Erstellt am: 8. 11. 2012 - 22:03 Uhr
Krise erreicht die US-Rüstungsindustrie
Die Warnungen vor einem bevorstehenden Konjunktureinbruch auf dem Rüstungssektor höre man nun schon seit Jahren, schreibt John Keller, Herausgeber der Fachzeitschrift Military & Aerospace, in seinem Editorial. Der Start ins Fiskaljahr 2013, das am 1. Oktober begonnen hat, habe "keine Zweifel mehr darüber gelassen, dass die schweren Zeiten nicht mehr vor der Tür stehen. Sie sind da."
Update
Nach Börsenschluss in den USA Donnerstag 22.30 MEZ wurden einzelne Absätze dem Geschehen angepasst.
Am Mittwoch verzeichneten die Aktien aller großen US-Rüstungskonzerne, an denen die Finanz- und Wirtschaftskrise bis dato spurlos vorübergegangen war, an den Börsen deutlich höhere Verluste als die Börsenindizes. Am Donnerstag ging es weiterhin bergab, nur Boeing konnte zulegen.
Die Erklärung des Unternehmens vom Mittwoch, 30 Prozent der Managementjobs in seiner Rüstungssparte einzusparen, steht dabei in ursächlichem Zusammenhang. Boeing ist vom Umsatz her halb zivil und halb militärisch aufgestellt, alle anderen großen Rüstungsfirmen liefern fast ausschließlich an Militärs.
Bei diesen Einschnitten wird es nicht bleiben.

DAMIEN A. GUARNIERI / HANDOUT
Das Ende von 20 Jahren Wachstum
Am Donnerstag kündigte der wiedergewählte Präsident Barack Obama denn auch erhebliche Kürzungen im Verteidigungsbudget an. Derzeit sind Einsparungen von etwa 500 Milliarden Dollar für die nächsten zehn Jahre auf dem Tisch, doch die Analysten schließen eine doppelt so hohe Summe nicht mehr aus.
Sollten wegen des politischen Patts in den USA mit Jahresende die automatischen Budgetkürzungen in Kraft treten, werden unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen mit den Republikanern 2013 Abstriche in der Höhe von 50 Milliarden Dollar gemacht. Das entspricht in etwa den geplanten jährlichen Kürzungen Obamas, läuft aber quer durch die Projekte ab, sehr zur Nervosität der Militärs (siehe unten).
Die letzten vergleichbaren Kürzungen des Militärbudgets datieren fast 20 Jahre zurück, nämlich in die erste Präsidentschaft Bill Clintons, nach dem Ende das Kalten Krieges mit der Sowjetunion.
Konjunkturzyklen der Rüstungsindustrie
Der vom Finanzsektor ausgelöste schwere Wirtschaftseinbruch von 2008 war bis jetzt an der Rüstungsindustrie spurlos vorbeigegangen. Die großen der Branche wie Raytheon, Northrop, SAIC und Co. fuhren trotz allgemeiner Krise Jahr für Jahr steigende Umsätze und kräftige Gewinne ein.
Die letztlich geplatzte Fusion der britischen BAE-Systems mit dem europäischen Rüstungskonzern EADS hätte für beide Unternehmen Sinn gehabt. Anders als EADS ist BAE rein militärisch ausgerichtet, ein Großteil ihrer Umsätze kommt aus den USA. Durch den Zusammenschluss mit der vorwiegend zivil ausgerichteten EADS würde BAE die US-Budgetkürzungen besser überstehen, so das Kalkül der Briten. EADS wiederum wäre auf einen Schlag der größte ausländische Militärzulieferer der USA geworden. Genau deswegen aber war der Deal geplatzt.
An sich ist das nicht ungewöhnlich, weil die Konjunkturzyklen im Rüstungsbereich generell anders verlaufen als in der zivilen Wirtschaft. Die Attentate vom 11. September 2001 hatten einen beispiellosen Schub an neuen Aufträgen gebracht, ein großer Teil der nun nach und nach auslaufenden Aufträge an die Militärausrüster stammt noch aus der Ära George W. Bush.
Der Einbruch
Die Rüstungsprogramme werden vom Pentagon für mehrjährige Perioden vergeben. Im Regelfall - und ganz besonders im Hightech-Sektor - bekommt der ursprüngliche "Contractor" dann auch die Folgeaufträge.
Doch von diesen Projekten sind offenbar einige sehr bedeutende gleichzeitig ausgelaufen. Was neu vergeben werde, diene ausschließlich der Aufrechterhaltung bestehender Systeme, klagt Keller, ein so abrupter Einbruch der Branche sei ihm nicht erinnerlich.
Nervöse Militärs
Die US-Militärs waren schon vor der Wahl nervös, weil sich jenes politische Szenario abzeichnete, das eine Prolongierung des politischen Patts garantierte. Barack Obama ist wieder Präsident, die Demokraten können ihre Mehrheit im Senat halten, die Republikaner stellen erneut die Mehrheit im Repräsentantenhaus.
Dort aber blockieren sie seit Monaten das Budget für die kommenden Jahre, vor allem wegen der darin enthaltenen Anhebung des Spitzensteuersatzes für Superreiche.
Drohende "Sequestration"
Sollte das Patt bestehen bleiben, dann tritt mit Jahresende die "Sequestration" in Kraft, eine automatische Budgetkürzung quer durch alle Ministerialbudgets von zehn Prozent pro Jahr.
Davon betroffen wäre auch das Budget des Verteidigungsministeriums. Dort hat man bei den heuer noch verfügbaren Ausgaben schon die Reißleine gezogen. Wie das Fachmagazin "Defense Systems" meldet, hatte die Führungsspitze der US Army bereits am 17. Oktober alle Abteilungen angewiesen, die Mitwirkung der Army an sämtlichen Konferenzen bis zum Jahresende ad hoc abzusagen, so diese nicht vom Verteidigungsministerium selbst veranstaltet werden.
Einstürzende Sparpläne
Tritt die "Sequestration" am 2. Jänner 2013 in Kraft, werden so ziemlich alle bereits erarbeiteten Einѕparpläne der Militärs über den Haufen geworfen. Deren Budget würde 2013 so auf einen Schlag um 50 bis 60 Milliarden Dollar geringer ausfallen, was sich auf längst vergebene Aufträge auswirken würde.
Das wiederum würde die riesige und dementsprechend schwerfällige US-Rüstungsmaschinerie unweigerlich ins Stottern bringen.
Allein im Bereich der militärischen Luftfahrt seien USA-weit zwei Millionen Jobs betroffen, orakelte der Fachverband der Aerospace Industries der USA. Seit der Wiederwahl Obamas gehen die Analysten mehrheitlich davon aus, dass der gesamten Rüstungsindustrie magere Jahre und eine längere Konѕolidierungsphase bevorstehen.
Drohnen, Sensoren, Cyberwar
Von der Technologie her sind nur drei Sektoren auszumachen, in die deutlich mehr Geld fließt als zuvor. Das sind Sensoren, unbemannte Flieger und der Cyberwar-Komplex. Die Finanzierung dieser drei Bereiche macht allerdings nur einen winzigen Bruchteil des US-Militärbudgets aus.
Der teuerste Faktor bei Drohnen sind zudem nicht Fluggerät und Steuertechnik, sondern Ausbildung des Personals und Aufrechterhaltung der Flugbereitschaft. Je nach Fliegertyp sind bis zu zwei Dutzend Piloten, Analytiker und Mechaniker rund um die Uhr erforderlich. Auch bei Sensoren ist an der Hardware immer weniger zu verdienen, denn hier sind die Militärs bei der Entwicklung längst nicht mehr allein.
Bei Auslieferung veraltet
Die letzten paar Schübe an Innovationen - gleichzeitige Miniaturisierung und Leistungssteigerung - kommen nämlich aus der zivilen Mobilfunkindustrie. Von Gyroskop-Stabilisatoren bis zu hochauflösenden Kameras steckt inzwischen jede Menge weiterentwickelte und miniaturisierte Militärsensorik in den zivilen Smartphones.
Wie schnell diese Entwicklung vor sich geht, ist am aktuellen Projekt "P-8A Poseidon" von Boeing abzusehen. Diese militärische Variante der Boeing 737 für "elektronische Kriegsführung" wurde erst 2010 offiziell ins Rüstungsprogramm aufgenommen, 2013 soll die erste Tranche ausgeliefert werden. Doch bei allen Fliegern muss davor eine nicht näher spezifizierte Anzahl von Sensoren ausgetauscht werden, denn in diese kurze Zeitspanne fiel ein Sprung in der Entwicklung.
Gute Nachricht, schlechte Nachricht
Auch nach den Kürzungen sei das US-Militärbudget insgesamt noch größer als jene der zehn Staaten dahinter, hieß es von Präsident Obama. Das ist nur vordergründig eine gute Nachricht für seine Landsleute. Daran ist nämlich abzulesen, dass die US-Volkswirtschaft weitaus stärker von der Rüstungsindustrie abhängt, als alle anderen Staaten mit weit geringeren Militärbudgets.