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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

2. 10. 2012 - 12:48

Die Thermodynamik des Bombast-Rock

Das sechste Album "The 2nd Law" der englischen Epic-Rocker Muse macht Gesellschaftskritik, musikalischen Witz und kindliche Experimentierfreude hörbar.

Viel ist schon über das neue Muse-Album spekuliert und geredet worden. Es hieß, es solle elektronischer werden, ein Album mit filmmusikalischen Orchestereinflüssen, ein Bruch in oder zumindest ein Schlussstrich unter den bisherigen Sound der englischen Band.

Als ersten Eindruck vom Album des Stadionrock-Trios um Sänger und Songschreiber Matthew Bellamy hörte man dann die eher furchteinflößende Single "Survival", das offizielle Lied der Londoner Olympiade 2012. Und die ist ja, meiner Meinung nach, sehr in die Hose gegangen. Eine überbordend-schmalzige Metallerhymne, mit Unwohl auslösenden und harmonisch grauenhaften Chorgesängen.

Umso verblüffter war ich, dass der sechste Studiostreich der Engländer "The 2nd Law" dann doch noch ein Album geworden ist, das mich auf höchst humoriger Art und Weise unterhalten und überrascht hat.

Zwischen elektronischer Führungsebene...

Muse live in Österreich:

Das zerstückelte und erfrischend geloopte Mä...Mä...Mä...Mä...Mä..., mit dem die zweiten Single "Madness" beginnt, unter der ein frech-knarziger Elektrobass und ein trockener Drumcomputerbeat gemischt wird, nimmt einen gleich gefangen. Und auch schon in den ersten Backgroundchor-Auswüchsen lassen Muse ihre Queen-Vorliebe durchblicken, die sich als rote Referenzlinie durch das ganze Album zieht. Auch die kurzen Soli wirken wie schüchterne Liebesbeweise an Brian May, die jedoch bald von einer im Refrain sauber dahinswingenden Indie-Gitarre abgelöst werden. Das alles passiert auf einem sehr geschmackvollen Level, wobei Matthew Bellamy sich - wie schon bei der Single "Undisclosed Desires" des Vorgängeralbums - für seine Verhältnisse angenehm zurückhält mit seinen schwindelerregenden Gesangstonhöhen, die durch den allzu offensichtlich leidenden Ausdruck mit der Zeit die Nerven strapazieren.

Bandfoto Muse

Warner Music Group

Diese digitale Frischzellenkur tut auch dem Track "Follow Me" gut, für den sich die englischen Rocker den Sänger und Produzenten der ebenfalls englischen Band Nero an Bord geholt haben. Die riesengroße Geste, ohne die Muse wohl nie auskommen werden und die diese Band auch maßgeblich bestimmt, wird in Kontrast zu einem verzerrten, Dubstep-ähnlichen Klangteppich gesetzt. Amüsanter sind da der trockene Beat und der geslapte Bass von "Panic Station", einer Nummer die vor Funk nur so sprüht. Da funkelt kurz ein cleanes Gitarrenriff, das an 1980iger David-Bowie-Songs erinnert und wenn Matthew Bellamy dann seine hohen Gesangslinien richtig abgehackt intoniert, kommt einen der junge Prince in den Sinn. Die soulige Komponente des Stücks dürfte vor allem von den Studiomusikern gekommen sein, die auch schon für Stevie Wonders "Superstition" in die Blechinstrumente geblasen haben.

Im Gegensatz zu den meist auf verzerrtem Anschlag und für maximale Lautstärke produzierten Songs findet sich mit "Animals" ein hastiges, balladeskes Stück auf "The 2nd Law", das erst gegen Ende mit einem dezenten Gitarrensolo-Part ein wenig der Rockgeste frönt. Das darauffolgende "Explorers" kommt da ganz ohne übergewichtigen Brettersound aus. Zart, mit zuckersüßen und einschmeichelnden Melodien lullen einen Muse derart ein, dass man das Gefühl hat, Matthew und seine beiden Kompagnons hätten ein Lied für die East-Sussex-Popper Keane geschrieben. Dabei überwiegen schöne Streicher, geschmackvolles Klavier und herrlich kitschige Basslinien.

...und althergebrachte Rocküberlegeneheit

Aber es geht auch anders. Mit dem Opener "Supremacy" verbinden Muse ihre brachiale Theatralik mit James Bond-ähnlichem Orchester-Arrangement. Ein Song, der gerade als Eröffnung recht enttäuscht. Und bei dem schon erwähnten "Survival" dürften wirklich die Pferde mit Muse durchgegangen sein und die Freude über das Angebot, den offiziellen Song für die Olympischen Spiele zu schreiben, den guten Geschmack benebelt haben.

Dafür liegen mit "Save Me" und "Liquid State" zwei Nummern auf dem neuen Werk vor, die Bassist Christopher Wolstenholme nicht nur geschrieben hat, sondern auch ganz alleine singen darf. Selbst wenn die Songs in das typische Muse-Rockschema passen, so könnten sie doch von jeder englischen Gitarrenband stammen. Hier merkt man erst, wie viel Matthews Stimme ausmacht, auch wenn die ausdrucksstarke Intonation oftmals wie ein Spaltpilz die Meinungen weit auseinandergehen lässt. Fairerweise muss man anerkennen, dass "Save Me" mit seinen luftigen Gitarren und dem rollenden Schlagzeug Rhythmus einen gewissen Charme hat.

Bandfoto Muse

Warner Music Group

Mit der zweiteiligen Titelsuite "The 2nd Law" wird am Ende des Albums noch einmal richtig dick aufgetragen. Denn schließlich soll es sich hier um die Vertonung des auf die Alltagswelt umgelegten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik drehen. Im Verständnis der drei Engländer ist vor allem das Maximalprinzip der Entropie eine adäquate Analogie zur derzeitigen, immer weiter verschlimmernden, ökologischen und ökonomischen Krise. Passend dazu wird ein treibender House-Beat unter tragisch anmutende Streichersätze gelegt, Chorgesänge mit gesprochenen Thermodynamik-Erklärungen vermischt und einzelne Schlagwörter verhallen im unendlichen Echo.

Überhaupt prangern Muse auf ihrem sechsten Studioalbum die gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Systeme an und fordern uns gleich zu Beginn auf, die Macht und "Überlegenheit" der staatlichen Herrscher zu stürzen. Doch die wirkliche "Lösung" für die derzeitige Situation ist dann doch die Liebe, die sich als Grundthema unterschwellige durch fast alle Songs zieht.

Muse Albumcover "The 2nd Law"

Warner Music Group

Das hoffnungsvolle "Big Freez" ist da ein gutes Beispiel, vereinigt es doch neben den verschiedenen Themensträngen auch die genreüberschreitende Experimentierfreude der Band. Darin werden Stadionrock, Funk, Queen-Zitate und geschmeidiger Pop zu einer opulenten Produktion zusammengemischt. Das alles - und das ist vielleicht das Schönste an diesem Album - nicht ohne ironischem Unterton. Muse scheinen sich (endlich) nicht mehr so ernst zu nehmen und lassen auf "The 2nd Law" vermehrt ihrem kindlichen Spieltrieb freien Lauf. Im Gegensatz zu "Battle Born" von den Killers, die in der gleichen Größenordnung des Musikbusiness spielen, bietet das Muse-Werk geschmackvolle Unterhaltung, einige angenehme Überraschungen und nicht zuletzt hört man die britische Musiksozialisation heraus, die einen nicht mit dem Holzhammer um die Ohren gehauen wird. Der angekündigte und mancherorts erhoffte große Bruch mit allen bisherigen Muse-Alben ist "The 2nd Law" allerdings nicht geworden. Dafür aber ein kurzweiliger Longplayer mit nur wenigen Ausreißern, die man getrost überspringen kann.