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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

8. 1. 2013 - 17:10

Where Are We Now?

Bemerkungen zu David Bowies Geburtstagsgeschenk.

Eine der unerwarteten Nebenerscheinungen der Internet-Ära ist, dass sie uns – rein popberichterstattungstechnisch – nicht mehr, sondern weniger Überraschungen gebracht hat. Aus Angst, im Modus des ständigen Überfliegens einfach überflogen zu werden, kündigt sich neue Musik, die eigentlich ohne physische Bremse von heute auf morgen erscheinen könnte, stattdessen immer länger an.

Wenn einem als Pop-Journalist noch was völlig Unvorhergesehenes unterkommt, dann ist es zumeist ein Nachruf. Und um ehrlich zu sein hat man sich bei David Bowie in den letzten zehn Jahren davor am meisten gefürchtet, bei all den Geschichten über seine Herzprobleme, die unvermeidlichen Folgen seines ungesunden Lebenswandels in den hyperaktiven Siebzigern.

Ich hörte „Where Are We Now?“ also zuerst in der Früh um halb acht in den Nachrichten. Zu Mittag, als Alexis Petridis' wie üblich unprätenziös schlaue Worte zum Song und seiner noch schlaueren Anti-Promotion erschienen, fiel mir beim Vorbeischauen auf dem Feed eines gewissen sozialen Netzwerks diese Meldung von Chris Duller auf:

„Hr. David Bowie: Man kann's mit Sentimentalität und Altersweinerlichkeit auch übertreiben. Wir wollen schließlich raufschauen auf Sie. Bis demnächst im Triest. Grusz.“

Vielleicht haben einige jüngere Semester hier noch nie von Chris Duller gehört, aber in den fernen Achtziger und Neunziger Jahren war der im Wiener Falter und auch in der Music Box ein ziemlich mächtiger Kritikergott, so wie es sie heute gar nicht mehr gibt, von sämtlichen Bands solange gehasst, bis er ihnen einmal ein paar Zeilen in seiner „Klingende Welt“-Kolumne widmete, und ab da von ebenjenen Bands umso inniger geliebt.
Zurecht, denn er kannte sich aus. Und tut das fraglos noch immer.

Ich jedenfalls fühlte mich von Chris Dullers Meldung in meiner eigenen Sentimentalität ertappt. Genau das, was er da kritisierte, nämlich Bowies offenes Spiel mit der Sehnsucht nach einer besseren oder bloß aufregenderen Vergangenheit, hielt mich am Nackenhaar gepackt, während ich das Video zum Song wieder und wieder anschaute und beobachtete, wie diese uns allen bekannten Lippen zwischen den Textzeilen in Altherrenmanier selbsttätig zucken.

Es ist dasselbe Gefühl der Sentimentalität, das meine Auswandererseele befällt, wenn ich dann und wann - zum Beispiel in oben erwähntem Netzwerk - auf ein altbekanntes, schon allzu lange nicht mehr in echt gesehenes Gesicht wie eben das von Chris Duller stoße und mir allerhand Versionen der Frage „Where are we now?“ in den Kopf schießen.

Chris Duller als Thin White Duke

Robert Rotifer

Chris Duller

Ein geradezu unheimlicher Nebenaspekt dieser Sache ist, dass Chris Duller schon am 21. Dezember auf ebenjenem sozialen Netzwerk ein neues Profilbild aufgezogen hatte: ausgerechnet eine Montage seines eigenen Antlitzes in den Covershot des „Heroes“-Albums aus dem Jahre 1977, des zweiten Teils Bowies bahnbrechender Berlin-Trilogie (nach „Low“, vor „Lodger“) .

David Bowies nächstes Albumcover

David Bowie

offenbar David Bowies nächstes Albumcover

Eine gewollt plumpe Adaption desselben Covers wird offenbar auch Bowies für März anberaumtes neues Album „The Next Day“ zieren.

Was Chris Duller und David Bowie also zuallermindest gemeinsam haben, ist dass sie in letzter Zeit an „Heroes“ gedacht haben. Wenn auch vielleicht aus verschiedenen Gründen.

In jedem Fall hat eine Selbstreferenz bei David Bowie immer noch eine andere Bedeutung als, sagen wir, bei den Stones, erscheint seine einstige glamouröse Überhöhung der heroischen, gleichzeitig unantastbaren und mit seinen Teenager-Fans untrennber verbündeten Figur des Popstars angesichts der Banalität seiner Epigonen im Nachhinein bloß noch utopischer und fantastischer - in etwa so wie die von ihm selbst auf dem Cover von „Hunky Dory“ verkörperte Marlene Dietrich damals auf ihn gewirkt haben mag.

Die andere Frage ist, ob es einem fraglos mit der eigenen Sterblichkeit konfrontierten 66-jährigen (alles Gute zum Geburtstag übrigens) nicht zugestanden werden darf, einen Song zur Jahr um Jahr dringender werdenden Kernfrage seiner Existenz zu schreiben.

„Walking the Dead“, die wiederholte Phrase vor dem Refrain, bleibt auch bei genauerer Betrachtung einigermaßen kryptisch.
Eine Abwandlung von „waking the dead“ und „the walking dead“ vielleicht? Eine Wortgruppe, die das Lebensherbstgefühl beschreibt, oder gar eine Rückschau auf das morbide Lebensgefühl des Berlin der bleichen späten Siebziger?

Tatsächlich zeigt Tony Ourslers Film zum Song Berlin nicht gerade unklischeehaft in jenem grobkörnigen bläulich getönten Archivbilder-Look, wie er gern zur Illustration von Fernsehdokus über den kalten Krieg verwendet wird.

Berlin ist hier die pure Westalgie, wie sie eigentlich nur Angelsachsen empfinden können. Ein Fetisch des Schreckens, in dem man noch direkt und buchstäblich an die Grenze gehen und sich dabei spüren konnte. Als man ganz genau wusste, wo man war. And where are we now?

Noch eine fast unheimliche kleine Geschichte, die mir dazu einfallen musste: Im Dezember hatte ich mich mit Pete Astor zusammengesetzt, einem britischen Songwriter, den ich sehr schätze. In den Achtzigern spielte er bei The Loft, dann bei den Weather Prophets.

Ich hatte gehört, dass Pete mit einer deutschen Mutter aufgewachsen war. Das Deutsche repräsentiert für ihn also Kindheits- und Jugenderinnerungen. Wir beschlossen, gemeinsam deutsche Songs zu schreiben, und das erste, was ihm zu unserem ersten Song einfiel, war eine Klischeegeschichte über Berlin, eine Wolf Biermann-artige Veteranenfigur, die heute, gealtert, vor ihrem Bier sitzt, und im Refrain immer wieder dieselbe Frage stellt: „Wo ist mein Traum?“

„Where are we now“ ist da inhaltlich erstaunlich nah dran.

Vielleicht ist diese Parallele doch nicht so unheimlich, sondern einfach ein Beispiel für David Bowies Geschick, zu singen, was seiner Publikumsgeneration auf der Zunge liegt.
As long as there's me. As long as there's you.

Wissen wir übrigens schon, wer die Frau neben Bowie ist? Bitte nicht "Björk" sagen, wir haben Augen.

Es hilft nichts, Bowies Song, den ich jetzt schon an die zwanzig Mal gehört haben muss, ist tatsächlich berührend, mitsamt dem schlabbrig schlonzigen Eighties-Schlagzeug- und Bass-Sound, nicht zuletzt in der Art, wie er seine Akkorde in unerwartete Richtungen verschiebt und dabei Erinnerungen an dasselbe Gefühl der Desorientierung erweckt, das einem dieselben kompositorischen Tricks schon vor langer Zeit einmal vermittelt haben.

Komm schon, Chris Duller. Es ist keine Schande. Heul mit.