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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

8. 8. 2013 - 15:20

Gone home

Wo immer das sein mag. Unheimlich ist überall, so wie der Europa einende Rassismus.

Jetzt bin ich also wieder zuhause, ganz wie man mir's angeschafft hat.

„Go home“, hatte das britische Home Office, sprich Innenministerium, auf jene Plakat-Busse geschrieben, die vorige Woche durch sechs Londoner Bezirke kurvten. „Go home or face arrest.“ Aber sie meinten damit nicht mich, stand da doch im linken oberen Eck die Frage: „In the UK illegally?“

Durch Umstände, die ich nicht beeinflussen konnte (stimmt nicht ganz, die Abstimmung über den EU-Beitritt hab ich damals mitgemacht), bin ich ja legalerweise im Vereinten Königreich aufhältig.

Selbst wenn ich das nicht wäre, könnte es allerdings durchaus sein, dass ich trotzdem hier zu Hause wäre. Wie zum Beispiel die geschätzten 120.000 undokumentiert auf der Insel geborenen Kinder illegaler EinwanderInnen.

Wohin die „heim“ gehen sollten, ist eine schwierige Frage. Viel zu schwierig, als dass man die Antwort in fetten Lettern durch London spazieren führen könnte. Was sich schrifttypmäßig ausging, war dagegen der Zusatz „106 arrested last week in your area“.

Werbe-Auto des Home Office mit Aufschrift "In the UK illegaly?"

worldsocialism

Ich hab das alles aus einer Guardian-Story, die ich am Montag noch in Wien sitzend las. Zwischendurch verfolgte ich auch die Empörung auf meinem Twitter-Feed mit, nicht nur über oben beschriebenen #racistvan, sondern auch über die mit seinem Auftauchen einher gehende größte Razzia gegen illegale MigrantInnen, die das Home Office je veranstaltet hatte.

Die Gleichzeitigkeit mit den gerade laufenden Refugee-Abschiebungen in Österreich war natürlich auffällig.

Zwar befindet sich Großbritannien zwei Jahre vor den nächsten Unterhauswahlen technisch gesehen noch nicht im Wahlkampf, aber Home Secretary (sprich Innenministerin) Theresa May sitzt schon eine Weile hinter ihrem Chef in Lauerstellung und schickt dementsprechend gerne Signale an das Wahlvolk aus, in diesem Fall über ihre Bulldogge, den Immigration Minister Mark Harper.

Werbewagen der Police Federation mit Porträt von Theresa May und der Aufschrift: "I will always back you, I will always support you, I will always fight for you" Keep your promise to police officers

Promogroup

Dieselbe Werbefirma, die jetzt für das Home Office die "Go Home"-Kampagne durchzieht, ließ sich übrigens erst diesen Mai von der Police Federation für einen an Home Secretary Theresa May gerichteten Protest gegen Personal- und Büdgetkürzungen bei der Exekutive einspannen. Vielleicht eine Inspiration?

Von Seiten des mittlerweile routinemäßig außen vor gelassenen liberaldemokratischen Koalitionspartners bezeichnete deren de-facto-Anführer Business Secretary Vince Cable die "Go Home"-Aktion der eigenen Regierung vorletztes Wochenende als „stupid und anstößig“, wurde aber schon Tags darauf von Camerons Büro gelassen belehrt, dass die Kampagne wegen ihres angeblichen großen Zuspruchs aufs ganze Land ausgeweitet werde.

SüdhalbkugelbewohnerInnen würden in all dem die Handschrift des von den Konservativen aus Australien importierten Wahlstrategen Lynton Crosby wiedererkennen, der schon in den Neunzigern und frühen Zweitausendern im Dienste des dortigen Premiers John Howard auf den schwarzen Tasten der australischen Gefühlsorgel virtuos mit populären Vorurteilen gegen Aboriginals und halb verhungert in leckenden Booten anreisende Asylsuchende spielte.

Da wie dort gab es einen politischen Wettkampf um den rechten Rand, im heutigen Großbritannien befeuert durch die proletarische Hooligan-Plattform EDL und die klein- bis landbürgerliche UK Independence Party, welche zunächst überraschend zivilisiert den #racistvan des Home Office als „ekelhaft und unschön“ kritisierte, mittlerweile aber wieder die Avantgarde-Stellung in diesem gruseligen Wirtshausduell zurückerobert hat.

Und das ausgerechnet dank des liberalen Guardian, der den Video-Mitschnitt einer unbedeutenden Versammlungsrede des UKIP-Europa-Abgeordneten Godfrey Bloom veröffentlichte, in der jener die Empfänger britischer Entwicklungshilfe launig rassistisch als „Bongo-Bongo-Land“ bezeichnete.

Eigentlich keine Sonderleistung, was Blooms üblichen Umgangston oder den seiner Parteikollegen anlangt, aber dank der Aufregung hat er es damit in nur zwei Tagen vom Obskuranten zum Gast in jeder Nachrichtensendung und Titelblatthelden der Daily Mail geschafft.

Werbewagen der Menschenrechtsorganisation Liberty mit der Aufschrift: "Stirring up tension and division in the UK illegaly? Home Office, think again"

Liberty

Von der Menschenrechtsorganisation Liberty gesponsertes Antwortsfahrzeug. Siehe auch diesen Blog zur Erklärung der Aktion

Es ist das aus österreichischer Politik-Erfahrung seit Jahrzehnten bekannte Schrödingersche Katzendilemma: Kann man die Rassisten verschwinden lassen, indem man sie in die Schachtel des Schweigens steckt, oder stinkt's dann erst recht bräunlich durch den Karton, und es ist besser, man wirft gleich das Licht auf den, der da furzt? (Offensichtlicher Fehler in der Metapher: Als langjähriger Katzenbesitzer hab ich dieses Tier nie beim Furzen erwischt, nicht ohne Grund also sprechen AngelsächsInnen bei unterschwelligen Lockrufen an das rassistisch/xenophobe Volksempfinden passender von “dog whistle politics“.)

In jedem Fall fühlt sich die Rückkehr nach England heuer für den Ex-Wiener auf gänzlich falsche Weise wie ein vertrautes Nachhausekommen an. An sich wäre es aber schnurzegal gewesen, wo wir unsere nächtliche Autobahnfahrt beendet hätten, dies- oder jenseits des Kanals. Der Rückzug auf den Rudelinstinkt Fremdenhass ist das eine Band, das ganz Europa eint.

Das heißt, genau genommen gibt es da schon auch noch andere:

Wann immer wir am Frankfurter Flughafen vorbei rollen, staune ich zum Beispiel über das gigantische, einem Walbauch gleichende Gebäude der mehrfach der Korruption und Komplizenschaft in Sachen großangelegter Steuerhinterziehung überführten und trotzdem (oder gerade deshalb) mit Regierungsaufträgen aus der ganzen Welt versorgten Buchprüfer- und Consulting-Firma KPMG.

Und ein paar hundert Kilometer später, irgendwo in Belgien, fiel mir diesmal auch ein „Corporate Village“ auf, von dessen Glastürmen in trauter Einigkeit die europaweit bekannten Logos von G4S und Atos prangten (erstere verwalten in Britannien unter anderem privatisierte Gefängnisse und erledigen Grenzkontrollen, zweitere sind von der britischen Regierung mit der Tauglichkeitsprüfung der BezieherInnen von Behindertenbeihilfen betraut – auch ein Geschäft).

Unter Beachtung der Straßenverkehrsordnung ließ ich das bedrohte Tier in mir von der Leine, lehnte mich aus dem Autofenster und rief diesen Neon-Logos ein herzhaftes „Go home!“ entgegen.

Aber sie antworteten mir nicht. Wahrscheinlich, weil sie keine Ahnung haben, wo ihr „home“ sein soll. Genau wie ich.