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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

1. 12. 2012 - 11:15

Das charmante Gesicht der Bigotterie

Die UK Independence Party sieht sich seit vergangenem Donnerstag nicht ohne Grund als die "dritte Kraft" im Land. Mir kommt das bekannt vor.

„Kick them in the ballot box“ wird als einer der weniger subtilen Slogans in die Geschichte der britischen Demokratie eingehen. Immerhin fuhr die Kandidatin Jane Collins mit diesem markigen Wortspiel („Kick them in the bollocks“ - „Tritt sie in die Eier“) 22 Prozent der Stimmen in einem nordenglischen Wahlkreis ein.

UKIP, die United Kingdom Independence Party, sei nun „die dritte Kraft“ im Lande, sagte Collins' Parteichef Nigel Farage gestern. Seine Partei hatte in den drei By-elections* von Rotherham, Middlesbrough und Croydon North die in Westminster mit den Konservativen regierenden Liberaldemokraten weit hinter sich gelassen, ja in ersteren beiden Wahlkreisen sogar die Konservativen geschlagen.

* By-elections sind Unterhauswsahlen in einzelnen Wahlkreisen, die abgehalten werden, wenn einE AbgeordneteR während einer Legislaturperiode zurücktritt oder stirbt.

Die in allen drei Wahlkreisen dominante Labour Party hatte ebenfalls – zum Teil sehr stark – zugelegt, die LibDems und Konservativen überall jenseits der zehn Prozent verloren (mit Ausnahme Croydons, da verloren die Tories nur sieben Prozent.

Wahlwerbung der UKIP

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Wahlwerbung der UKIP

Wahlen dieser Art leiden üblicherweise an niedriger Wahlbeteiligung und ziehen Proteststimmen gegen die jeweilige Regierung an. Man nennt das dann „Midterm Blues“. Wenn die Libdems in Rotherham diesmal an achter Stelle landeten, und zwar mit zwei Prozent, einem bloßen Achtel ihrer 2010 erzielten Stimmen, darf man die Niederlage aber schon als vernichtend bezeichnen.

Das Ergebnis in Rotherham verdient überhaupt eine nähere Betrachtung: Neben Labours 46 Prozent und der viertplatzierten Linkspartei Respect halten die Rechtsaußenparteien, wenn man UKIP, die British National Party und die English Democrats zusammenzählt, insgesamt ein Drittel der Stimmen.

Infolge des Mehrheitswahlrechts hat UKIP auch nach diesem Wahldonnerstag noch keinen einzigen Abgeordneten im Unterhaus. Farages Aussage von der "dritten Kraft" hat trotzdem Berechtigung. Seine Partei war bisher ein One-Trick-Pony mit guten Ergebnissen bei Europawahlen – bei den letzten waren sie zweite – gewesen.

Wenn eine Partei ein Pfund-Zeichen als Emblem trägt, braucht man nicht lange zu erklären, wie ihre Europa-Politik aussieht. Die bis auf Channel 4 News, Guardian und Independent grundsätzlich europhobe Medienlandschaft (die BBC darf man da ruhig mitzählen) hat das ihre dazu beigetragen, dass sich heutzutage 54% der britischen Bevölkerung für einen sofortigen EU-Austritt aussprechen.

Angesichts der beharrlichen Nichterwähnung von EU-Förderungen für Britanniens verarmte Gegenden und ländliche Aristokratie (Agrarförderung scheint nach hiesiger Darstellung nur Franzosen zugute zu kommen), sowie der systematischen Vermengung von EU, Eurozone (offenbar schuld an der britischen Krise) und europäischem Gerichtshof (laut britischen Medien vor allem zum Schutz der Menschenrechte Krimineller da) im verächtlich ausgespuckten Feindeswort „Europe“ verwundert eher, dass der Prozentsatz nicht höher liegt.

In dieser patriotischen Mission verwendet insbesondere die BBC Nigel Farage als Anheizer in diversen Panel-Shows, von der quasi-seriösen Question Time bis zum Satire-Quiz Have I Got News For You. Der Mann hat immer einen frischen Haarschnitt, trägt gute Anzüge und könnte fast als Gentleman durchgehen, wenn in Momenten erhöhten Eifers nicht immer sein Unterkiefer in seinem Kinn verschwinden und seine Augen vorne und seitlich aus seinem angriffslustig nach vorne geneigten Schädel treten würden.

Farage hat was Charmantes, manchmal durchaus was Witziges, und vor allem ist er – wie Jon Ronson es in seinem lesenswerten Buch The Psychopath Test nennt – „the right kind of mad“ fürs Fernsehen. Aber er ist auch ein bigotter, in der Blindheit des eigenen Nationalwahns gefangener Turbo-Thatcherist (Zitat John Harris).

Seine ständige mediale Präsenz hat diesen komischen Patrizier zu einem Kämpfer wider das Establishments stilisiert, und in Farages Windschatten lädt die BBC neuerdings auch einen anderen glatzköpfigen UKIP-Aktivisten immer wieder zu Diskussionen ein, dessen Namen ich mich weigere im Gedächtnis zu behalten, weil er gar so deprimierend homophobe und Law-and-Order-geile Volksweisheiten von sich zu geben pflegt.

Laut einer Ipsos-MORI-Umfrage geben 49 Prozent der UKIP-WählerInnen übrigens ihre Besorgnis über zuviel Einwanderung als wichtigsten Grund ihrer Wahlentscheidung an (nur 20 Prozent berufen sich auf ihre Euroskepsis).

In Wahrheit ist UKIP nichts anderes als das gesellschaftsfähige Gesicht des fremdenfeindlichen rechten Rands, das der britischen Öffentlichkeit erlaubt, sich in der Illusion zu wähnen, es gäbe keinen Extremismus im politischen Mainstream.

Eine der großen Stories vor der Wahl in Rotherham war die Entscheidung der dortigen Gemeindeverwaltung, Pflegeeltern die von ihnen betreuten osteuropäischen Kinder zu entziehen, weil diese Pflegeeltern UKIP-Mitglieder sind. Wie sich jetzt – natürlich erst nach den Wahlen – herausstellt, waren die Hintergründe dieser Entscheidung wesentlich komplexer. Aber im Tenor der Entrüstung über diese politische Diskriminierung war wenig Bewusstsein zu bemerken, wie bedenklich xenophob UKIP (und auch ein großer Teil des britischen Medienkonsens) tatsächlich sind.

Vielleicht fällt es meinesgleichen ja auch nur besonders stark auf, weil mir all das das von meiner Geburtsheimat her irgendwie bekannt vorkommt.