Erstellt am: 17. 4. 2013 - 18:19 Uhr
Organische Mehrdeutigkeit
"Unter all der Musik, die wir hören und die uns inspiriert, ist der Kontinent, der am wenigsten repräsentiert ist, die Antarktis."
Auch wenn Sänger und Songschreiber José Gonzales diesen Satz nicht ganz ohne schelmischen Unterton äußert, ist die Musik seiner Band Junip wirklich "Weltmusik" im Sinne von: musikalischen Versatzstücken aus der ganzen Welt.
Junip zum Nachlesen:
Eva Umbauer über das Junip Album "Fields"
Gonzales selbst besitzt argentinische Wurzeln, ist im Popland Schweden aufgewachsen und begeisterte sich schon früh für die amerikanische Independentmusik. Alleine das ergibt schon eine interessante Mischung bezüglich musikalischer Sozialisation. Schlagzeuger Elias Araya hat definitiv einen starken Bezug zu afrikanischen Rhythmen und Beats, wobei Keyboarder Tobias Winterkorn mit seiner Vorliebe zu Moog-Synthesizern sich wohl gern in die Welt des Krautrock begibt.
All das zusammengerechnet ermöglicht jedoch noch immer nicht eine adäquate Schubladisierung. Zu atmosphärisch dicht und aufgeladen sind die Songs von Junip, die uns nicht durch aufgeblähte Überproduktion auf Distanz halten.

Johanna Hedborg
Knöchere Dunkelheit
Die gefühlvolle Eröffnung von "Line Of Fire" mit ihrer schwebenden Akustikgitarre, dem rollenden Beat und den sentimentalen Keyboardflächen zeigt schon, dass dieses zweite Album noch mehr als das letzte eine Destillation von Gonzales' Soloarbeit und dem perfekten Zusammenspiel der Band geworden ist. Auch wenn hier wieder der gute Moog-Synthesizer mit einer kleinen aber feinen Melodie vorkommt, sind die Ausbrüche ins Ausufernde, Psychedelische wie bei dem Vorgänger "Fields" eher selten.

Elias Araya/Junip
Spannend sind die Referenzen, die einem beim Durchhören durch den Kopf ziehen: Beim zarten Liebeslied "Suddenly" ist man von der Atmosphäre her an Pink Floyds "Wish You Where Here" erinnert und der grandiose, herzzerreißende Schlusspunkt des Albums "After All Is Said And Done" könnte fast ein Massive Attack-Remix einer José Gonzales Nummer sein. Zwischendrin darf man sich nicht wundern, wenn die gesamte Aufnahme nahe an der Verzerrung und Übersteuerung vorbeischrammt, wie bei dem skizzenhaften Stück "Villain". Denn das war durchaus von Junip und ihrem Produzenten Don Alsterberg so gewollt. Manche Bandsessions wurden sogar mit nur einem einzigen Raummikrophon aufgenommen, so wurde mit der Positionierung und dem räumlichen Klang gespielt. Das ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum "Junip" so rau, unmittelbar und knöchern klingt.
Junip auf FM4:
Das neue Album "Junip" und Auszüge aus dem Interview mit José Gonzales hört ihr heute Mittwoch 17. April ab 19:00 Uhr in FM4 Homebase.
Das trägt natürlich auch zu der eher düsteren Stimmung bei, die sich durch das zweite Werks des Trios zieht und durch das Coverartwork von Drummer Araya noch verstärkt wird. Trotz des geschmeidigen Timbres von José Gonzales und den federleicht gespielten Sounds der Band verbreiten die zehn Songs zeitweise unterschwellig ein Gefühl von Unruhe oder von einer Vorahnung, dass es hier um existenzielle Dinge und damit einschneidende Erlebnisse im Leben geht. Das spiegeln auch die Videos zu den beiden Singles "Line Of Fire" und "Your Life Your Call" wider.
Es ist eine zweiteilige Geschichte, die Regisseur Mikel Cee Karlsson für die beiden Singles konzipiert hat, bei beiden arbeitet er mit eindrucksvollen Bildern, die meist nur ganz kleine Bewegungen zeigen, die vor- und zurückgespielt werden. Es ist ein Gesamtkunstwerk, das verstören und aufwühlen soll, schließlich evozieren in beiden Teilen mehrdeutige Szenen heikle Tabuthemen wie sexuellen Missbrauch, sexuelle Übergriffe in der Familie und Inzest. Ein gewagtes Unterfangen, das den Songs von Junip eine ganz eigene und sehr dunkle Stimmung verleiht.
Live in Österreich:
1. Mai 2013 Junip @ Szene Wien
"Junip" ist bei all dem großen Interpretationsspielraum, den die Texte bieten, weit entfernt von einem Album, das einen runterzieht. Dazu liegt in José Gonzales' Stimme zu viel Zuversicht und Hoffnung. Das beste Beispiel dafür ist das knapp sechsminütige Groove-Mantra "Walking Lightly", das uns vermittelt, mit Leichtigkeit den flüchtigen Moment zu genießen. Ob wir nun auf einer Parkbank in der Sonne sitzen ober mit geliebten Menschen einen lauen Frühlingsabend im Freien verbringen. Und so garantiert jeder der zehn neuen Junip-Songs mindestens einen unerwarteten Gänsehautmoment, der sich tief einbrennt und einen länger nicht mehr los lässt.