Erstellt am: 10. 8. 2013 - 15:47 Uhr
Die Iggy-Odyssee
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Es ist schon eine kleine Bürde, wenn man einen Freund wie M. hat, der mit Abstand der fanatischste Iggy Pop-Anhänger ist, den ich kenne. Ich selbst liebe Iggy auch innig. Aber M.'s Vergötterung ist leicht irre. Sein absoluter Traum (surprise): Iggy einmal persönlich zu treffen.
Seit März quält M. deswegen Freunde, Kollegen, Bekannte und mich mit seiner Iggy-Manie. Er schickte etwa wöchentlich ein Foto von sich mit einem devoten Hundeblick an Arena-Kollegin N. Er schrieb Emails an potenzielle Konzert-Fotografen, ankündende Journalisten, Gigposter-Zeichner und er nutzte meine beruflichen Kontakte schamlos aus, um an die Nummer des Veranstalters zu gelangen. Alles erfolglos. Iggy würde weder Interviews, Meet & Greets, noch eine Autogrammstunde geben.
Dann halt Hardcore
Mit hängenden Schultern, trauriger Gewissheit und gesenktem Haupt schlurft M. Freitag Abend also zur Arena. In der Hand immerhin ein gültiges Konzertticket. Im Rucksack eine amerikanische Erstpressung (Columbia) von "Raw Power", dem dritten Studioalbum von Iggy & The Stooges aus dem Jahr 1973.
Matthias Hombauer
"Dann passe ich Iggy eben am Hintereingang ab", meint M. zu mir. Soviel vorweg: Auch das blieb erfolglos. Aber M. freundet sich während der zweistündigen Wartezeit mit dem Hells Angels-Security K. an, der später noch eine wichtige Rolle in der Iggy-Odyssee spielen wird.
Das Konzert und Miles
Die volle Arena, der gewittrige Abendhimmel und Miles Davis-Songs aus den Lautsprechern schaffen das perfekte Ambiente für Iggy & The Stooges. Iggy Pop hat Miles Davis immer sehr bewundert - und vice versa. Die Band kommt auf die Bühne und beginnt mit "Raw Power", Iggy steigt ein.
Die Männer auf der Bühne sind zwar zu 98 Prozent weißhaarig und im Pensionistenalter - Iggy ist mittlerweile 66 Jahre alt - aber der Sound strotzt vor Energie, gestützt durch das scharfe Saxophon. Der erste Teil des Konzerts huldigt die frühen Alben von Iggy & The Stooges. Mit "Gimme Danger" (Raw Power), "1970" (Fun House), "Search & Destroy" (Raw Power) und "L.A. Blues" (Fun House) werden die Fanzherzen fürs Erste befriedigt.
Nur drei Tracks aus dem aktuellen "Ready To Die"-Album schaffen es auf die Setlist der Band, fügen sich aber tadellos ein. Die neuen Songs "Gun" und "Ready To Die" funktionieren live sogar besser als am Album.
Iggy und das blonde Mädchen
Matthias Hombauer
Irgendwann holt Iggy zig Menschen aus dem Publikum auf die Bühne. Ein etwa zehnjähriges blondes Mädchen steht neben ihm, Iggy kniet sich auf den Boden und freut sich sichtlich ob des Alters seiner Fans. Weiter hinten steht Iggys Ehefrau mit knappem Kleid und großem Busen, daneben zeigt ein Fan, dass sein Penis doch nicht dem gesamten Arena-Publikum gezeigt werden müsste.
Iggy humpelt so energetisch wie möglich von links nach rechts. Er bewegt sich geschmeidig wie eine Schlange, kniet auf allen Vieren und bellt das Intro von "I Wanna Be Your Dog" ein. Er geht ins Publikum, steigt auf die Galerie, badet in Liebe. Mittlerweile regnet es.
Mit der leider einzigen Nummer aus Iggys Solokarriere "The Passenger" (Lust For Life) ist die Hälfte des Konzerts vorbei. M. schwitzt, schreit und umarmt Fremde. Er hat es vorhin nicht auf die Bühne geschafft und will wieder zum hinteren Ausgang, da wo Iggy vorhin mit seiner verdunkelten Limousine an ihm vorbeigerast ist.
Die Leiden des langen Wartens
Während Iggy & The Stooges den zweiten Teil ihres Sets spielen, warten M. und ich erneut bei Hells Angels-Security K. Wieder meint K., dass wir uns keine Hoffnungen machen sollen. Iggy würde genau so rausfahren wie er reingekommen ist: schnell und ohne stehen zu bleiben. Es vergeht eine Stunde. Von draußen hören wir "Your Pretty Face Is Going To Hell" (Raw Power), "Cock In My Pocket" (Metallic K.O.) und "Burn" (Ready To Die) durch den mittlerweile strömenden Regen dröhnen.
Matthias Hombauer
M. steht leicht apatisch herum, seine Erstpressung ist fein säuberlich in ein Plastiksackerl eingepackt. Der weiße Lackstift für Iggys Autogramm steckt in der Jackentasche. Security K. erzählt mir von den zwanzig Jahren, als er persönlicher Security von Supermax war. Zu M. gesellt sich ein pensionisierter Friseur und Musiksammler, der schon auf 110 David Bowie-Konzerten war und Iggy auch einmal treffen möchte.
"Louie Louie" ist der letzte Song des Konzerts. "Louie Louie" ist der Trigger-Song für den jungen Iggy gewesen. Als er die The Kingsmen-Version von Richard Berry zum ersten Mal gehört hat, hat es ihm als Teenager die Sicherungen durchgefetzt, erzählt Iggy Pop in einer Biographie.
Sorry For The Rain!
Der Regen strömt, die Menschen nach Hause, weitere Fans gesellen sich zu uns: "Na, der Godfather hot uns wieder amoi zagt, wie die Wöd funktioniert", sagt einer davon. Und dann passiert es: Das Tor des Hinterausgangs öffnet sich und The Stooges fahren in einem SUV an uns vorbei und bleiben stehen! Iggy sitzt nicht bei seinen Bandkollegen im Wagen, aber James Williamson kritzelt M. ein Autogramm auf die "Raw Power"-Platte.
Matthias Hombauer
Es vergehen weitere 45 Minuten. Der See in meinen Schuhen wird tiefer und kälter, es ist Mitternacht. M. wippt wie in Trance in kleinen zuckenden Bewegungen vor und zurück. Er ist unansprechbar. Iggy kommt und kommt nicht raus. Er duscht wohl oder findet Gefallen am Grünen Veltliner. Vielleicht schmecken ihm auch die Mannerschnitten gut. Die kleine Fangemeinde bibbert und schlottert, die Gespräche sind verstummt. Die Blitze zucken, der Regen wird nicht weniger.
Security K. wird zum Ausgang gerufen, er unterhält sich ewig mit Iggys Stagemanager. Das Tor geht auf. Ich zische "Schnell M., lauf hin!". Die schwarze Limousine von vorhin zeigt ihre Scheinwerfer. M. geht langsam auf sie zu. Das Seitenfenster wird runtergelassen, man hört Iggys Stimme aus dem Dunkeln: "Sorry for the rain guys! How are you?" Iggy Pop, Punk-Prototyp, Legende, Spitzbub lächelt uns entspannt und gut gelaunt an. M. hält ihm seine Platte hin.
"Let me turn on the light so i can see if it's right", sagt Iggy. Er unterschreibt über das gesamte Cover. M. umarmt ihn darauf hin, ich strahle mit der großbusigen Ehefrau um die Wette. M. weint Freudentränen und hüpft in eine Wasserpütze. Hells Angels-Security K. zwinkert mir zu.
Setlist vom Konzert
1. | Raw Power |
2. | Gimme Danger |
3. | Gun |
4. | 1970 |
5. | Search & Destroy |
6. | Fun House |
7. | L.A. Blues |
8. | Night Theme |
9. | Skull Thing/The Law |
10. | Johanna |
11. | Ready To Die |
12. | I Wanna Be Your Dog |
13. | No Fun |
14. | The Passenger |
15. | Penetration |
16. | Sex & Money |
17. | Open Up And Bleed |
18. | Your Pretty Face Is Going To Hell |
19. | Cock In My Pocket |
20. | Burn |
21. | I Got A Right |
22. | Louie Louie |