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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

20. 10. 2012 - 11:24

Ich will aber grade vom Leben singen

Claire Waldoff zum 128. Geburtstag

An diesem Sonntag wäre Claire Waldoff 128 Jahre alt geworden. Von 1907 bis 1935 war sie der Star der großen Berliner Kabaretts und Varietés, ihre Lieder waren Gassenhauer, wurden auf der Straße gesungen: "Hermann heeßt er!", "Wer schmeißt denn da mit Lehm?", "Raus mit den Männern aus dem Reichstag" oder "Warum liebt der Wladimir jrade mir?"

Claire Waldoff mit Mütze auf

Christiane Roesinger

Sie gilt auch heute noch als ein Berliner Orignal, eine echte Berliner Göre und war insofern auch eine typische Berlinerin, als sie gar nicht aus Berlin stammte. Geboren wurde Claire Waldoff nämlich am 21. Oktober 1884 in Gelsenkirchen als Tochter eines ehemaligen Bergmanns und Schankwirts und seiner Gattin. Das Besondere an Claire Waldoff waren aber nicht nur ihre Stimme und ihre Lieder, sondern dass sie schon vor den so genannten "Goldenen Zwanzigern" ein queeres Leben in Berlin führte. Sie nahm sich alle Freiheiten, die ihr in den Sinn kamen, rauchte Pfeife und Zigarre, liebte Nordhäuser Korn, fluchte wie ein Müllkutscher und lebte offen lesbisch. Auch eine Affäre mit Marlene Dietrich wird ihr nachgesagt, die beiden traten zusammen auf, als die Dietrich noch ganz unbekannt war. Auf der Bühne konzentrierte sich Claire Waldoff ganz auf die Mimik und die Augen und war mit ihrer kratzigen Stimme und den sparsamen Gesten ganz anders als die Chansonetten und Diseusen der Zeit, und sich dieser Einzigartigkeit auch bewusst.

Claire Waldoff 1918

Bundesarchiv, Bild 183-R18067 / CC-BY-SA

Claire Waldoff 1918

"Die meisten der Kolleginnen trugen süßlich-kitschige, verlogene Sächelchen vor und bemühten sich, so süß wie nur möglich auszusehen. Mir behagte diese Zuckerwarenkost nicht. Gerade jedoch aus diesem Grunde konnte ich mir am Kabarett eine Sonderstellung verschaffen", schreibt sie in ihrer Biographie. Claire Waldoff stand mit Schlips und Kragen auf der Bühne und hatte deswegen Ärger mit der Obrigkeit. Die befand, dass Frauen im Herrenanzug auf der Bühne nach 23 Uhr wegen Unsittlichkeit nichts zu suchen hätten. Aber das bürgerliche Publikum lag der frechen "Balina Jöre" ebenso zu Füßen wie das proletarische Berlin. Sie hatte eben wie keine andere den Ton getroffen hatte, der die Menschen erreichte, weil sie "gerade vom Leben singen wollte" - von den Sorgen und Nöten, von den Freuden und Verwicklungen, die das Leben so mit sich bringt. Ihr großer Hit "Hermann heest er" wurde vom Volksmund zur Veräpplung des letzten preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring umgetextet:

Rechts Lametta, links Lametta/
und der Bauch wird immer fetta/
und in Preußen ist er Meester -
Hermann heeßt er!"

In der Nazizeit folgten Schikanen, Verhaftungen und Auftrittsverbote. Claire Waldoff entsprach so gar nicht dem Nazi-Bild der deutschen Frau, hatte sich außerdem bei der kommunistischen Roten Hilfe engagiert und trieb sich in den einschlägigen Berliner Lokalen und Damenklubs herum. Außerdem fehlte ihren Liedern alles Völkische und Rassistische. Zunächst schützte sie ihre große Popularität vor der Verfolgung. 1936 aber knickte ihre Karriere ein. Propagandaminister Goebbels verbot ihr, in der Berliner Scala zu gastieren. Nach Kriegsausbruch verließ sie Berlin und zog mit ihrer Freundin nach Bayern, wo sie bis zu ihrem Tod 1975 mit dieser lebte.

Plattencover Claire Waldoff

Christiane Roesinger

"Ich will aber grade vom Leben singen" Eine musikalische Biografie von und mit Sigrid Grajek & Stefanie Rediske (Piano) kann man am am 8. November im Liebhartstaler Bockkeller in Wien live erleben

In Berlin wird der krumme Geburtstag dieses Jahr nicht groß gefeiert. Hier sind zwei Straßen nach Claire Waldoff benannt und ihre Bronzebüste steht vor der Kleinen Revue des Friedrichstadtpalastes. Aber die Schauspielerin Sigrid Grajek (dem Berliner Publikum auch als Comedy-Figur "Coco Lorès" bekannt) lässt Claire Waldoff und ihre Lieder wieder auferstehen. Für Grajek ist Waldoff die "Urmutter aller Kabarettistinnen".

Deshalb spielt sie mit ihrer Pianistin Stefanie Rediske zur Ehrung und Erinnerung an Claire Waldoff das Programm "Ich will aber gerade vom Leben singen". Dabei schlüpft sie in die Figur Claire Waldoff um singend, spielend und sprechend die Zeit und das Leben von Claire lebendig werden zu lassen. Und sie tut das ohne Übertreibung und Anbiederung an Alt-Berliner Volkstümlichkeit wie man es aus Touristen-Programmen kennt. Sigrid Grajek steht als Claires Version 2012 auf der Bühne: Im Herrenanzug, burschikos, queer und singt die alten Gassenhauer mit großer Akuratesse und gehörig Schalk im Nacken.