Erstellt am: 24. 9. 2012 - 16:23 Uhr
Spätsommer des Aufmerksamkeitsdefizits

Kanye West
Egal, was man vom professionellen Großmaul des Kanye West halten mag: Der Rapper und Produzent ist im oft drögen Mainstream-HipHop und -R&B eine Lichtgestalt. Einer, der ohne Scheuklappen immer auf der Suche nach neuen Einflüssen ist - weit über die Musik hinaus - und seine ambitionierten Visionen stets mit Perfektionismus umsetzt.
Aber Rapper und Producer zu sein ist ihm lange nicht mehr genug: 2012 sieht sich Kanye West als Multimediakünstler - nicht ohne den Größenwahn, den diese Selbstbezeichnung fast automatisch mit sich bringt. Deshalb hat er im Mai den Kurzfilm Cruel Summer in Cannes gezeigt, bevor jetzt das gleichnamige Compilationalbum erscheint. Darauf präsentiert Kanye die Künstler seines Labels G.O.O.D. Music - und auch viele befreundete big names schauen auf einen Gastvers vorbei: Jay-Z, R.Kelly oder Ghostface Killah vom Wu-Tang Clan, um nur ein paar zu nennen. Aber kann sich die G.O.O.D. Music Clique damit auch selbst als neue Supercrew im HipHop etablieren?
Gestartet ist das Projekt jedenfalls vielversprechend:
Keine 20 Minuten konnte man im Sommer in New York Radio hören, ohne diesem Song zu begegnen. Die Vorabsingle zu Cruel Summer war also perfekt gewählt, und für einen Sommerhit auch erstaunlich wenig cheesy. Fans europäischer HipHop-Futurismen freuten sich zusätzlich für Hudson Mohawke, der hier auch ein paar Keyboards beitragen durfte. In den Linernotes zum Album kommt sein Name jetzt gleich viermal vor, unter anderem beim Song Bliss, für den der alte Mohawke-Beat Ice Viper recycled wurde.
Für den aus Glasgow stammenden Produzenten ist das der wohlverdiente erste Schritt in Richtung US-Mainstream, für das Album gemeinsam mit den Tracks von Hitboy ein Hauch frischen Windes bei der Produktion, die an anderen Stellen unter Kanye West's mittlerweile bekannter Prog Rap Megalomanie leidet.

GOOD Music
Nach dem an ebensolcher Über- Ambition leidenden Opener nimmt Cruel Summer einige Tracks lang richtig gut Fahrt auf, um dann gegen Ende hin leider weitgehend in belanglosen Welten zwischen Autotune-R&B und gerappten Angebersprüchen zu versinken (Ausnahme: Wenn die G.O.O.D. Familie ganz am Ende Chief Keef's I Don't Like übernimmt). Die stärksten Tracks sind hier tatsächlich die im Vorfeld gestreuten Singles. Die kannte man aber natürlich schon - somit kann das Album nur noch an wenigen Stellen wirklich positiv überraschen, zum Beispiel beim neu hinzugefügten Vers von Ghostface Killah auf New God Flow.
Irgendwie wirkt es so, als wäre Kanye West nicht mit seinem üblichen Perfektionismus an das Cruel Summer Album herangegangen. Einige Songs tragen merklich seine Handschrift, andere wirken liebloser. Vielleicht liegt es an fehlender Aufmerksamkeit: Hört man den Raps zu, gewinnt man den Eindruck, Kanye wäre im Kopf woanders: Bei der Fashion Week, den Filmfestspielen in Cannes oder an der Seite seiner Celebrity-Freundin Kim Kardashian. Von seinen G.O.O.D. Music Schützlingen nützt wiederum nur Big Sean die Chance der größeren Öffentlichkeit adäquat - auf die zukünftigen Projekte dieses jungen Detroiters darf man gespannt sein.
Im Gesamten ist Cruel Summer also leider kein Meilenstein, nicht einmal ein durchgängig gutes Album geworden - drei oder vier Songs davon werden sich aber wohl in diversen HipHop-Jahresbestenlisten finden!