Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Walk Out To Winter"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

10. 12. 2012 - 20:58

Walk Out To Winter

Wie mir meine kleine Sondersendung zum banalen Thema "Winterlieder ohne Weihnachtsbezug" ans Herz gewachsen ist.

Letzten Freitag (oder war's schon Donnerstag?) hab ich erfahren, dass Eva Umbauer diese Woche ihre Ausgabe von FM4 Heartbeat nicht machen können würde (Falls sich das in den letzten knapp 18 Jahren nicht herumgesprochen haben sollte, wir machen die Sendung im alternierenden Wochenrhythmus).

Sowieso wollte ich einspringen, Sendung machen will ich immer. Interview hatte ich aber nun keines bereit, und mit Neuerscheinungen schaut es vor Weihnachten immer mager aus. Aus Angst vor welchem Weihnachtsgeschäft, kann wohl keiner mehr sagen, aber gut, seit mindestens drei Wochen werfen alle schon ihre Jahresbestenlisten aus, da geht jede Neuveröffentlichung unter...
Aber ich komme vom Thema ab, das ich mir stattdessen nach der Methode Kopfschuss-und-schauen-was-danach-an-der-Wand-klebt zurechtgelegt hab.

Eine Spezialsendung von Winterliedern ohne Weihnachtsbezug sollte es werden. Vielleicht eine Gegenreaktion, weil man auch von Indie-Seite mit Xmas-Songs zugeschüttet wird heutzutage. Von Tracey Thorn über Sufjan Stevens bis Cornershop. Kann sein, dass ich selber schon bei solchen Aktionen mitgemacht hab, aber ehrlich, früher einmal hätt's sowas nicht gegeben.

Wenn The Seesaw in Salzburg jedes Jahr eine Weihnachtssingle machten, dann war das sowas wie eine exzentrische Brian Wilson-Referenz und, nein, den bewussten Pogues-Song hab ich auch nicht als so cool in Erinnerung, wie jetzt alle tun.

Also, absolut nichts gegen Weihnachtslieder, die haben ihren Platz und ihre Funktion (unter anderem, mich vor kindheitssehnsüchtiger Sentimentalität zu Tränen zu rühren), aber unsereins begriff seine Pop-Wahrnehmung grundsätzlich immer als Gegenposition, und Weihnachten passte da nicht rein.

Versteht man aus heutiger Sicht vielleicht nicht mehr, soll uns aber nicht weiter aufhalten. Denn meine Sendungsidee mit dem lachhaft banalen Thema hat sich schon bei der Suche nach passendem Material sofort verselbständigt.

Canterbury River Stour

Robert Rotifer

Am River Stour bei Canterbury, vorige Woche

Da war einmal die Idee, per Twitter meine sogenannten Followers zu fragen, was ihnen dazu so einfällt. Mark Hamilton („Snow“ von The Innocence Mission), Joe Lepper (Robyn Hitchcocks „Winter Love“ und einige mehr), Karin Koller (das vom nordkalifornischen Winterregen inspirierte „Journey Through The Past“ von Neil Young und viele, viele mehr), ihr wart besonders hilfreich, danke!

Der erste Song, der mir spontan einfiel, war Madresfield von The Lilac Time, eines von Stephen Duffys Meisterwerken.

Pavilion in Winter
The turnstile's getting colder
The cricket ground is empty
And Madresfield is sleepy
Sleep beneath the snow

Der verschneite Cricket-Platz ist die beste vorstellbare Metapher für den Winter, wie er sich in England anfühlt, einem Land, das nicht dazu gemacht ist, Schnee zu tragen - siehe auch Laura Marlings nicht ganz unverwandtes Goodbye England.

Und dann fiel mir wieder ein anderer großer Songautor aus derselben Generation wie Duffy, nämlich Roddy Frame mit seinen Aztec Camera und Walk out to Winter ein: Der Winter als politisches Sinnbild. Der Aufruf, sich dem kalten gesellschaftlichen Klima der Achtziger Jahre zu stellen.

Ganz eine andere Assoziation war The Little Pot Stove, Nic Jones' Interpretation des Walfänger-Lieds von Harry Robertson („Wee Dark Engine Room“) über den kleinen Ofen, der die Seeleute im bitterkalten schottischen Winter warm hält.

Where the winter blizzards blow and the whaling fleet's at rest
Tacked in Leith harbour's sheltered bay safely anchored ten abreast
For there's the whalemen at their stations as to ship to ship they rove
Carry bags of coal with them and a little iron stove

Ein anderer Name, auf den mich Joe Lepper brachte, war der von Vashti Bunyan, auf deren Frühwerks-Compilations „Some Things Just Stick In Your Mind“ sich gleich vier große Winterlieder finden, bei denen man heute noch die Kälte durch die Ritzen der Schiebefenster kriechen spürt, während steif gefrorene Finger sich an den eiskalten Gitarrenhals klammern:

Girl's Song In Winter
If in Winter
Winter Is Blue
und
Coldest Night of the Year, erschienen als Duett mit Twice As Much.

Bezeichnend übrigens, dass die junge Songwriterin die für diese Compilation aufgenommenen Demos 1964 aufnahm, dem Jahr nach dem berüchtigt härtesten und schneereichsten Winter, den Großbritannien seit langer Zeit erlebt hatte.

Natürlich hab ich zwischendurch auch in den Musik-Files auf meiner Festplatte nach Wörtern wie „winter“ oder „snow“ gesucht, was mir zuerst wie Schummelei vorkam, dann aber längst aus meinem Gedächtnis gekippte Schätze wie „Dead In The Snow“ von Banjo or Freakout oder Winter von The Loft zutage förderte.

Am Ende trieb mich dann noch der Instinkt in Richtung Plattenregal. Ich dachte mir: Scott Walker, da gab's doch was. Genau, Winter Night aus „Scott 3“.

Nach derselben Methode stolperte ich über „Winter on Victoria Street“ von The Clientele und „Cold Swedish Winter“ von Jens Lekman.

Weil ich mich beim Winterlied aller Winterlieder „Girl From The North Country“ nicht zwischen Dylans Original und seinem Duett mit Johnny Cash entscheiden konnte, landete ich stattdessen bei der Cover-Version von Mojave 3.

Und dank Ernesty International fand ich mit „The Smell of Dogshit in Early December“ auch noch einen zentraleuropäischen Zugang.

Natürlich ist diese Story als Einladung zu verstehen, hier all die Dinge dazu zu schreiben, die ich in meiner Dummheit vergessen oder verschmäht hab.

FM4 zum Nachhören:
Für 7 Tage auf fm4.orf.at/ondemand

Die Youtube-Links sind selbstverständlich nur zum Reinhören gedacht. Besser zu hören sind die Songs in meiner Sendung, entweder live, jetzt wo ich diesen Blog poste, oder ab morgen, Dienstagnachmittag für eine Woche per Stream auf dieser Website.

Hier die Playlist der Sendung:

artist song label
Aztec Camera Walk Out To Winter Warner
The Lilac Time Madresfield Creation
The Innocence Mission Snow Kneeling Elephant/RCA
Vashti Bunyan Girl's Song In Winter Fatcat
Guided By Voices Doughnut for a Snowman Fire Records
Broadcast Winter Now Warp!
Neil Young Journey Through The Past (live at Massey Hall 1971) Reprise
Robyn Hitchcock Winter Love Sequel
Belle and Sebastian The Fox In The Snow Jeepster
The Dismemberment Plan Spider In The Snow De Soto
Nic Jones The Little Pot Stove Topic
Laura Marling Goodbye England (Covered In Snow) Virgin/EMI
Vashti Bunyan Winter Is Blue Fatcat
Jens Lekman The Cold Swedish Winter Secretly Canadian
Ernesty International The Smell of Dogshit in Early December EMG
Darren Hayman & The Secondary Modern Winter Makes Me Want You More Fortuna Pop!
The Kinks End of the Season Universal
The Bitter Springs Dark Force in the Winter Time Dishy Records
The Clientele Winter on Victoria Street Pointy Records
British Sea Power Victorian Ice Rough Trade
Teenage Fanclub December Creation
Folk Implosion Winter's Day Communion
Vashti Bunyan If In Winter (100 Lovers) Fatcat
The Loft Winter Creation
The Dodos Winter Universal
Ralegh Long & The Primary Three Winter From Here On In RaleghLong.bandcamp
Scott Walker Winter Night Mercury
Bat For Lashes Winter Fields EMI Parlophone
Vashti and Twice As Much Coldest Night of the Year Fatcat
Mojave 3 Girl From The North Country 4AD