Erstellt am: 19. 2. 2013 - 17:12 Uhr
Wir diskriminieren!
17 Richter des Menschenrechtsgerichtshofs brauchte es für das Urteil, knapp sechs Jahre haben die Betroffenen darauf gewartet. Nun steht fest: die fehlende Möglichkeit einer sogenannten Stiefkindadoption diskriminiert gleichgeschlechtliche Paare in Österreich im Vergleich zu unverheirateten heterosexuellen Paaren. Letztere können nämlich das leibliche Kind ihres Partners adoptieren.
Zurückzuführen ist dieses Urteil auf ein lesbisches Paar, das in Österreich lebt und anonym bleiben möchte. Die Partnerin der Mutter wollte den mittlerweile 17-jährigen Sohn adoptieren, der seit Jahren in der Regenbogenfamilie lebt. Der damals 11-jährige Bub stammt aus einer früheren Beziehung - einer Patchworkfamilie, der Vater hat weiterhin Kontakt mit ihm. Dennoch wollte das lesbische Paar das Sorgerecht für beide Partnerinnen, um auch in Notsituationen für das Kind da sein zu können, zum Beispiel, sollte die leibliche Mutter krank werden etc.

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Die Mehrheit der Richter urteilten, dass gegen Artikel 14 der Menschenrechtskonvention (Diskriminierungsverbote) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verstoßen wurde. Das Urteil ist in Bezug zu unverheirateten heterosexuellen Paaren erfolgt, bei denen die Stiefkindadoption erlaubt ist.
Der Gerichtshof entschied, dass Österreich 10.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden zu zahlen hat und rund 28.000 Euro für Gerichtskosten.
Österreichische Gerichte haben sich bisher geweigert, der Adoption des Buben durch die Partnerin der Mutter zuzustimmen. Obwohl der Begriff Eltern rechtlich nicht genau definiert ist, gehen die österreichischen Gerichte davon aus, dass es sich hierbei um einen Mann und eine Frau handeln muss. Wenn ein Kind beide Elternteile habe, gebe es keinen Grund für eine Adoption. Somit würde nicht der Vater, sondern die leibliche Mutter ihre Rechte am Sohn verlieren, welche dann auf die Adoptionsmama übergehen und das wäre nicht im Sinne der Familie.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat nun bestätigt, dass gleichgeschlechtliche Eltern dadurch benachteiligt werden. "Die österreichischen Gerichte hatten keine überzeugenden Argumente zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Ungleichbehandlung zum Schutz der Familie oder des Kindeswohls vorgebracht.", heißt es in der Pressemitteilung.

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Riem Higazi hat Dr. Helmut Graupner, den Anwalt des lesbischen Paares interviewt.
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Konkrete Folgen?
Barbara Schlachter-Delgado, Obfrau von "FAmOs - Familien Andersrum Österreich", einem Verein zur Förderung von Regenbogenfamilien in Österreich, zeigt sich zwar erfreut über das Urteil und dessen Signalwirkung. Es erhöhe den Druck auf die Regierung, gleichgeschlechtliche Familien endlich mit heterosexuellen Familien gleich zu stellen. Aber nun liege es an den Politikern, die Forderungen auch umzusetzen - und da liegen noch einige Stolpersteine im Weg.
Auch in Deutschland wurden heute die Rechte von Homosexuellen gestärkt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Beschränkungen beim Adoptionsrecht homosexueller Lebenspartner - im Speziellen die Sukzessivadoption - für verfassungswidrig erklärt.
Sie stößt sich vor allem daran, dass der inzwischen 17-jährige Sohn in all den Jahren nie in den Prozess miteinbezogen wurde. Niemals wurde er nach seiner Meinung gefragt.
Die sogenannte Stiefkindadoption bezeichnet sie außerdem als begrifflich falsch. International gäbe es den Trend, dass Kinder in gleichgeschlechtliche Beziehungen hineingeboren werden, entweder durch Samenspende, Adoption oder Leihmutterschaft (sofern diese in den jeweiligen Ländern erlaubt sind). Hierbei haben die Kinder oft von Geburt aus nur einen leiblichen Elternteil, von Stiefkind könne hier nicht die Rede sein. Der englische Begriff "second parent adoption" wäre hier wesentlich zielführender, meint Schlachter-Delgado.

DPA / Uwe Zucchi
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek von der SPÖ freut sich unterdessen über das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs. Sie will eine völlige Gleichstellung für Regenbogenfamilien, scheiterte aber bisher an der Blockade der ÖVP. Diese hat erst gestern wieder einmal deutlich gemacht, dass sie von sich aus nicht vor hat, sich in der Causa Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Beziehungen auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
Nun aber lässt Justizministern Beatrix Karl (ÖVP) aufhorchen: Sie will als Reaktion auf des Urteil noch im Frühjahr die Adoption von Stiefkindern in homosexuellen Partnerschaften neu regeln. Das Urteil des EGMR solle noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden.