszucken. Weil sie wissen, was sie tun, fahren sie noch einmal runter und das ist nach dieser Publikums-Raserei auch notwendig, denn auch die Frequenz der halb-bewusstlosen Mädchen, die aus dem Publikum gefischt werden, ist angestiegen.

Die erste Zugabe ist ein "Happy Birthday" für ihre Fahrerin und langjährigen Roadie Becky, die sie auch gleich auf die Bühne holen. Wie entzückend. Damon kommentiert auch Plakate, auf denen steht, dass ein Pärchen bald heiraten wird und beglückwünscht sie zu ihrem Schritt und beginnt von der Bühne aus eine kleine Plauderei mit den Beiden. Wenn man nicht eh schon Fan der Band wegen ihrer zeitlosen Indie-Pop-Ohrwürmern ist, dann ist man es spätestens bei solchen reizenden Pausen.

Die zwei Typen neben mir singen bei "The Universal" aus tiefster Überzeugung "This is the next Century, where the Universal´s free" und liegen sich mit glasigen Augen in den Armen. Aber dieses Mal entlässt man das Publikum nicht mit dieser erhabenen Nummer in die Nacht, sondern mit dem "Song 2", der ein gefühltes Erdbeeben auslöste. An das Reunion-Konzert kommt der Sziget-Gig von Blur klarerweise nicht heran, aber das macht eigentlich überhaupt nichts. Es war nichtsdestotrotz ein großes Konzert einer sehr großen Band.

Woodkid

Die Floskel "Don´t believe the Hype" hat sich bei Yoann Lemoine aka Woodkid ziemlich aufgedrängt. Seine Singles und das Album "The Golden Age" waren der Überraschungserfolg eines Musikvideo-Produzenten, der sonst mit Lana Del Rey oder Katy Perry arbeitet und ähnlich wie die Damen, gerne in den Schmalztopf greift.
Da reißt einem ein schweres Schlagwerk mit akzentuierten Percussions alte Wunden auf und dem austretenden Pathos wird, ähnlich wie bei Calexico, mit Bläsern neues Leben eingehaucht. Durch die orchestrale Ausstaffierung und den Synth-Bombast türmt sich das Ganze zu einem Berg aus Melodrama auf, über dem dann die sanfte Stimme Woodkids wie ein Segelflieger im Sonnenuntergang kreist.

Botond Márton - Sziget Festival

Bei so viel Hollywood-reifer Effekthascherei hebt sich schon mal eine Augenbraue. Doch wenn man Woodkid live sieht, wird der Hype und jegliche Begeisterungsstürme nachvollziehbar und man wundert sich, wie man jemals zweifeln konnte.

Es ist eine durchchoreografierte Lichtershow, jeder Paukenschlag, jeder Melodielauf, jede Emotion wird visuell kommuniziert. Tja, gelernt ist gelernt und er ist ein sympathischer Live-Performer, der in dem frenetischen Zuspruch des Publikums fast zu versinken droht. Er packt es selber nicht mehr, wenn die 5.000 Menschen im Zelt auf sein Geheiß hin zu springen beginnen und gar nicht mehr aufhören wollen. Vor so viel Liebe fällt Woodkid am Ende des Konzerts auf die Knie und bedankt sich: "I love you. Thank you so much".

Rangleklods

Rangleklods spielen nach Woodkid im nur noch halbvollen Zelt, aber in der Sziget Festival-Dimension sind es noch immer mindestens 3.000 Besuchern. Dennoch wirken Esben Andersen, Pernille Smith-Sivertsen und ihr Trommler Mikkel etwas verloren, denn das Auge des Betrachters leidet nach so viel ausgeklügelter lichttechnischer Finesse bei Woodkid, jetzt bei Rangleklods unter der optischen Reizarmut eines normal beleuchteten Konzerts. Klar, Pernille und Esben sind schön anzusehen, außer dem extrem schirchen Hemd von Esben, für das es Fashion-Abzugspunkte gibt, doch durch diesen Vergleich ist es wieder mal auffallend, wie heftig die Lichtgebung ein Konzerterlebnis steigern kann.

Daniela Derntl

Bei Rangleklods geht’s dann wieder nur um die Musik und die ist sowieso super, dunkel, treibend und tanzbar. Das Zusammenspiel der drei funktioniert perfekt, vor allem Pernille scheint ordentlich an Selbstvertrauen als Sängerin und Performerin dazugewonnen zu haben. Sie tanzt und schüttelt ihren Kopf ekstatisch und geht auch schon mal an den Bühnenrand, einem Bereich, den sie zumindest beim Spot-on-Denmark-Konzert im Wiener WUK Anfang des Jahres Esben überlassen hat. Vor der Bühne hat sich eine große Fanschar aus der Heimat angesammelt, die in den Songpausen "Rangel, Rangel, Rangel" skandiert, Seifenblasen die Bühne empor schickt und die dänische Flagge schwenkt. Sichtlich begeistert von so treuen Begleitern beenden Rangleklods ihr Set mit einer Extended-Version von "Young and Dumb" und wünschen dem Publikum "An awesome Festival. And a good life in general".

Rangleklods

Das Foto haben Rangleklods nach dem Auftritt auf Tumblr gepostet.

Genau so und nicht anders soll ein toller Festivaltag auf dem Sziget zu Ende gehen.