Erstellt am: 13. 10. 2012 - 16:58 Uhr
Limitlose Liebe

Electronic Beats
Es ist ein sehr dichtes Programm, man kann sagen ein besonders speziell gutes dieses Jahr, das das Electronic Beats Festival da in der Arena veranstaltet. Die Nacht beginnt früh und wird lang sein, der Zeitplan ist dementsprechend strikt. Das Verständnis, wie man einen sogenannten funktionierenden, also perfekt ausgetüftelten und aufgebauten Popsong macht, haben die guten Menschen von Her Voice Over Boys, HVOB sagt der Fachmann, lange in erfolgreicher Pop-Rock-Vergangenheit erlangt; nun war es für sie an der Zeit, diese Kenntnisse für den elektronischen Tanzclub umzuwandeln. Ein Sound, bei dem es keiner leuchtenden Glaskugel bedarf, um ihm eine Zukunft auf großen Bühnen zu prophezeien; schon bei der Live-Premiere wurde mit einem viel gefeierten Slot am Melt! Festival nicht geklotzt. Fluffige Harmonien, ein straighter Techhouse-Beat mit Extraknackigkeit vom Live-Schlagzeug und der Gesang der bezaubernden Anna Müller, was hier alles stimmt, hat auch bereits Oliver Koletzki für sein Label Stil vor Talent erkannt. Die Weltclubtour wartet just around the corner, das ist gut und gerecht.

Doron Nadav
I heart Sharks

Electronic Beats
Es folgt die Berliner Synthiepopband I heart Sharks, der Timetable wird noch immer auf die Sekunde genau eingehalten, man kann auch die Uhr danach stellen. Es gibt Rauch und Konfetti und drei sympathische junge Männer mit einer Handvoll Songs, die man, selbst wenn man sie vielleicht nicht kennt, ebensogut kennen könnte, das heißt sie sind ziemlich funky und ohrwurmtauglich. Ein Tanzspaß, außerdem füllt sich die Halle, denn das Stagepiano von James Blake steht schon bereit.
The James Blake
Als das Wummern einsetzt, gerät man möglicherweise kurz ins Wanken. Die erste Nummer des Sets ist neu, ein minutenlanges Instrumental, sie bleibt einer der wenigen Blicke, die man auf das, was da in Form eines zweiten Albums in angeblich nicht allzu ferner Zukunft auf uns zukommt, erhaschen darf. Die Richtung stimmt jedenfalls sehr, und wenn James Blake heute seine Feist-Coverversion – ist sie ihm neben Segen schon Fluch? – "Limit to your love" spielt, dann bläst er sie auf, dehnt und zerrt sie gemeinsam mit seiner Band aus Gitarristen/Effektmaschinenmenschen und sehr gutem Drummer und lässt sie gegen Ende zu einem krautigen Monster anwachsen. Der Drummer von James Blake ist sehr gut.
Hat nichts mit dem Abend zu tun, ist aber ein sehr gutes neues Lied von James Blakes Alter Ego Harmonimix: das hier.
Als James Blake vor zwei Jahren breitenwirksam die Mauern zwischen Bassgewalt und Empfindsamkeit, Clubmusik und Popsongwritertum niedergerissen und allseitige Aufmerksamkeit geschaffen hat für Heerscharen an ähnlich gesinnten Elektronik-Denkern von Jamie Woon bis Nicolas Jaar, um nur zwei der im breiten Popverständnis weitläufig wahrgenommenen Beispiele zu nennen, konnte man an ihm ein weit verbreitetes Phänomen der Popkultur beobachten. Der Sound, der ihn nach einer Handvoll sehr, sehr guter Post-Dubstep-Tracks bis zum Jahr 2010, in Form von Limit to your Love und der Klavierwerke-EP berühmt gemacht hatte, war so erfolgreich, dass ihm beim Erscheinen des selbstbetitelten Debütalbums bereits erste Abnützungserscheinungen attestiert wurden. Wer den Hype hat braucht früher oder später für das ironisch-abgeklärte Lächeln der Bloggerwelt nicht zu sorgen, das ist klar; umso besser ist es, wenn man sich ab und zu selbst davon überzeugt, was James Blake da so genau alles richtig macht mit seiner Musik.

Electronic Beats
Da sind natürlich all diese Harmonien, die einem ins Herz schneiden, da braucht man gar nicht die Augen verdrehen, aber da sind auch jene Töne, die zu den Grundakkorden hinzukommen und vor allem jene, die ihnen fehlen, da ist der spezifische Vocoder, der dem Gesang Doppelt- und Dreifachwirkung verleiht und die Tonalität in leichter Schräglage lässt. Es sind so viele Zwischenstufen, denen hier die liebevollste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es gibt auch Lindesfarne II, Cmyk oder To Care Like You in eher klassischer Ausführung, und auch das heißt im Falle James Blake ja schon so einiges, es gibt leider keine Joni Mitchell-Coverversion zum Schlucken und Traurigwerden, aber es gibt Scheinwerfer, die bei "Wilhelm Scream" zum Abschluss wie Sonnenstrahlen von der Decke glitzern. Am Ende ist Rauschen.
Was da noch alles kommt heute! Aus einer geheimen Ecke heraus legt zwischen den Konzerten Wolfram Musik auf. In the air tonight ist ein gutes Lied. Ein paar Leute twittern noch darüber, dann setzt sich Squarepusher schon den Lichterhelm auf.

Electronic Beats
Über die Liveshow des Briten wurde auf diesen Seiten ja vor nicht allzu langer Zeit bereits so einiges gemeint und passiert ist nicht viel anderes. Den Helm, ein LED-Helm vor einer LED-Wand mit Spiralen drauf, stülpt sich der Squarepusher vors Gesicht, macht dann aber trotzdem so menschliche Bewegungen, Leute anfeuern, Breaks mit den Händen darstellen und sowas, dass die Verwandlung zur Menschmaschine, oder was sonst immer für eine Idee hinter dem Lichtkonzept steckt, nicht ganz gelingen will. Die Musik ist natürlich trotzdem genau das, was sie sein soll, hochkomplex, brachial und eindrucksvoll, und in den starken Bass der großen Arenahalle kann man sich hineinfallen lassen wie in ein reinigendes Feuer. Es tut auch weh.
Edit: Es war HudMos eigener Björk-Remix von "Virus", der nächsten Monat auf der Remix-Compilation "Bastards" erscheint.
Hudson Mohawke beginnt mit einer Nummer von Björk, das ist ja nicht nur nie verkehrt, es ist sogar ein Wahnsinn. Man sollte mehr Björk hören. Hudson Mohawke, schon wieder so ein unverschämt junger Brite, ist, das ist ja nun wirklich kein großes Geheimnis, verantwortlich für so ziemlich ein paar der spannendsten Dinge, die in der aktuellen Tanzmusik passieren. Sein Set ist ein Feuerwerk aus Kanye West und Ravesirenen, harten Cuts und Breaks zwischen seinen eigenen Tracks und Sprengkörpern wie diesem seines gemeinsam mit Lunice ins Leben gerufenen Superprojekts TNGHT. Es gibt keine Grenzen mehr.