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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

12. 5. 2013 - 09:15

"Ich glaube nicht, dass Konkurrenzgeist zu guter Musik führt"

It was twenty years ago today... Nein, eigentlich neunzehn. Mein Wiedersehen mit Stephen Pastel ist noch bis Dienstagmittag nachzuhören.

"Da hast du aber ganz schön was vor diese Woche!", hatte unsere Internet-Chefin Ute bei Anblick des Wochenprogramms gemeint... Ein Heartbeat mit den Pastels als Gästen, eine Listening Session mit Bobby Gillespie von Primal Scream und ein Gästezimmer mit den Veils. Ob ich da nicht gleich ganz viele Webstories dazu machen könnte.

Und jetzt sitz ich hier, es ist Sonntag und kann nur sagen, ich hab's verschissen, es wurde nichts. Das heißt, alles ist ja noch nicht verloren, dank der diversen Konsumationsmöglichkeiten, die uns die Radiowelt heutzutage bietet.

Früher bin ich noch mit einem sich mit jedem Schritt weiter auflösenden Tonbandschnittkunstwerk in den Armen in Richtung Studio gehastet, und wenn das Ding einmal aufgelegt und abgespult war, war die Sache gelaufen, und die Welt durfte sich weiterdrehen.

Heutzutage dagegen darf ich noch darauf hinweisen, dass ich am vergangenen Montag eine Heartbeat-Sendung mit einem ausführlichen Interview mit Stephen Pastel gebracht hab, die man sich auf dieser Website immerhin noch bis Dienstag nachmittag anhören können wird. Ich verlinke noch dazu, weiter unten, zuerst kommt die Vorgeschichte.

Die Pastels sind nicht nur eine Band aus den Achtzigern, die jetzt wieder ein neues Album herausgebracht hat (welche Band ist das heutzutage nicht?).

Sie verkörpern vielmehr eine Art alternative Geschichte des britischen (eigentlich schottischen) Indie-Pop (auch wenn sie selbst, so wie jede ordentliche Indie Band, den Indie-Begriff immer schon ablehnten).

Als sie 1997 ihr nun also vorletztes Album „Illumination“ herausgaben, war eigentlich schon alles verloren. Das spannende Versprechen des Do It Yourself-Ethos bzw. das ästhetische Prinzip von Bands, die das Anschauen von Agnes Varda-Filmen als mindestens genauso wichtig für ihre Entwicklung befanden wie die Arbeit im Proberaum, war vom Oasis-Konsens der (Post-)Britpop-Ära niedergewalzt worden. „The Hits Hurt“ sang Stephen Pastel damals und meinte es.

Dass eine neue Generation von Bands aus Glasgow wie Belle And Sebastian (und zu einem gewissen Grad Camera Obscura) in den folgenden Jahren auf jenem Feld, das die Pastels bestellt hatten, reichere Ernte machen sollten als die Pastels selbst, war zwar eine Ironie der Geschichte, aber nie ein Grund zur Bitterkeit, und mein neuliches Gespräch mit Stephen Pastel in einem Londoner Café anlässlich des von John McEntire produzierten neuen Albums "Slow Summits" die reine Freude.

Stephen Pastel

Robert Rotifer

Stephen Pastel neulich in Soho, in 20, nein 19 Jahren kaum gealtert

„Ich glaube nicht, dass Konkurrenzgeist zu guter Musik führt“ sagte er, und ließ sich trotzdem nicht nehmen, nebenher ein paar herrlich pointierte, charakteristisch unbösartige Kommentare zur revisionistischen Geschichtsschreibung rund um die Mythen der britischen Rockmusik fallenzulassen (The Pastels kamen selbst aus den Kreisen von Creation Records, eines Labels, das in den Achtzigern als Heimat wunderbarer Sonderlinge wie Felt, The Loft oder Momus fungierte, ehe es sich Oasis und dem Revival von Rockstar-Stereotypen der Siebziger Jahre widmete).

Es ist jedenfalls ein Triumph ihres poetischen Timings, dass die Pastels erst jetzt wieder zurückgekehrt sind, wo das historische Zwischenspiel der Spätneunziger-Hybris der britischen Musikindustrie und ihres schnellen, tiefen Falls wieder hinter uns liegt und DIY für die meisten als letzter Ausweg verblieben ist.

Und eine persönliche Note hatte dieses Wiedersehen für mich auch noch: Es war nämlich geschlagene zwanzig* Jahre her, dass ich Stephen zum letzten Mal interviewt hatte. Damals war ich nach Glasgow gefahren, um für eine kurzlebige Fernsehsendung namens Tonart eine Mini-Doku über die dortige Indie-Szene zu drehen.

Katrina, Aggi und Stephen von den Pastels hatten mich durch die Stadt geführt und mir Interviews mit den gerade formierten The Yummy Fur (bevor Alex Kapranos da mitspielte) in ihrem Proberaum, mit BMX Bandits in einem Touristenladen, der Kilts verkaufte, mit Ex-Vaselines-Sänger Eugene Kelly alias Eugenius (vormals Captain America) in einem Park mit Aussicht über die Stadt und mit Teenage Fanclub in einem Pub eingefädelt. Letztere spielten in einem Kellerclub sogar eigens für unsere Kamera ein gemeinsames Set mit den Pastels ein, das jetzt entweder irgendwo in einem Archiv in Wien ruht oder wieder überspielt wurde.

Von meinen aus Schottland mitgebrachten Kostbarkeiten ging dann allerdings herzlich wenig auf Sendung. Denn im Wiener Hause jener Fernsehfirma, die „Tonart“ produzierte, kam mein Beitrag unters Messer und Herzblut floss in Strömen.

Diese ganzen Bands, hieß es, kenne ja keiner. Mein Gegenargument, dass genau das ja der Grund des Beitrags sei, kam nicht besonders gut an, und die Tatsachen, dass a) ich vom Fernsehmachen offensichtlich keine Ahnung und b) beim Hinflug meinen Pass vergessen hatte (worauf die Produktionsfirma mir ein neues Ticket nach Glasgow besorgen hatte müssen, keine einfache Sache an einem Wochenende in der Welt vor dem Internet), schwächten wohl meine Position.

Mein Versuch, im Sog der gerade aufwallenden Britpop-Begeisterung Bands wie die Pastels und The Yummy Fur in den Fernsehmainstream zu hieven, sollte kläglich scheitern - eine journalistische Lektion fürs Leben.

Um ein bisschen geborgten Pfiff in mein Material zu bringen, wurden ein paar Szenen aus dem zu jener Zeit jüngsten Video von Primal Scream, ihrem leider eher unsäglichen Welthit „Rocks“, in meinen Beitrag vermischt.

Die Primals hatten zwar Wurzeln in Glasgow, wohnten aber längst in London und gehörten somit sicher nicht in einen Beitrag über die Glasgower Szene, abgesehen davon, dass ihre Kokserhymne optisch wie inhaltlich mit von mir interviewten Typen wie Norman Blake von Teenage Fanclub, der zum Interview im Tweed-Jackett mit einem Penguin-Klassiker in der Sakkotasche erschienen war, herzlich wenig zu tun hatte.

Mir war das Ergebnis derart peinlich, dass ich es den Pastels dann trotz meines dahingehenden Versprechens nicht zu schicken wagte. Ein Versäumnis, für das ich mich auch vor zwei Wochen - zwanzig Jahre danach - noch entschuldigen würde.

Stephen Pastel, großmütig wie immer, winkte nur ab (zu meiner Scham hab ich einmal ein Video der Pastels gesehen, in dem sie eine unserer damals gedrehten, nun leider verschollenen Szenen - die Band in der Mitte einer Speedway-Strecke, während rundherum die Motorräder kreisen - nachgestellt hatten).

Die erste Ironie ist, dass ich diesen Blog nun erst veröffentliche, nachdem mein langer Beitrag über das ziemlich hervorragende neue Album „More Light“ von Primal Scream gestern schon gelaufen ist. Man kann ihn hier nicht mehr hören, sorry. Mein Heartbeat mit Stephen Pastel ist dagegen wie gesagt hier noch nachzuhören. Für eine Weile.

Die *zweite Ironie ist, dass ich jetzt beim Griff in den Plattenkasten festgestellt hab: „Rocks“ erschien nicht 1993, sondern 1994, mein Trip nach Glasgow ist also in Wahrheit 19, nicht 20 Jahre her und das Gedächtnis ein Hund.

Und hier kann man, ja sollte man, „Check My Heart“, der Pastels neues Video, sehen.

Ach ja, und dass ich es nicht zu erwähnen vergesse, falls ihr das am Sonntag lest: Das Gästezimmer, das ich mit den Veils aufgenommen hab, ist heute am Nachmittag zwischen 15 und 16 Uhr in FM4 Connected zu hören.