Erstellt am: 13. 5. 2013 - 13:54 Uhr
"Facebook-Überwachung nicht vom Tisch"
Während in Europa die Novellierung der Datenschutzrichtlinie von 1995 auf eine Entscheidung im Parlamentsplenum zusteuert, dreht sich die Spirale der Überwachung in den USA, aber auch in einigen EU-Staaten anscheinend weiter.
So ist die bereits 2011 vom FBI geforderte, normierte Überwachungsmöglichkeit für "https"-verschlüsselte Dienste in den USA wieder auf dem Verhandlungstisch. Facebook und alle anderen Anbieter sollen nach dem Muster der Telefonienetze "aufgebohrt" werden, um den Strafverfolgern routinemäßig Zugang zu den Kommunikationsdaten verschlüsselter Dienste ermöglichen.
Überwachungsgesetz "quicklebendig"
Die sogenannte "Communications Data Bill" in Großbritannien, die den FBI-Plänen zum Verwechseln ähnlich sieht, sei keineswegs gestorben, sagte Simon Davies zu ORF.at, auch wenn dies überall verbreitet werde. "Dieser Gesetzentwurf ist quicklebendig im Parlament", so der Spezialist für Technikfolgenabschätzung bezüglich Datenschutz an der London School of Economics.
Der stellvertretende Premier und Chef des kleinen Koalitionspartners Nick Clegg hatte davor gegenüber der BBC erklärt, er könne ein solches Gesetz nicht akzeptieren. Die Koalition wird allerdings von den Konservativen unter David Cameron geführt, Cleggs Liberaldemokraten hatten dabei bis jetzt große Schwierigkeiten, auch nur Teile ihres Wahlprogramms durchzusetzen. Darunter war auch das Versprechen, ausufernde Überwächungspläne der Konservativen nicht mitzutragen.

dpa/Julian Stratenschulte
Die Ansprache der Queen
Die meisten Bürgerrechtsorganisationen hätten nach Cleggs Statements geglaubt, das würde auch das Ende der Bill bedeuten, sagt Davies. In der Ansprache von Königin Elisabeth vor wenigen Tagen sei allerdings gleich dreimal auf Inhalte der Communications Data Bill verwiesen worden.
Die Queen hält ja bekanntlich überhaupt keine eigene Ansprache, sondern verliest die Vorhaben der jeweiligen Regierung im Wortlaut. Die Pläne, bei allen Internetprovidern Geräte zur Tiefenanalyse des ein- und ausgehenden Datenverkehrs aufzustellen, um verschlüsselten Datenverkehr nach Belieben mit gefälschten Zertifikaten in Klartetxt mitschneiden zu können, sind also keineswegs vom Tisch.
Technische Umsetzung läuft bereits
Die technischen Spezifikationen dafür werden in zwei Gremien des European Telecom Standards Institute (ETSI) bereits entwickelt, die seit 1996 sämtliche Überwachungsnormen für digitale Festnetztelefonie bis zu mobilem Breitband erstellt haben.
Die Normierung im ETSI läuft unter dem Titel "Gesetzmäßige Überwachung von Cloud Computing", wobei darunter sämtliche, webbasierten Dienste verstanden werden, sofern diese kommerziell angeboten werden und Kommunikation in irgendeiner Form ermöglichen. Die Palette umfasst von Facebook-Chats bis Videokonferenzen, von Internettelefonie bis zum Filesharing praktisch alles, was unter "Web 2.0" verstanden wird.
Die Entwicklungszyklen dieser technischen Normen eilen dem "Roll Out" der zu überwachenden, neuen Kommunikationstechnologie dabei schon längst voraus. So wurde der Überwachungsstandard für die damals "UMTS" genannte erste Generation mobilen Breitbands bereits 1999 veröffentlicht. Das war drei Jahre, bevor das erste derartige Netz in Betrieb gegangen war.
Warten auf Anschläge
"Meiner Einschätzung nach wird die Regierung einfach solange warten, bis wieder etwas Aufsehenerregendes rund um Terroristen oder Pädophile passiert", meint Simon Davies, und schon stehe das "weltweit wohl fortgeschrittenste Überwachungsgesetz wieder auf der Tagesordnung". Man möge sich doch nur an die Genese der Vorratsdatenspeicherung erinnern.
Tatsächlich was das bei diesen mittlerweile sattsam bekannten, europaweiten Überwachungsregelung frappierend ähnlich abgelaufen. Die sozialdemokratische Regierung unter Tony Blair war 1999 mit ihrem Gesetzesvorhaben zur Vorratsdatenspeicherung - ebenso wie jetzt die konservativ dominierte Regierung David Camerons mit ihren Facebook-Überwachungsplänen - im Parlament vorerst nicht durchgekommen.
Am Beispiel Vorratsdatenspeicherung
Eine erst im April neu bestellte Expertengruppe soll die EU-Kommission erklärtermaßen darüber informieren, welche neue Anforderungen für die Ѕtrafverfolger zur Überwachung neuer Internetservices entstanden sind.
Im Frühjahr 2001 hatte Blair dann mit dem deutschen Innenminister Otto Schily (SPD), sowie den Regierungen Frankreichs, Schwedens und Irlands einen Vorstoß im EU-Ministerrat unternommen, wenige Monate später passierten die Anschläge auf das World Trade Center.
Damit war die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf den Weg, obwohl es anfangs noch Widerstände einiger Staaten wegen grundrechtlicher Bedenken gegeben hatte. Überdies war man sich nicht einig, unter welcher rechtlichen Grundlage man eine entsprechende EU-Richtlinie verabschieden sollte.
"Politwäsche"
Die Anschläge auf den Bahnhof in Madrid 2004 und jene auf die Londoner U-Bahn 2005 bereiteten den Diskussionen ein abruptes Ende, die Richtlinie wurde in Rekordzeit verabschiedet und trat 2006 bereits in Kraft. Was Blair, Schily und Co in den eigenen, nationalen Parlamenten nicht als Gesetz durchgebracht hatten, kam so über den Umweg Brüssel als Richtlinie zurück und wurde dann in nationale Gesetze gegossen.
Die Verweise im "Queen's Speech" auf die in der britischen Öffentlichkeit allgemein "Schnüfflercharta" genannte Communications Data Bill im Bericht der BBC
"Wir nennen das 'Policy-Laundering' oder Politwäsche, das ist ja seit Jahrzehnten an der Tagesordnung, dass vorerst nicht realisierbare, eigene Gesetzesvorhaben zur Durchsetzung sozusagen exportiert werden", sagt Davies.
Im Fall der Vorratsdatenspeicherung hatten die beteiligten Regierungen das Thema durch politische Statements und parallel dazu lancierte Beschwerden der Strafverfolger über fehlende Datensätze so lange aktuell gehalten, bis der Zeitpunkt gekommen war, es über eine Richtlinie durchzusetzen.
Simon Davies forscht an der LSE zu den Themen "Privatsphäre und Datenschutz", 1990 gründete Davies die Bürgerrechtsorganisation Privacy International. Die internationalen Big Brother Awards hat Davies 1996 quasi nebenbei angekickt. Aktuell bekämpft er als "Datenschutzchirurg das Karzinom der Heuchelei".
Fragen, Rechte und Regentschaft
Genau dieselbe Taktik werde man auch jetzt anwenden, so der Gründer und langjährige Direktor der Bürgerrechtsorganisation Privacy International, der auch die "Big Brother Awards" 1998 ins Leben gerufen hat zum Abschluss.
Dieses Spiel werde solange weitergehen, bis die Bürger damit beginnen würden, sich selbst solch grundsätzliche Fragen zu stellen: "Welche Rechte habe ich, und welche Rechte haben jene, die mich regieren? Wie sieht es mit der Gleichgewichtung aus? Und: Ist das überhaupt eine Art von Gesellschaft, in der ich leben möchte?"